Normalerweise habe ich in meinen Blogs nur Zitate anderer und keine gesamten Artikel. In diesem Falle ist diese Analyse aber sehr interessant und diskussionswürdig.

Ein Artikel von Dagmar Henn:

Am vergangenen Wochenende haben sowohl Scott Ritter als auch Gonzalo Lira vor einem US-amerikanischen Einsatz von Atomwaffen gewarnt; sie beide befürchten, dass die USA so auf eine unvermeidliche Niederlage reagieren werden. Darin läge die größte Gefahr im derzeitigen globalen Machtkampf.

Es ist schwierig, den Berichten über die Lage in der Ukraine zu folgen, die durch die deutschen Medien rauschen. Denn das, was dort erzählt wird und auch, was die deutschen Politiker dazu äußern, ist in sich widersprüchlich. Da soll, wird, muss einerseits die Ukraine siegen, da wird von zusätzlichen Waffenlieferungen alles Mögliche erwartet, da sollen nach wie vor die russischen Truppen am Rande ihrer Niederlage wanken, und gleichzeitig äußert Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Katholikentag Ende Mai: "Wir bereiten uns darauf vor, dass ein großflächiger Angriff auf das Territorium der NATO und unseres Landes stattfinden kann." Wie man diese Erzählungen mit ein und demselben Gehirn glauben kann, ist mir ein Rätsel.

Experten warnen: Risiko eines Atomwaffeneinsatzes erreicht höchsten Stand seit dem Kalten Krieg

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Gut, dass es im Grunde egal ist, was Scholz denkt und erwartet, so wie es egal ist, wenn noch mehr NATO-Kriegsgerät irgendwo in der Ukraine durch Raketen zerlegt wird; es ist sogar egal, wenn ein deutscher Luftwaffengeneral gar bedrohlich die Faust schüttelt – wider die bösen Russen. Nichts davon wird die Tatsache ändern, dass die ukrainische Armee gerade langsam und gründlich zermalmt wird, obendrein sinnlos, weil das Ergebnis seit Wochen feststeht. Da kann sich die EU noch so sehr spreizen und erklären: "Ich esse meine Suppe nicht, nein, meine Suppe ess' ich nicht." Oder weiter von einem Kiewer Sieg raunen. Oder meinen, jetzt auf einmal eine Verhandlungsfähigkeit wiederentdecken zu wollen, die im Dezember gefragt gewesen wäre.

Aber diese Tatsachen sind das eine; etwas anderes sind die Risiken, die nach wie vor entlang der Strecke lauern. Und am vergangenen Wochenende erschienen gleich zwei Videos von zwei Kommentatoren, die bisher eine sehr vernünftige Sicht auf die Entwicklung hatten und beide, wenn auch mit unterschiedlichen zugrunde gelegten Szenarien, ein und dieselbe Befürchtung äußerten: Dass die NATO, also die USA letztlich zu Nuklearwaffen greifen werden, wenn ihre Niederlage unausweichlich und für alle sichtbar ist.

Scott Ritter, das ist einer der beiden, war nicht nur für seine Verhältnisse ungewöhnlich aufgeregt, er relativierte sogar jeden Hinweis auf mögliche künftige Entwicklungen mit dem Satz "wenn wir 2023 noch erleben." Es war aber nicht die Ukraine, die in seinen Augen diese Gefahr auslöste, weil er diesen Krieg als im Grunde bereits entschieden betrachtet. Und er beschrieb das Ergebnis sehr detailliert. "Es wird keinen Waffenstillstand geben. Es wird keine Waffenstillstandslinie geben. Es wird kein ukrainisches Militär geben. Es wird keine rechtsextremen ukrainischen Parteien geben. Das endet nicht, ehe Russland alles gewonnen hat." Poroschenkos verräterische Aussagen zu den Minsker Vereinbarungen hätten belegt, dass der Westen kein Verhandlungspartner ist, weil er nur verhandelt, um Zeit zu gewinnen. "Diese Niederlage, die geschieht, während wir reden, müsste das Ende der NATO sein."

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Das wirkliche Risiko sieht er in der US-Politik Taiwan betreffend. Wie Russland, so habe auch China klar und deutlich erklärt, was nicht akzeptabel sei, und die USA würden dennoch weiter Bestrebungen einer taiwanesischen Unabhängigkeit unterstützen. Sie wären nicht imstande wahrzunehmen, dass weder aus Russland noch aus China politische Absichtserklärungen erfolgen, deren mögliche Umsetzung nicht bereits bis ins letzte Detail vorbereitet sei.

Wenn China in Reaktion auf diese US-Politik Taiwan einnehme, werde die US-Regierung schon allein angesichts der bevorstehenden Wahlen versucht sein, "Stärke" zu demonstrieren und eine Flugzeugträgergruppe auszuschicken – die dann versenkt würde. Und dann könnten die innenpolitischen Zwänge dazu führen, dass die USA Atomwaffen einsetzen, um diese Niederlage vergessen zu machen: "Lasst uns eine Hafenstadt in Hunan bombardieren. Bumm, eine Atomrakete explodiert in Hunan. Und dann die Chinesen: das ist okay, keine große Sache. Und Boom! Los Angeles ist weg. Und Boom! Schanghai ist weg. Und Boom! Seattle und Denver sind weg. Und dann ist es vorbei ... und ich sehe die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, bei über siebzig Prozent."

Übertreibt er?

Nun, wenn man sich den monatelangen, nein, jahrelangen Vorlauf zum russischen Militäreinsatz in der Ukraine vor Augen führt, muss man sich zumindest eingestehen, dass ein solcher Ablauf denkbar ist. Ende vergangenen Jahres lagen von russischer Seite alle Karten auf dem Tisch. Klar, verständlich und für alle sichtbar.

Aber alle westlichen Politiker und die zugehörigen Medien beschäftigten sich damit, irgendetwas hineingeheimnissen zu wollen und in den russischen Angeboten und Forderungen Rätsel zu suchen, wo keine waren ("Was will Putin?";), statt zumindest ernsthaft über die vorgelegten Forderungen zu diskutieren. So ging es die ganzen Jahre über schon mit den Minsker Vereinbarungen, einem klaren, verständlichen und sogar realistischen Plan, wie eine Wiedereingliederung des Donbass in die Ukraine möglich gewesen wäre. Aber statt an einer Umsetzung mitzuwirken, wurden irgendwelche unausgesprochenen Absichten unterstellt, wegen derer man dann den Text dieser Vereinbarungen vollkommen ignorierte.

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Man kann es ja sogar ein wenig nachvollziehen. Schließlich ist es in der ganzen westlichen Politik so üblich, dass Erklärungen mit den eigentlichen Absichten und Zielen gar nichts zu tun haben, dass man von Menschenrechten redet und Unterwerfung meint; von Werten redet, während man Putsche inszeniert, um freien Zugriff auf Rohstoffe zu erhalten; von Sicherung der Renten, wenn Renten gekürzt werden, und von Gesundheitsreform, wenn es darum geht, die Leistungen der Krankenversicherung zurückzufahren.

So ist das in jedem Bereich der Politik und auf jeder Ebene. Es gibt die Werbung, die nach außen betrieben wird, und dann die wirklichen Handlungen und Ziele. Eine Übereinstimmung von Äußerung und Handlung ist für die meisten Beteiligten in diesem System schlicht nicht mehr denkbar ... weshalb die russische Ankündigung, man werde, falls die NATO auf die Forderung nach ukrainischer Neutralität nicht eingehe, mit militärisch-technischen Maßnahmen reagieren, nur auf zwei Weisen gedeutet werden konnte: als hohle Prahlerei oder als Ankündigung von etwas noch viel Schlimmeren. Denn wenn eine Rentensicherung in Wahrheit eine Kürzung ist, was sind dann militärisch-technische Maßnahmen?

Es ist geradezu komisch, wie wenig begriffen wird, dass Russland und China im Einklang handeln. Scott Ritter erwähnt das auch, obwohl die Zeiträume noch wesentlich länger sein dürften, als er annimmt. Die chinesische Haltung zum Krieg im Donbass ist seit 2014 klar. Damals gab es einen Artikel eines Professors an einer chinesischen Militärakademie in der Global Times, in dem dieser davor warnte, der Konflikt in der Ukraine könne zum Dritten Weltkrieg führen. Das war für westliche Ohren natürlich viel zu leise.

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2015 gab es dann eine höchst symbolische Handlung, die ebenfalls übersehen wurde. An der russischen Parade zum Tag des Sieges nahm eine Delegation der chinesischen Volksbefreiungsarmee teil; ordentlich aufgeteilt auf alle drei Waffengattungen. Und bei der chinesischen Parade am ersten September desselben Jahres gab es eine entsprechende russische Teilnehmergruppe; auch hier waren sorgfältig alle Waffengattungen vertreten. Das fiel in Peking nicht so auf, weil auch aus anderen Ländern Gruppen vertreten waren, die für alle Ausländer standen, die auf chinesischer Seite gekämpft hatten; aber nur bei den mitmarschierenden Russen gab es diese Vertretung aller Truppenteile. Das war der Moment, an dem es hätte klar sein müssen, dass es ein militärisches Bündnis gibt. Es mag nicht die Form schriftlicher Verträge haben, aber es wurde schon 2015 gezeigt.

Und 2022 meint ein US-amerikanischer Außenminister, mal eben nach Peking zu fliegen und China gegen Russland zu stellen, sieben Jahre später? Jahre danach, in denen gemeinsame Manöver stattfanden und man davon ausgehen kann, dass sich die Generalstäbe regelmäßig ausgetauscht haben, in denen Wirtschaftspolitik koordiniert wurde und sich beide Länder gemeinsam darauf vorbereiteten, die zu erwartenden Sanktionen des Westens abzuwehren?

Man hätte es lernen können. Man hätte erkennen können, dass das gemeint ist, was gesagt wurde; aber das passt nicht zusammen mit einer Dämonisierung des Gegenübers, ein Dämon muss verschlagen und falsch sein, wie kann man dann zugeben, dass jeder Satz einfach so gemeint ist, wie er da steht? Vor dem Hintergrund einer politischen Landschaft, die aus Lüge besteht, kann die Wahrheit nur eine besonders perfide Form der Heimtücke sein.

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Aber zurück zur ukrainischen Szenerie. Gonzalo Lira ist sich mit Scott Ritter absolut einig, was die Lage der ukrainischen Armee betrifft. Auch er betont, dass die Biden-Regierung in Gestalt ihrer ukrainischen Stellvertretertruppen vor einer kolossalen Niederlage steht. Nur meint er, dass der Westen auf diese Niederlage mit einer weiteren Eskalation reagieren wird, und der Ansatzpunkt für diese Eskalation sei die Blockade der Eisenbahnlinie zwischen Russland und Kaliningrad durch Litauen. Gleichzeitig würden sowohl in Polen als auch in Litauen Truppen bewegt, und er schließt daraus, dass das Ziel besteht, Russland zu einer Verteidigung Kaliningrads zu zwingen.

Auf einen solchen Angriff, so Liras Einschätzung, werde Russland deutlich härter reagieren als auf den Angriff, den die Ukraine beabsichtigt hatte. Eine Provokation durch Litauen und Polen mit einer entsprechenden russischen Antwort würde die gesamte NATO in den Konflikt ziehen, eingeschlossen die USA. "Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass die Gehirne hinter dieser idiotischen Idee amerikanische Gehirne sind, die Biden-Regierung."

Die ukrainische Armee, führt er aus, war im Verlauf der letzten acht Jahre in einem solchen Maß ausgebildet und aufgerüstet worden, dass sie die am besten ausgebildete Truppe der gesamten NATO war, ohne selbst Mitglied zu sein. "Was, glaubt ihr, würde mit litauischen, polnischen oder amerikanischen Truppen passieren, die gegen die Russen marschieren? Sie werden genauso ausgelöscht."

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Und wie Scott Ritter sieht Lira die besondere Gefahr in der Niederlage: "Und danach wird die Biden-Regierung, aus Panik und in der hochmütigen Meinung, das sei keine große Sache, Atomwaffen einsetzen. Sie werden es tun. Die Vereinigten Staaten haben die Erstschlags-Option nie aus ihrem Auswahlmenü gestrichen."

Die Biden-Regierung sei unfähig, einen Rückzieher zu machen oder zu deeskalieren; sie könne immer nur noch einen draufsetzen. Man müsse begreifen, dass der Auslöser für den russischen Militäreinsatz in der Ukraine schließlich der ukrainische Aufmarsch im Donbass war, bei dem ein Angriff mit über hunderttausend Mann gegen die Donbass-Republiken und womöglich Russland selbst vorbereitet wurde.

Noch ist nicht klar, ob die Blockade der Eisenbahnverbindung nach Kaliningrad tatsächlich auf die Provokation abzielt, die Lira befürchtet. Aber auch hier sind die Muster bekannt. Über all die Jahre seit 2014 reihte sich eine Provokation an die andere, und bereits beim Massaker von Odessa stellt sich die Frage, ob das nicht Teil einer Strategie war, Russland mit allen Mitteln zum Eingreifen zu zwingen.

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In beiden Szenarien ist es die konventionelle Niederlage von USA und NATO, auf die die unterlegene Macht mit nuklearer Eskalation reagiert. Beide Kommentatoren machen sich ernsthafte Sorgen, dass das jeweilige Szenario eintritt. Und keinen der beiden Fälle kann man von der Hand weisen – im Gegenteil. Seit Beginn der globalen Auseinandersetzung um eine Weltordnung, die nicht mehr von den USA dominiert wird, lautete die einzige gewaltige, bedrohliche Frage: werden die USA ihren Niedergang hinnehmen oder werden sie den Rest der Menschheit in ihren Untergang hineinziehen?

Das ist der Punkt, an dem eine US-Regierung unter Biden von Anbeginn an gefährlicher schien als eine Regierung Trump. Und es stellt sich die Frage, ob es Faktoren gibt, die die Wahrscheinlichkeit dieses Resultats verringern können. Denn die Niederlage des einstigen Hegemonen ist so unabwendbar, wie sie nötig ist.

Einer der wenigen Faktoren, die vielleicht das Risiko vermindern könnten, wäre tatsächlich ein massiver Anfall von Vernunft bei den europäischen Verbündeten der Vereinigten Staaten. Ein Ausstieg mehrerer europäischer Länder aus der NATO – verbunden damit, eventuell dort stationierte US-Truppen sofort nach Hause zu expedieren – wäre fast die einzige Möglichkeit, selbst der von ihrem "Auserwähltsein" überzeugten US-Regierung unter Joe Biden genug Kontakt mit der Realität zu verschaffen, um sie an dieser Eskalation zu hindern. Das wäre immer noch keine Garantie, aber es könnte gerade reichen, um das Selbstbild ausreichend zu erschüttern.

Von den jetzigen Regierungen in Deutschland, Frankreich, Italien oder Großbritannien ist solches leider nicht zu erwarten. Keine davon hätte die Vernunft und den Mut, einen solchen Schritt mit der erforderlichen Geschwindigkeit und Härte zu gehen. Dazu muss man nur in Erinnerung rufen, wie folgsam sie all die Sanktionen abgenickt haben, die Westeuropa tatsächlich ruinieren können.

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