Abschied in Raten - die ersten Minuten

Da liegt meine Mutter also. Der Kochlöffel verstummt abrupt. Ich höre Josef scharf einatmen und dann ist es still. Obwohl wir beide eigentlich recht vernünftige Menschen sind, und das behaupte ich nun einfach mal so, ist da auf einmal nichts mehr. Kein Entsetzen, kein Denken - nichts. So als wäre die Zeit stehen geblieben.

Mir kommt dieser Zustand wie eine Ewigkeit vor, gedauert hat er wohl nicht mehr als ein, zwei Sekunden.

Josef ist zuerst bei meiner Mutter und sagt ihr fast kindlich, dass sie aufstehen soll. Dass sie bitte aufstehen soll. Aber es kommt nichts. Kein Ton, keine Reaktion - nichts. Meine Mutter liegt in einer etwas seltsamen Position am Boden. Da der Platz dort nicht ausreicht, um ausgestreckt zu liegen, ist meine Mutter leicht verdreht. Der linke Arm klemmt unter ihrem Körper und die Längsachse ist zu einem Bumerang gebogen. Es ist ein sehr schwer zu ertragender Anblick, aber er hat sich ins Gehirn gebrannt.

Als die erste Schockstarre von Josef abfällt, versucht er, meine Mutter aufzuheben, was ihm mit etwas Mühe auch gelingt, da er durch die verdrehte Lage meiner Mutter nur sehr schwer unter die Arme greifen kann. Schließlich können wir meine Mutter mit vereinten Kräften zumindest erst mal aufsetzen.

Da kommt der erste hörbare Atemzug meiner Mutter. Und sie blinzelt uns mit ihren blauen Augen an - ungläubig und etwas entnervt, ob der Tatsache, dass sie am Boden sitzt.

Irgendwie schaffen wir meine Mutter dann auf einen Stuhl zu setzen. Sie sieht uns nur an. Aber sie sagt nichts, sie jammert nicht, sie sitzt nur da und schaut uns an. Vorsichtig begutachten wir diesen auf einmal so winzig anmutenden Menschen . Das linke Handgelenk ist angeschwollen. Aber sonst gibt es äußerlich nichts Erkennbares.

Die körperlich weitgehende Unversehrtheit, wenn man vom Handgelenk absieht, verschafft uns ein bisschen Erleichterung, das vollständige Ausbleiben jeglicher akustischer Regung allerdings lässt die Alarmglocken schrillen.

Während Josef neben meiner Mutter sitzen bleibt und sanft und beruhigend mit ihr spricht, informiere ich die Rettung.

Als ich auflege, registriere ich, dass ich gefragt wurde, ob der Hubschrauber landen könne und ich erinnere mich, dass ich den heftigen Wind erwähnt habe. Das könnte ein Problem werden, sollte der Hubschrauber gebraucht werden.

Ich setze mich also auch zu meiner Mutter, die auf einmal sagt, dass sie müde sei. Klar, laut und gut verständlich sagt sie das, und dann versucht sie aufzustehen.

Sie nimmt Josef wie selbstverständlich an der Hand, steht etwas unsicher auf und geht zu ihrem Bett. Dort legt sie sich hin und sagt nichts mehr.

Ein paar Minuten später ist der Notarzt da und ein Rettungswagen und meine Mutter wird in den Rettungswagen verfrachtet. Josef und ich können ja nachkommen....

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