In seinem ersten Band "Durch die Wüste" diskutiert Kara Ben Nemsi (Karl der Deutschen Sohn) mit seinem Diener Hatschi Halef Omar immer wieder über seine Werte-Welt. Halef erscheint auch nicht maulfaul, sondern stellt die orientalische Lebenshaltung gegenüber. Keiner der Beiden gibt auf, sondern sie beharren auf ihren Werthaltungen. Dennoch erleben die Lesenden, wie sich aus einer ideologischen Konfrontatin allmählich eine dicke Freundschaft entwickelt, in der Diener und Sidi (Herr) allmählich in partnerschaftlichen Dialog auf Augenhöhe kommen. Karl May zeigt uns, wie gelingende Integration, ja Inklusion funktioniert: Durch respektvolle, wertschätzende, empathische Grundhaltung lassen sich selbst große Kultur-Distanzen allmählich verringern. Karl May war nicht so naiv, dem Orientalen einen "Kurz-Kurs" aufzuzwingen. Das wäre auch zu kurz gedacht und kurzsichtig sinnlos... Miteinander zu leben, die Ansicht beider Seiten zu akzeptieren (nicht nur zu tolerieren) verkürzt die Kluft zwischen Werte-Welten.

In einem haben die Islamisten sehr recht: Wir "Ungläubige" haben innerhalb der letzten Jahrzehnte ganze Werthierarchien geopfert auf dem Altar der allgemeinen Erfolgs-Raserei: ethische, moralische, politische, ideologische, familiäre, religiöse. In unserer "value-light"-Gesellschaft wo Jux und Tollerei die Spaß- und Fun-Gesellschaft - medial unterstützt - befeuern (Das Leben ist ein Hit!) findet sich einfach kaum Platz und Zeit für alte Tugenden und mitmenschliche Pflichten. Schweres "Tugend-Gebäck" ist kaum zu er-tragen. Wir opfern es, tauschen es aus für leichte Ware. Uns passiert es nicht, dass Werte wegbrechen, nein, wir reduzieren es aus Eigenem. Von Wertewandel kann keine Rede sein, denn weit und breit ist keine neue Moral sichtbar. Nur ein Beidspiel dafür: Die tägliche Zuwendungszeit jedes Elternteils ist in den westlichen Industriegesellschaften auf mittlerweile 11 Minuten pro Kind gesunken. Kann mir jemand erklären, wie da noch Erziehung möglich sein soll? Die Kommunikation zwischen Lebenspartnern dauern pro Tag nur noch 4 Minuten! Das sind reine Funktionsgespräche, die keine Reflektion darüber erlauben, dass viele dieser Beziehungen mausetot sind. Fazit: 30% Scheidungsrate. Kein Wunder!

Religöse Fanatiker bomben uns aus der bequem zugerichteten Außenwelt zurück in eine mittelalterliche Weltsicht. Testosteron-bepumpte Jungs begrapschen Frauenzonen, die in ihren Augen zügellose Lust praktizieren könnten. Diese Untergriffe symbolisieren viel mehr als sexuelle Annäherung. Da geht es um Erniedrigung und um den Klau von Vergnügen. Wenn dann noch der Höhepunkt unserer primitiven Schunkelwelt herannaht, wird der religöse Eiferer noch rabiater. Höllisches lachen, blasphemische Karikaturen, besinnungslose Lebensfreude werden in den Ländern der Kaftane eben als Bedrohung der eigenen Religosität gewertet. (Fragt sich nur, wie lange es sich weltoffene Frauen im Golf-Raum noch vorschreiben lassen, käferartig verkleidet herum wackeln zu müssen.) Die Lasterhaftigkeit, Lust und Sinnlichkeit muss verfolgt, gesühnt, gerächt, ja vernichtet werden. Die Haltung ist ident wie sie der blinde, greise Mönch im "Der Name der Rose" auslebt: Jeder, der das Buch von Aristoteles über das Lachen liest, muss sterben! Fanatismus verträgt keine Selbst-Ironie. Auch die Freunderln im rechten Lager lachen nur, wenn andere zu Schaden kommen und so gut wie nie über sich selbst. Darum gibt es auch nur linke Kabarettist/innen.

Angenommen wir wären also in einer globalen Kultur-Revolution. Wir lassen den Kampf der Kulturen über uns ergehen und einen Kultur-Krieg nicht entstehen. Wir setzen uns - a la Kara Ben Nemsi - mit dem und den Fremden erst auseinander und dann zusammen in wertschätzendem Diskurs. Dann wird es wichtig unsere Kultur nicht als die allein seelig machende darzustellen und anderen überzustülpen. Wir sollten - ja wir müssen - Verständnis für fremdartige Sichten aufbringen. Jede der vielen Seiten behält seine Würde und Identität. Dennoch wird es existenziell sein, einen globalen Werte-Kanon zu erwirken, an einer Art trans-kontinentalem Ethik-Teppich zu weben. Auch unser Seelen-Gewebe weist schwere Löcher auf, wurde von uns selbst mit Füßen getreten, ist durch uns verwüstet worden. Daher steht ein dorniger Weg "Durch die Wüste der Tugendlosigkeit" bevor. Vielleicht können wir von der Konfrontation mit dem Fremdsein einiges auch an innerer Lebensqualität rekonstruieren, die wir bedenkenlos geopfert haben. Die meisten Menschen sehnen sich doch nach dem höheren Wert der "Nähe" und "Wertschätzung", anstatt sich mit Sex und Geld abspeisen zu lassen. Das ist der Grund, warum ich das Wort "Willkommens-Kultur" so sehr schätze: Wir heißen Euch willkommen trotz und wegen Eurer Kultur. Nehmt auch unser Geschenk an, unsere Kultur kennen und schätzen zu lernen. Bleibt bei Eurer Identität, aber versucht (so wie wir bei Euch) unsere Welt zu begreifen. Karl May sei dabei unser Mentor.

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Thomas Fuchs

Thomas Fuchs bewertete diesen Eintrag 26.01.2016 10:13:34

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