Justitia stand bereits in der altrömischen Mythologie für die ausgleichende Gerechtigkeit. Gerne wird sie daher heute auch noch abgebildet als weise Frau, welche mit verbundenen Augen, also ohne sich blenden zu lassen von Sympathie für die eine Seite, eine Waage hält, welche sie unbeirrt von äußeren Einflüssen in die Balance bringt.

Die Gerichtsbarkeit einer modernen Zivilisation wird nicht von ungefähr Justiz genannt. Sie hat die Aufgabe, entlang der Werte, denen sich eine Gesellschaft verschrieben und in der Rechtsordnung festgelegt hat, unbestechlich dafür zu sorgen, dass der angestrebte Ausgleich von Interessen auch dann erreicht wird, wenn die Menschen aufgehört haben, daran zu glauben, dass sie selbst es sind, die ihr eigenes Schicksal lenken und dabei die individuelle Form von Gerechtigkeit erreichen können.

Es ist manches Mal allerdings erschreckend, wie sehr da die Kluft zwischen Gerichtssprüchen und dem persönlichen Anspruch an Gerechtigkeit auseinanderklaffen. Rasch wird dann fieberhaft gesucht, wem dafür der „Schwarze Peter“ zugesteckt werden kann: ist es eine Verkennung der gesellschaftlichen Ideale durch die Gerichtsbarkeit – oder hat die Rechtsordnung hier etwas noch nicht vollzogen, was durch die Weiterentwicklung des Miteinanders bereits gelebte Vorstellung ist?

Besonders deutlich wird das im Familienrecht. Dass das Wohl der Kinder selbst dann im Auge behalten werden muss, wenn eine Paarbeziehung ins Wanken gerät oder gar zerbricht, das ist ein Umstand, welcher wohl von niemandem in Mitteleuropa in Abrede gestellt werden wird. Es soll für das Kind selbst dann möglichst keine spürbare Verschlechterung in den Lebensumständen eintreten, wenn ein Rosenkrieg zwischen seinen Eltern tobt. Es soll so gut es geht ausgeklammert bleiben aus den Konsequenzen von Konflikten der Erwachsenen, zu denen es selbst noch keine Vorstellung hat, worum es da eigentlich geht. Kind bleiben dürfen soll es – behütet von elterlicher Liebe und der Bereitschaft, jenes Umfeld sicherzustellen, in welchem es sich voll entfalten kann nach den eigenen Talenten.

Zwei Fragen beschäftigen dabei jedoch regelmäßig die Gerichte: wie soll nach der Trennung der Eltern erstens die finanzielle Ausgestaltung und zweitens auch die Zuständigkeit für die Begleitung des Kindes im Alltag aussehen? Nun, wenn man das Ernst nimmt, was unter Kindeswohl verstanden wird, dann lautet dazu eigentlich der Auftrag: es soll im besten Fall für das Kind alles so weiterlaufen, wie es in aufrechter Beziehung war. Bedeutet also, dass das Kind unverändert die Sicherheit haben soll, Mama und Papa gleichermaßen in seinem Leben zu wissen und dass beide wie auch vor der Trennung dafür sorgen werden, dass sie nach ihrem Können beisteuern zur Erhaltung jenes Umfeldes, dessen das Kind bedarf, um auf dem Weg zum Erwachsenwerden bestmögliche Unterstützung zu erfahren: finanziell wie auch durch liebevolle Begleitung.

Spannend ist, dass sich die Rechtsordnung hinsichtlich des Kindeswohles für Heranwachsende in aufrechten Beziehungen nobel zurückhält. Da gibt es kaum Einmischungen in den Erziehungsstil oder in die Zeit, welche Elternteile qualitativ mit ihrem Nachwuchs verbringen. Auch interessiert es die Justiz kaum, wieviel Geld im Monat tatsächlich zur Verfügung steht, um dem Kind finanzielle Sicherheit zu geben. Wehe allerdings, eine Beziehung scheitert: dann sind hier ausführliche Verfahren vorgesehen. Da wird in der Spruchpraxis gerne wieder auf das mittelalterliche Bild der schwachen Frau als für Haushalt und Kinder zuständige Person zurückgegriffen und der Mann in die Rolle des finanziellen Ernährers gezwungen. Dementsprechend sehen Beschlüsse und Urteile da dann gerne vor, dass nach dem Scheitern einer Paarbeziehung fortan die Mutter das nur durch „Besuchsrecht“ durchbrochene Monopol auf die Begleitung der gemeinsamen Kinder erhält, während der Vater monatlich Geld zu überweisen und auch für Sonderbedarf aufzukommen hat, welchen die Mutter erkennt. Dann gibt es so genannte Regelbedarfssätze, die auf jeden Fall zu zahlen sind an Alimenten – in einer Höhe, von der sich die Mehrheit der Eltern in aufrechten Beziehungen wünschen würde, tatsächlich monatlich so viel Geld zu haben zur Erfüllung der Bedürfnisse der eigenen Kinder. Dieses Geld kommt dann nicht etwa vom Staat, der sich hier plötzlich engagiert zeigt – nein, am besten von einem der beiden Elternteile, und zwar auch dann, wenn er gerade seinen Job verloren hat entsprechend der so genannten „Anspannung“.

Ist es also den Gerichten und Behörden weitgehend egal, wie man in aufrechter Beziehung seinem Kind auch nach einem Jobverlust weiter die Wünsche erfüllen kann, so bietet sich das Gericht bei getrennten Partnerschaften der Eltern in solchen Situationen mit der vollen Palette staatlicher Gewalt bis hin zur Exekution bereitwillig an dafür zu sorgen, dass auf Grundlage eines fiktiven Einkommens auch weiterhin die vollen Alimente fließen.

Die Suche nach dem Fehler im System, der viele unglückliche Kinderseelen hervorbringt, da die Eltern durch derlei Eingriffe meist nur noch weiter in eine Eskalation der ohnehin sehr strapazierten Beziehung zueinander hineingetrieben werden, ist gar nicht einmal so leicht: die Höchstgerichte in Österreich und Deutschland haben bereits zur Frage, ob es denn nicht zulässig sein müsste, dass Eltern auch nach einer Scheidung wie in aufrechter Beziehung weiter zu gleichen Teilen zuständig sein können, nach ihren jeweils aktuellen Verhältnissen finanziell wie auch durch haushaltliche Betreuung für das gemeinsame Kind zu sorgen – also ohne die Aufteilung in Betreuungselternteil und Zahlelternteil – salomonisch gemeint, dass das ohnehin nach geltender Rechtslage möglich wäre. Was also den Eindruck erweckt, die Gesetze bedürften somit keiner Änderung zur Erreichung des Zieles, das sowohl dem Umstand des während des letzten Jahrhunderts geänderten Rollenbildes der Frau wie auch dem Streben nach ausgleichender Gerechtigkeit und Kindeswohl Rechnung trägt. Nur die erstinstanzliche Spruchpraxis scheint da vor allem bei eskalierenden Konflikten noch anderer Auffassung zu sein, einen anderen Auftrag herauszulesen aus genau denselben Paragraphen.

Fälle wie jener, der gerade wieder durch die Medien geistert, in welchem der Vater trotz Jobverlusts weiter Unterhalt in einer von einem Managergehalt ausgehenden Höhe zu zahlen hatte, sollten zum Nachdenken anregen. Auch wenn man nicht betroffen ist – und hoffentlich trotz der hohen Anzahl an Scheidungskindern in der gegenwärtigen Gesellschaft nie betroffen sein wird. Ist es das, was die Gesellschaft will: Zahlväter und Mamas mit nur durch „Besuchsrecht“ durchbrochenes betreuungsmonopol? Staatlich reglementierte Alimentationshöhe auch unter bewusster Leugnung einer tatsächlichen Einkommenshöhe nach einer Trennung der Eltern, während es genau dieselben Instanzen ziemlich kalt lässt, ob in aufrechten Beziehungen solche Beträge monatlich für die Erfüllung von Kinderbedürfnissen verfügbar sind? Die faktisch uneingeschränkte Macht – und auch Verantwortung – des Betreuungselternteils, darauf einzuwirken, wie die Beziehung zwischen Zahlelternteil und Kind sich weiterentwickelt?

Kinder brauchen beide Eltern. Eltern sein heißt dabei auch, manchmal über den eigenen Schatten zu springen. Stolz zu überwinden. Eigene Verletzung selbst aufzuarbeiten – und nicht dem Kind in den ohnehin voll gepackten Rucksack des Lebens dazuzustecken. Das ist nicht immer leicht. Es ist allerdings möglich. Und bietet nicht bloß für das Kind Vorteile, auf welches es eigentlich sogar Anspruch hat. Arbeiten Eltern auch nach dem Scheitern der Paarbeziehung zusammen wenn es um das Kind geht, dann bedeutet das auch für sie selbst Vorteile: geteilte Verantwortung für das Wohlergehen des Kindes, Freiraum auch für die persönliche und berufliche Entfaltung für Mama und Papa, finanzielle Unabhängigkeit vom jeweils anderen …

Zeit, etwas zu ändern am Status quo? Zeit für Eltern, in herausfordernden Situationen nicht sofort gerichtliche Eskalation zu suchen, sondern sich auch nach Scheitern der Paarbeziehung lieber zusammenzuraufen im Interesse des Kindes? Zeit, die Gerechtigkeit von Lösungen selbst in der Hand zu haben, indem man sie selbst aushandelt? Oder passt eh alles so und soll so weiterlaufen?

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