Franz und Anna sitzen wieder einmal zu später Stunde in der Wohnung verstreut herum: Sie hängt vor ihrem Laptop, chattet, stöbert in diversen Plattformen nach Neuigkeiten und hat darüber schon vor drei Stunden die Zeit vergessen. Er ist drauf und dran, vor dem Fernseher einzuschlafen – der Tag war anstrengend und das Fernsehprogramm trotz der zahllosen Sender, durch die er sich durchgezappt hat bevor er bei der xten Wiederholung einer Folge von „Columbo“ hängen geblieben ist, ist auch nicht unbedingt aufregend: die Frage, welches denn nun das Glasauge von Peter Falk ist, hat er schon längst gelöst und auch wenn er zu spät für den Beginn zugeschalten hat, so kennt er dennoch schon den Mörder.

Es ist eigentlich ein Abend, wie er für das Paar normal geworden ist. Normal – welche wunderbar Sicherheit spendender Zustand. Es muss nicht nachgedacht werden, was als Nächstes folgt, es kann in der Illusion vollkommener Vertrautheit mit den nächstfolgenden Momenten in einen energieschonenden Automatismus geschalten werden. Durch jahrelange teilnehmende Beobachtung wurde nämlich ein Zustand erreicht, in welchem die Vorhersehbarkeit der Implikationen der nächsten Momente im eigenen sozialen Umfeld mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben scheint. Es werden daher alle Sensoren heruntergefahren. Wie auf der Fahrt ins Büro, wo man ohnehin schon jeden Millimeter der Straße kennt, den Weg also schon blind fahren zu können glaubt. Oder wie in den Diskussionsrunden am Stammtisch, wo es eh normal ist, dass der Sepp gegen die Ausländer wettert und Simone beklagt, dass Männer es viel zu leicht hätten, sich aus einer Familie davonzuschleichen durch Scheidung. Alles vorhersehbar. Alles innerhalb der Normalverteilung der gemachten Erfahrungen.

In den nächsten Wochen werden viele Paare, wie auch Franz und Anna, wieder in den Urlaub fahren. An einen wunderbaren Sandstrand, in eine Kulturmetropole oder auch auf eine Kreuzfahrt. In Prospekten hat man sich bereits vertraut gemacht mit den zu erwartenden Eindrücken und die Erwartungshaltung an kristallklares Meerwasser und romantische Abendessen mit kitschiger Sonnenuntergangsatmosphäre ist schnell aufgebaut. Die im Alltagstrott gemeinsam gelebte Normalität soll durchbrochen werden durch die mit oftmals aufschönend nachbearbeiteten Werbefotos und in einer verklausulierten Sprache heraufbeschworene Illusion von einem Traumurlaub. Und so ein wenig lebt da ja auch die Hoffnung, dass vielleicht wieder ein wenig mehr Pepp in den Beziehungsalltag kommt: denn eigentlich wünschen sich ja viele einen lebendigeren Alltag. Vielleicht doch mehr von diesem Kribbeln der ersten Wochen, als der neue Mensch an der eigenen Seite noch so völlig unbekannt war und diese unendliche Neugier aufeinander ein Knistern in jeden Moment zauberte.

Urlaube bergen, wenn sie in solch einem Kontrast von im Alltag gepflegter Normalität und aufgebauter Erwartungshaltung stehen, ein enormes Risiko in sich und können rasch zum Elchtest für die Beziehung werden. Plötzlich stehen nämlich die entwickelten Riten von Normalität nicht mehr zur Verfügung, kann diesen keine Sicherheit mehr entnommen werden für eine im Blindflug gelebte Begegnung mit der Partnerin beziehungsweise dem Partner – ganz im Gegenteil ist es möglich, dass Kleinigkeiten in für das Gegenüber nur sehr schwer nachvollziehbarer Weise in der Wahrnehmung plötzlich als Bedrohung empfunden werden. Es reichen dann nämlich schon Banalitäten, welche unvorhergesehen wie auch der aufgebauten Erwartungshaltung widersprechend auftauchen: der Stau auf dem Weg in den Urlaub, das Zimmer, welches nicht den versprochenen Meerblick ermöglicht, das Wetter, welches nicht ganz mitspielt, … Wie beim Stauende hinter einer Kurve am bereits blind gefahrenen Weg in die Arbeit kann es da rasch zu einem bösen Crash kommen.

Dem kann vorgebaut werden. Durch Wachsamkeit im Alltag. Durch das Erheben von einem empathischen Miteinander und Achsamtkeit füreinander zur subjektiven Normalität. Dann braucht man auch keine Angst um die Beziehung haben, wenn der nächste Erholungsurlaub vielleicht vollkommen anders wird, als man es sich vorgestellt hat. Schönen Urlaub!

7
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Veronika Fischer

Veronika Fischer bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

Erkrath

Erkrath bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

irmi

irmi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

FraMoS

FraMoS bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

Hansjuergen Gaugl

Hansjuergen Gaugl bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

4 Kommentare

Mehr von Hansjuergen Gaugl