Bitte nicht weniger Demokratie, sondern mehr und besser...

In Österreich, aber auch in anderen Ländern Europas, gibt es so ein latentes Misstrauen gegen die Demokratie. Man macht sie verantwortlich für die Trägheit politischer Entscheidungsprozesse. Man glaubt, dass die gesetzlich verankerte Verpflichtung zur Einbindung von Betroffenen, Projekte nur unnötig verzögert. Dabei ist das demokratische Selbstverständnis bei uns ohnedies eher schwach ausgeprägt. Es ist auch noch gar nicht so lange her, dass in Österreich demokratische Spielregeln herrschen.

Etwa 100 Jahre, wenn man das Ende des 1. Weltkrieges als Beginn der Republik Österreich (Erste Republik) betrachtet und 72 Jahre wenn man das Ende des 2. Weltkrieges als den Beginn der von den Siegermächten veranlassten Zweiten Republik betrachtet. Eigentlich wurde die Demokratie von den Siegermächten verordnet und mit großem Aufwand durchgesetzt.

Abgesehen von diesen großen Ereignissen hat es noch viele Jahrzehnte länger gedauert, bis sich demokratische Regeln und Verhaltensmuster durchgesetzt haben. So wurde etwa in höheren Schulen die Mitsprache von Eltern und Schülern in Form des Schulgemeinschaftsausschusses erst im Jahr 1986 gesetzlich verankert und ähnliches gilt für viele Bereiche unseres Lebens. Z.B. wurden Patientenrechte erstmals 1993 im Krankenanstalten Gesetz erwähnt.

Ich will damit sagen, dass die demokratische Tünche in Österreich sehr dünn ist. Umso wichtiger wäre es, dass die politischen Parteien und die darüber berichtenden Medien um die strikte Einhaltung demokratischer Regeln bemüht sind und deren Wichtigkeit veranschaulichen.

Genau in dieser Hinsicht, sind wir aber gerade Zeugen eines enormen Desasters geworden.

Da stellt eine Partei, die ohnedies immer unter dem Verdacht stand, dass ihr Demokratie nur dann wichtig war, wenn sie der Stimmenmehrheit gewiss sein konnte, das System ihrer Entscheidungsfindung von demokratisch auf diktatorisch um und vollführt einen Tanz um den neu ernannten Häuptling, über den man wirklich nur staunen kann. 20 Mitglieder des Parteivorstandes, die noch vor zwei Wochen stolz darauf hingewiesen hätten, dass sie die Vielfalt der Partei repräsentieren, schämen sich plötzlich nicht, die Hosen runter zu lassen und einen egozentrischen Ehrgeizling mit Vollmachten auszustatten, von denen dessen gern zitiertes Vorbild, V. Orban nur träumen kann.

Was ausbleibt ist der Aufschrei in der Bevölkerung. Stattdessen klettern seine Beliebtheitswerte auf Rekordhöhe (67%) und manche Medien meinen sogar, dass sich auch die anderen Parteien einer solchen „Kur“ unterziehen sollten.

Freunde, habt ihr noch alle Sinne beisammen? Erkennt niemand mehr, was hier abläuft?

Da hat gerade eine Partei ihre ohnedies dürftigen demokratischen Traditionen über Bord geworfen und eindrucksvoll bestätigt, dass das Bild von Engelbert Dollfuß aus programmatischen Gründen und so gesehen, völlig zu Recht in ihren Clubräumen herumhängt und ein Großteil der Wähler verfällt in ein Loblied über den „starken Mann“.

Wohlgemerkt, ich werfe das nicht Herrn Kurz vor, der für sich einen Weg sucht, mehr Macht zu erlangen. Mein Vorwurf und meine Enttäuschung richtet sich an alle jene, die sich dieses Vorgehen gefallen lassen, ohne über das zugrunde liegende Prinzip nachzudenken.

Der bevorstehende Wahlkampf wäre vielleicht eine gute Gelegenheit, die wahlwerbenden Parteien daraufhin zu prüfen, ob sie die demokratischen Spielregeln verstanden haben und gewillt sind, sie auch ernst zu nehmen. Und wenn es da und dort mit der Demokratie noch nicht so ganz klappt, sollte das kein Grund sein, die Demokratie als Ganzes abzuschaffen, sondern ihre Mängel zu verbessern. Diesen Grundkonsens herzustellen wäre eine dringende Aufgabe aller jener Parteien, die künftig ernst genommen werden möchten.

Dazu bräuchte es eine Medienlandschaft, die sich darum bemüht, diese Schwächen aufzuzeigen und den Wählern und Medienkonsumenten klar zu machen, dass ein Scheitern in einzelnen Detailfragen noch nicht den Untergang, weder der Partei noch des Staates bedeutet, sondern lediglich Ansporn sein muss, die nächsten Schritte besser zu überlegen.

Wenn ich mit Freunden über das Problem der Politverdrossenheit rede, höre ich immer wieder, dass Menschen das Gefühl haben, von niemandem angehört und mit ihren Alltagssorgen allein gelassen zu werden. Warum also, schafft man nicht Anlaufstellen (z.B. auf Bezirksebene) an die sich der, leider nur vor Wahlen umworbene „kleine Mann“ wenden kann, um seine Sorgen mitzuteilen und gehört zu werden. Vielleicht würde das den Frust in den sozialen Medien abbauen und den Parteien Gelegenheit geben, wieder aus nächster Nähe mitzubekommen, wie dieser viel zitierte kleine Mann wirklich tickt und wo ihn der Schuh drückt.

Eine Lösung sollte im Ausbau von Demokratie, in mehr Mitsprache und mehr Mitbestimmung und nicht in der Suche nach sogenannten „starken Männern“ gesucht werden, die sich nach ihren erschlichenen Wahlsiegen nur selten für diejenigen eingesetzt haben, die ihnen zu Macht verholfen haben. Soviel Geschichtsbewusstsein darf hoffentlich vorausgesetzt werden.

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alf2015

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