Hans-Jürgen Gaugl www.lassunsreden.at

In den letzten Tagen hat ein Phänomen gut sichtbar die Menschheit in ihren Bann gezogen: die Pokémons sind wieder unter uns. Was ab 1996 zunächst jenes Spiel war, das mit mehreren Editionen vor allem Kinder und Jugendliche in ihren Bann gezogen hat und den Nintendo zum wohl weit verbreitetsten Geschenkewunsch hat werden lassen, erlebt eine Renaissance. Wobei diesmal offenbar auch jene Generationen befallen wurden, welche den Funktionsreichtum ihres Smartphones zuvor als unbeachtet gegeben angesehen haben.

Dass es bei diesem Spiel darum geht, diverse Phantasiewesen mit Pokébällen einzufangen, sie fein säuberlich in einem Pokédex zu katalogisieren und nach Möglichkeit mit Spezialfutter, den jeweiligen Bonbons und Sternenstaub, weiterzuentwickeln, muss wohl niemandem mehr erklärt werden. In Arenen besteht die Möglichkeit, sich zu messen mit den eingefangenen Pokémons anderer Spielerinnen und Spielern und an Pokéstationen besteht die Möglichkeit, diverse nützliche Utensilien wie Pokébälle einzusammeln.

Die Besonderheit der aktuellen Neuauflage dieses Spiels: es wird Google-Maps als Spielfeld genutzt. Das bedeutet, dass die Menschen nicht bloß vor ihrer Spielkonsole sitzend Phantasiestädte wie einst Lavandia durchstöbern. Nein, die reale Welt mit seinem Straßennetz dient als große Spielewelt, in welcher man sich mit seinem Charakter bewegt. Und hinter jedem Hauseingang, an jeder Kreuzung kann ein seltenes Pokémon sitzen – darauf wartend, eingefangen zu werden. Ja sogar auf der Schulter des Gegenübers in der Straßenbahn kann eines der Phantasiewesen sitzen. Was dann zu merkwürdig anmutenden Situationen führen kann, dass die Spielerinnen und Spieler hektisch am Display des hochgehaltenen Smartphones wischend in unvermuteten Jubel oder auch einen Wutausbruch verfallen. Mitten auf einer Straßenkreuzung. Oder auch im Restaurant.

Sagenhafte 3 Milliarden Euro soll dieses Spiel, dass grundsätzlich gratis downgeloadet und gespielt werden kann, alleine bei Apple in die Kassen spülen. Da davon ausgegangen wird, dass diverse Utensilien nicht nur an Pokéstationen eingesammelt, sondern auch gekauft werden. Oder in die raschere Entwicklung eines Lieblingsphantasiewesens investiert wird. Aber auch andere Wirtschaftszweige freuen sich: nachdem das Spiel ununterbrochen die Landkarte des Ortes herunterlädt, an welchem man sich gerade aufhält, die Handykamera standardmäßig die Umgebung bei der Begegnung mit einem Pokémon erfasst und auch das GPS-Signal wie auch eine Internetverbindung ununterbrochen abgefragt werden vom Handy, ist das Spiel ein ziemlicher Ressourcenfresser. Längst haben Elektromärkte reagiert und bieten bereits vorgeladene Reserveakkus an.

Aber auch Restaurants haben bereits ihre Chance erkannt: nachdem vielen Menschen neuerdings auf dem Weg in die Mittagspause die reale Umgebung und auch die Speisekarten ziemlich egal sein dürften, da ihr Blick sich nicht vom Handydisplay abwendet, werden diese in das eigene Lokal gelockt mit einem aktivierten Lockmodul für seltene Pokémons: einfach in einer in der Nähe des Gastgartens liegende Pokéstation ein Lockmodul für ein paar Cent aktivieren, und schon kann beim Mittagsessen sitzend nebenher Jagd auf die Pokémons gemacht werden, die sich dann freundlicherweise selbst anbieten, mit Pokébällen beschossen und gefangen zu werden. Vielleicht sogar in der bestellten Suppe – was dann vielleicht sogar das Haar in ihr vergessen lässt.

Es ist wohl eine Frage der Zeit, bis auch die Immobilienbranche auf den Hype aufspringt: Wohnungen, welche in der Nähe einer Pokéarena oder einer Pokéstation liegen, könnten schon bald eine wundersame Wertsteigerung erfahren.

Eigentlich basiert das Spiel ja auf einem sehr simplen Konzept: im einstigen Kassenschlager wurde einfach das Spielfeld ausgetauscht. Neben den bereits von facebookjunkies bekannten damit verbundenen Gefahrensituationen, welche entstehen können, wenn Menschen Zombies gleich wie ferngesteuert durchs Leben laufen ohne ausreichender Aufmerksamkeit für ihr reales Umfeld, wird dadurch etwas geschafft, das durchaus begrüßenswert ist: Sehenswürdigkeiten werden wieder beachtet – das bislang unbeachtete Wegkreuz ist beispielsweise eine Pokéstation – und selbst zur Spielesucht neigende Menschen werden aus den eigenen vier Wänden herausgelockt, um sich zu bewegen. Ja selbst zu ausgedehnten Spaziergängen wird angeregt, da so ein Ei im Inkubator nur ausgebrütet werden kann, wenn man eine bis zu 10 Kilometer lange Wegstrecke zu Fuß absolviert.

Wie wäre es, wenn diese sehr erfreulichen Aspekte des Spieles zu einem neuen Spiel zusammengefasst werden? Wie wäre es, wenn etwa auch ohne dem Spiel die eigene Umgebung wieder vermehrt erforscht wird und all die Schönheiten, auf die man dabei treffen wird, einfach fotografiert werden? „Fotosafari“. Das können Sehenswürdigkeiten sein, zu welchen man gleich erforscht, welchen Hintergrund sie haben, das können die unzähligen Lebewesen sein, denen man viel zu wenig Beachtung schenkt. Zusatzakku wird es da wohl auch keinen brauchen – und der Wettbewerb könnte darin gesehen werden, dass in den social media oder auch bei realen Treffen in Freundeskreis die tollsten Fotos ausgetauscht werden. Pokéarena der anderen Art. Ich habe das bereits probiert – und ich muss sagen: es macht Spaß, das Bild eines wunderbaren Falters gefangen zu haben …

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