Die kleinen Tricks im Miteinander: 4. Mut haben, Fragen zu stellen

In unserer Gesellschaft hat es sich eingebürgert, dass möglichst wenige Fragen gestellt werden. „Wer viel fragt, geht weit irr“, besagt so etwa ein deutsches Sprichwort. Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass man sich im Berufsleben nicht die Blöße geben möchte, als unwissend dazustehen und auch im Privatleben eigenen Annahmen und Interpretationen den Vorzug gibt vor einer Nachfrage, um nicht als aufdringlich oder lästig zu gelten. Schade. Denn solchermaßen läuft man schnell Gefahr, aneinander vorbeizuleben, jeweils mit einem Bild vom Anderen, das immer fremder wird von der Eigeneinschätzung dieses Menschen.

Eines der schönsten Beispiele dafür, wie wichtig es sein kann, die richtigen Fragen zu stellen, ist folgende Geschichte:

„Eines Tages kam ein fünfjähriger Bub zu seinem Vater und fragte ihn mit einem Ausdruck in den Augen, der darauf schließen ließ, dass er gerade etwas ganz Großes plane: „Du, Papa, wieviel Geld verdienst Du eigentlich in der Stunde?“. Der Vater war ein im Berufsleben unter starker Anspannung und ständigem Zeitdruck stehender Mann. Er hatte viel zu leisten für sein Einkommen, das aber dennoch nicht für den Lebensstandard reichte, den er seinen Lieben bieten wollte. Auch hatte er stets ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Familie, viel zu wenig Zeit für sie zu haben. Er sprach daher nicht sehr gerne darüber und ahnte, dass sein Sohn ihn nun um Geld fragen werde für eines der Spielzeuge, welches gerade allenorts großartig beworben wird. Er versuchte daher, genervt und sich dennoch beherrschend, das Gesprächsthema abzuwürgen. Da sein Sohn aber nicht locker ließ verriet er ihm seinen Stundenlohn: 16 Euro. Der aufgeweckte Bub verfiel daraufhin kurz einmal, um sich aber rasch ein Herz zu fassen und darum zu bitten, ober er sich denn 8 Euro ausleihen dürfe.

Jetzt platzte dem Vater der Kragen. Hatte er doch Recht: selbst sein Sohn wollte nur noch Geld von ihm; Geld, das er hart verdiente um seiner Familie wenigstens ein halbwegs angenehmes Leben bieten zu können und dann sollte er Geld herleihen, das er eh nie wieder sehen würde. Sicher für irgendein Plastikspielzeug – und im nächsten Herbst wüsste er dann wieder nicht, wie er das Geld für die dann wieder notwendigen Kinderschuhe zusammenkratzen sollte. „Nein, sicher nicht. Ich bin kein Geldscheisser damit Du wieder zu ein dämliches Spielzeug kaufen kannst.“, tobte er, bezeichnete seinen Sprössling als undankbar und egoistisch und schickte ihn auf sein Zimmer.

Der kleine Junge ging sehr traurig und mit hängendem Kopf, so wie es von ihm verlangt wurde, auf sein Zimmer. Der Vater ärgerte sich noch eine Zeit lang über die Unverfrorenheit seines Kindes, doch bereits kurze Zeit später kamen ihm auch Zweifel, ob er nicht vielleicht doch zu hart reagiert hätte. Vielleicht gab es ja etwas wichtiges, wofür er das Geld braucht? Denn bislang hatte er eigentlich noch nie um Geld gefragt. Behutsam und mit Scham über seinen Wutausbruch gegenüber seinem Sohn, den er doch über alles liebte, öffnete der Vater daher die Tür zum Kinderzimmer, hockte sich zu seinem am Boden sitzenden und traurig in seinem Lieblingsbuch blätternden Buben und eröffnete ihm, dass es ihm leid täte, so laut und böse geworden zu sein. Er zückte seine Geldtasche, kramte 8 Euro hervor und übergab sie ihm. Der kleine Junge lächelte, fiel seinem Papa um den Hals und schrie förmlich: „Danke, Papa – Du bist der Beste!“ Als der Vater, dessen Herz gerade aufging, beobachtete, wie sein Sohn, die 8 Euro in seinen kleinen Händen festhaltend, zum Kopfpolster lief, um darunter weitere 4 Münzen a 2 Euro hervorzukramen, verfinsterte sich dessen Mine kurz wieder schlagartig. „Wenn er doch eh schon selbst Geld zusammengekratzt hat, wozu braucht er denn dann noch welchen“, schoss es ihm durch den Kopf. Doch bevor er seinen Mund aufmachen konnte hörte er die Stimme seines Buben sagen „Schau, Papa, ich habe jetzt 16 Euro und kann daher eine Stunde mit Dir kaufen. Ich will mit Dir in meinem Märchenbuch lesen, geht das?“. Freudestrahlend blickten ihn die Knopfaugen seines Sohnes an, die beiden Hände mit den Münzen zu ihm entgegengestreckt. Der Vater war erschüttert, gerührt, überwältigt. Er schloss seinen Buben, von dem er gerade sehr viel gelernt hat, in die Arme, bat ihn weinend um Entschuldigung.“

Auch wenn jetzt vielleicht einige den Kopf beuteln ob dieser konstruiert wirkenden Metapher. Im Alltag stoßen wir immer wieder auf im Grunde sehr ähnliche Vorkommnisse: wie oft betrachten wir ein beobachtetes Verhalten als „wieder mal typisch“ für den, der es setzt; wie oft verurteilen wir jemanden schnell als „Trottel“ statt nachzufragen, was denn eigentlich beabsichtigt war mit einer Handlung?

Fragen braucht Mut: den Mut, vielleicht als unwissend dazustehen; vielleicht als begriffstutzig zu gelten; oder auch als neugierig. Ehrliches Fragen aus ehrlichem Interesse heraus bietet aber im Gegenzug auch enorm viel: es bewahrt einen davor, Fehleinschätzungen zu erliegen, welche einen in weiterer Folge in unangenehme Situationen bringen könnten. Fragen ermöglichen Antworten, welche dabei helfen, neue Seiten kennenzulernen und damit zu wachsen. Die richtige Frage zur richtigen Zeit bewahrt – ganz anders als im eingangs erwähnten Sprichwort – davor, weit irr zu gehen.

Es gibt dabei enorm viele verschiedene Techniken, Fragen zu stellen, von denen nur die für die zwischenmenschliche Kommunikation wichtigsten hier einmal kurz angerissen werden: Die mit dem klassischen „W“ beginnenden offenen Fragen Wer?, Wie?, Was?, Wann?, Wo? und Wozu? (letztere Frage sollte die Frage nach dem „Warum?“ ersetzen, da sie, anders als „Warum?“ auf die Zukunft ausgerichtet ist und keine Rechtfertigungsreflex auslöst, welcher das Gesprächsklima rasch verschließen kann) sind wohl die leichtesten und dienen dem Erlangen der Informationen, die man benötigt. Hilfreich ist es dabei, immer wieder bei gleichzeitiger Wiederholung des Gehörten mit eigenen Worten nachzufragen, ob Antworten auch richtig verstanden wurden: damit schenkt man das Gefühl, tatsächlich zuzuhören und ganz beim Gegenüber zu sein, zugleich bewahrt man sich selbst vor Missverständnissen. Ist man darin geübt, so ist dabei auch das Paraphrasieren eine wertvolle Technik: damit ist es etwa möglich, eine Aussage, die einen vielleicht verletzt, in einer Nachfrage so umzuformulieren, dass sie zwar denselben Bedeutungsinhalt hat, aber auch für einen selbst annehmbar ist.

Viel Erfolg beim Ausprobieren. Seien Sie dabei bitte geduldig – vor allem auch mit sich selbst!

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Richard Krauss

Richard Krauss bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:12

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:12

FraMoS

FraMoS bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:12

Hansjuergen Gaugl

Hansjuergen Gaugl bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:12

2 Kommentare

Mehr von Hansjuergen Gaugl