Vom Streit zur Versöhnung - wie der erste Schritt gelingen kann

Eine der verbreitetsten Einwendungen auf die Aufmunterung, etwas zu ändern an schlimmen Konfliktsituationen, ist es, zu bezweifeln, das überhaupt selbst in der Hand zu haben. Da wird befürchtet, dass jeder Schritt, den man auf das Gegenüber zugeht, als Nachgeben gedeutet wird. Dass damit die Position des beziehungsweise der anderen bloß bestärkt wird. Dass man damit doch nur verlieren könne. Dass somit zum Ärger und der Wut über den Streit auch noch der verletzte Stolz hinzukommt, weil die große Tat der Versuches, einen schwer fallenden Beitrag für eine gemeinsame Lösung zu leisten, als solcher nicht bejubelt und belohnt wird - die empfundene Ungerechtigkeit somit nur noch größer wird. Es wird daher höchstens darauf gewartet, dass man selbst derjenige ist, auf welchen dieser erste Schritt zugemacht wird; und man empfindet es dann bereits als Größe, vielleicht - aber nur für den Fall, dass da wirklich alles passt und das Misstrauen schwindet - darauf ebenfalls mit etwas weniger Beharrlichkeit auf den bereits bezogenen Standpunkt zu bestehen.

Dieses Denken hat sicher etwas für sich, wenn man die konkrete Streitsituation isoliert betrachtet. Vor allem entspricht diese Sichtweise dem, wie wir in unserer Gesellschaft an die Dinge heranzugehen gewohnt sind: alles ist auf eine Ursache direkt linear zurückzuführen, jede Aktion bedingt unmittelbar eine Reaktion. Dabei werden leider viele Faktoren übersehen, die ebenfalls in das Geschehen hineinwirken können. Tatsachen, welche wir eigentlich sogar alltäglich erleben ohne uns darüber weiter Gedanken zu machen. Gegebenheiten, welche wir uns in schwierigen Situationen viel öfter zu Nutze machen könnten.

Beginnen wir einfach mal mit dem Gähnen. Gähnen steckt an. Das haben wir alle schon erlebt: einer in der Runde beginnt damit und bereits kurze Zeit später beginnen auch die meisten anderen damit. Probieren Sie es doch einmal bewusst aus, diese unbewusste Reaktion in den Mitmenschen auszulösen, welche so absolut keinen Sinn zu machen scheint. Einmal kur den Mund aufgerissen, tief Luft geholt dabei und schon werden einige weitere Personen der Warnbotschaft des eigenen Hirns folgend dies nachahmen - nicht, weil sie sich dazu entschließen, sondern weil sie gar nicht anders können.

Aber auch dort, wo unser kontrollierbarer Verstand ein Stück weit mehr Mitsprachemöglichkeit hat, begegnen wir sehr häufig der Bestätigung, dass unser Handeln Auswirkungen auf andere hat: sei es wenn man in einer Veranstaltung als Eisbrecherin beziehungsweise Eisbrecher fungiert und sich die erste Frage zu stellen getraut, sei es, wenn man den Rasenmäher auspackt und damit gleichsam ein Dominoeffekt in den benachbarten Gärten zu beobachten ist oder auch beim Einkaufen, wenn man den mürrisch dreinschauenden Kassier freundlich grüßt und dieser dann sein Lächeln wiederfindet und die nächsten Kundschaften damit vielleicht sogar anstecken kann.

Dass dieser erste Schritt auch in bösem Streit die Basis sein kann für die Wiedererlangung des gemeinsamen Friedens ist daher gar nicht so außerhalb unserer eigenen Lebenserfahrung gelegen, auch wenn wir das massiv bezweifeln. Von anderen Kulturen könnten wir dazu einiges lernen. In vielen afrikanischen Stämmen, welche eine wahre Fundgrube für im Zuge der Kolonialisierung leider stark zurückgedrängte Konfliktlösungsrituale wie den Palaver sind, ist diese enge Verbundenheit im wertschätzenden Miteinander unter dem Begriff "Ubuntu" bekannt. Die aus dieser Lebensphilosophie des systemischen Ganzen erwachsende Einstellung kommt dabei so zum Ausdruck, dass einem Menschen, welchem man eine Verletzung eines anderen zur Last legt, von den übrigen Mitgliedern der Gemeinschaft nicht Vorhalte gemacht werden, die ihn noch weiter wegstoßen: nein, vielmehr wird dieser Person nun erzählt, was sie alles an guten Taten für andere vollbracht hat und wie wertvoll sie daher für die Gesellschaft ist. Solchermaßen wird, so die Überzeugung, diese Person wieder mit ihrem inneren Licht verbunden. Es wird ihr solchermaßen ermöglicht, ganz ohne Schmach die Möglichkeit der Versöhnung zu entdecken, bei welcher Wiedergutmachung geübt werden kann ohne dabei den fahlen Beigeschmack der Stigmatisierung als Täterin beziehungsweise Täter zu erfahren.

Vielleicht ist es ja beim nächsten Mal, wenn Streit wieder schlimm zu werden droht und diese innere Unlust aufkommt, dem Gegenüber auch nur einen Milimeter weit die Hand als erster entgegenzustrecken, einen Versuch wert, auf die Dynamik der Ansteckung zu setzen. Nicht nur in der Eskalation - auch in der Versöhnung. Allerdings bitte nicht darauf vergessen: ein solcher Schritt muss aus innerster Überzeugung getragen von ehrlicher Wertschätzung der Person des anderen erfolgen - ansonsten könnte es leicht zum Gegenteil führen.

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