Nach den G20-Chaostagen in Hamburg: "Rote Flora" bald am Ende?

Krawalle am Rande des G20-Gipfels hinterließen in Hamburg eine Spur der Verwüstung. Der Ruf nach Aufklärung und Konsequenzen wird laut. Was passiert nun mit der linksextrem-autonomen Szene?

Die gute Nachricht: Es gab keine Toten. Die schlechte: Es hätte leicht Tote geben können. Etwa, als der Pilot eines Polizeihubschraubers während eines Einsatzes über bewohntem Gebiet mit einem Laserpointer geblendet und an den Augen verletzt wurde. Mit Mühen brachte er den Helikopter binnen Minuten wieder heil auf die Erde. Als heimtückisch vom Dach geworfene Steine sowie Molotow-Cocktails nur den Wasserwerfer trafen - und nicht die Gruppe Polizisten daneben. Oder als eine Schaufel und Metallschrott an einem Bahngleis verkeilt wurden - mutmaßlich um eine S-Bahn in Hafennähe an einer Brücke zum Entgleisen zu bringen. Das gefährliche Geröll wurde rechtzeitig entdeckt, bevor der nächste Zug anfuhr.

Nach den heftigen Krawallen in den Tagen des G20-Gipfels hat sich etwas verändert in Hamburg. Nicht das große Treffen der wichtigsten Politiker weltweit ist hier Tagesgespräch, sondern die Randale eines blindwütigen Mobs. Im Schanzenviertel, an der Großen Bergstraße im Stadtteil Altona oder an der vorderen Elbchaussee hinterließen schwarzgekleidete, meist vermummte Hooligans eine Spur der Zerstörung. Dutzende Autos wurden angezündet, Geschäfte wahllos beschädigt, geplündert und teilweise in Brand gesetzt - ein Millionenschaden.

Trotz Großaufgebot hatte die Polizei zeitweise große Mühe, der Lage Herr zu werden. In den Nächten zwischen Donnerstag und Sonntag wurde sie wiederholt an mehreren Orten gleichzeitig angegriffen und in Straßenkämpfe verwickelt. Offiziell sprach die Polizei Hamburg hinterher von insgesamt 476 verletzten Beamten. Mehrere hundert Randalierer wurden festgenommen. Unter ihnen befanden sich Dutzende Krawall-Touristen aus dem europäischen Ausland. Nach weiteren wird nun europaweit gefahndet.

Der G20-Gipfel - Prestige oder Fluch?

So hatte Kanzlerin Angela Merkel es sich nicht vorgestellt, als sie vor einigen Monaten Hamburg als Austragungsort für das wichtigste, turnusmäßige Treffen der weltweit führenden Wirtschaftsnationen vorschlug. Handshakes einflussreicher Staatsmänner sollten positive Bilder aus ihrer Geburtsstadt für den kommenden Wahlkampf liefern. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz ließ sich erweichen. Nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung gedachte er, mit einem erfolgreichen G20-Gipfel den Ruf der Hansestadt als internationalen Handels- und Kongresstandort aufzupolieren.

Die Vorbereitungen waren umfassend. Vielen Sicherheitsbelangen musste Rechnung getragen werden - flächendeckender Personenschutz, Terrorgefahr, Demonstrationsfreiheit. Im Vorwege des Events hatte sich im rot-grünen Senat eine Art Arbeitsteilung aufgetan: Die Grünen drängten auf möglichst viel Raum für vielfältigen Protest und bunte Aktionen; die SPD musste sich besonders um die Sicherheit kümmern. Für die Gipfeltage wurden Dutzende Demonstrationen im Innenstadtbereich genehmigt, die viel Polizeikräfte binden sollten.

Vor allem aber mussten die insgesamt 5000 Staatsgäste sich gefahrlos zwischen Flughafen, Hotels, Kongresszentrum und Elbphilharmonie bewegen können - eine große organisatorische Herausforderung. Es wurden 20.000 Beamte aus ganz Deutschland aufgeboten. Sogar aus Österreich und den Niederlanden kam Polizeiunterstützung.

Der größte Unsicherheitsfaktor bei der Planung blieb: die linksautonome Szene.

Die Rolle der "Roten Flora"

Das so genannte Schanzenviertel rund um die platzartige Straße Schulterblatt ist eine außergewöhnliche, lebendige Gegend. Die Bewohnerschaft ist traditionell links: Bei der letzten Bürgerschaftswahl 2015 wählten über 83% von ihnen grün, links oder sozialdemokratisch. Lange waren die Wohnungen für Hamburger Verhältnisse vergleichsweise günstig. Der Kampf gegen das, was man heute "Gentrifizierung" nennt, ist seit Jahrzehnten Thema in der "Schanze". In der Mitte des Quartiers steht in Theatergebäude von 1889 mit stattlicher, bürgerlicher Fassade - in einem betont "unbürgerlichen" Zustand.

Die Flora. Nach einer Phase des Leerstands wollte der Musical- und Theaterproduzent Friedrich Kurz in den 1980er Jahren das Gebäude übernehmen, umbauen und "Das Phantom der Oper" zur Aufführung bringen. Teile des ursprünglichen Flora-Theaters wurden abgerissen. Nach heftigen Protesten von Anwohnern und linken Gruppen zog sich der Investor zurück. Lokale Initiativen durften für eine vorübergehende Nutzung einziehen. Noch während die Stadt über eine Umwidmung der "Flora" als Stadtteilzentrum diskutierte, wurde das Gebäude im Herbst 1989 für besetzt erklärt.

Die linksautonomen Besetzer blieben - bis heute. Politischen Schlagabtausch um die "Rote Flora" gab es oft. Doch verschiedene Bürgermeister - ob von der SPD oder der CDU - hielten letztlich still gegenüber dem linksextrem-autonomen Zentrum im Schanzenviertel. "Lasst ihnen die Spielwiese, dann können wir die Szene immerhin beobachten": So lautete die Devise. Dabei bot der dauerbesetzte Stützpunkt immer wieder Rückendeckung für Aktionen am Rande der Legalität. Häufig kam es nach einem Schanzenfest oder in den Nächten auf den 1. Mai zu gewalttätigen Krawallaktionen von in Schwarz gekleideten Vermummten, von denen regelmäßig nicht wenige von außerhalb anreisten. Letztes Jahr schafften einige von ihnen es sogar, zwei Dienstfahrzeuge vor der nächstgelegenen Polizeiwache anzuzünden, während gleichzeitig ein Großeinsatz lief. Junge Polizistinnen, die als V-Leute in die Szene eingeschleust worden waren, wurden nachträglich enttarnt, ihre Fotos und persönlichen Daten auf Internet-Plattformen der "Autonomen" veröffentlicht.

Die "Protestcamps": Achillesferse der G20-Planungen

Der für das Sicherheitskonzept politisch verantwortliche Innensenator Andy Grote hat die linksextreme Gefahr für den Frieden in der Stadt während der G20-Tage durchaus auf dem Schirm. Er rechnet mit ca. 8000 potenziell gewalttätigen Störern aus ihren Reihen. Eine von Rotfloristen angemeldete Großdemo am Donnerstag unter dem nicht gerade freundlichen Motto "welcome to hell" wird zähneknirschend genehmigt. Doch als die autonome Szene kurzfristig auch noch ein großes "Protestcamp" für bis zu mehrere tausend auswärtige Anhänger im Stadtpark aufbauen will, schrillen bei der Innenbehörde die Alarmglocken.

Grote verbietet das Massenzelten, doch eine Eilentscheidung des Bundesgerichtshofs pfeifft ihn zurück: Polizei und Stadt dürften zwar Auflagen machen und einen anderen Ort zuweisen, aber müssten das Camp dulden. Schließlich nehmen die Linksautonomen die große Wiese des Altonaer Volksparks in Beschlag - ein polizeilich ähnlich schwer zu überwachendes Areal wie der Stadtpark, mit ebenfalls unübersichtlicher Bewaldung drum herum. Es sollte sich als Achillesferse im Sicherheitskonzept herausstellen.

Am Donnerstag Abend eskaliert die "welcome to hell"-Demonstration nahe dem Fischmarkt auf St. Pauli. Polizisten schaffen es nicht, den "Schwarzen Block" zu bändigen und werden daraufhin mit Flaschen, Steinen und anderen Gegenständen angegriffen. Die militanten Gruppen verteilen sich und halten die Polizei großflächig mit Provokationen in Schach. Gegen 20.15 Uhr erreichen Hooligans die Altonaer Fußgängerzone, schlagen rücksichtslos Schaufenster ein, zertrümmern Bänke, zünden Mülleimer an, werfen Plastersteine. Kurz darauf schlagen Flammen aus den Erdgeschossfenstern des großen IKEA-Hauses. (Video via Youtube)

Polizei versus Straßenterror

Als die Polizei Stunden in der Nacht im Volkspark Altona anrückt und erkannte Gewalttäter festnehmen will, entwischen mehrere hundert Leute in der Dunkelheit. Später, im Morgengrauen, taucht eine größere Gruppe schwarz Gekleideter plötzlich an der vorderen Elbchaussee auf. Die vermummten Teufel setzen ein Auto nach dem anderen in Brand, werfen wahllos Gegenstände, die nicht niet- und nagelfest sind, auf die Straße, legen weitere Feuer. (Videos via Youtube: Anwohner filmt von gegenüber bzw. Autofahrt durch die Elbchaussee, Freitag, 7.7. morgens)

Nachts darauf - ein Ausflug der Staatsgäste in die neue Elbphilharmonie bindet gerade viele Spezialeinheiten - geht der Straßenterror weiter. Randalierer machen fast das gesamte Schanzenviertel zur rechtsfreien Zone. Geschäfte, in deren Schaufenster keine Protestplakate gegen den G20-Gipfel hängen, werden geplündert, fast alle Geldautomaten im Quartier zerstört. Polizeieinheiten, die vom Neuen Pferdemarkt aus ins Schanzenviertel vordringen wollen, werden mit brennenden Barrikaden aufgehalten. Von Dächern und Baugerüsten fliegen Molotowcocktails, Flaschen, Bretter auf die Ordnungshüter. Filmaufnahmen aus Polizeihubschraubern dokumentieren die Attacken aus dem Hinterhalt. Sie halten auch fest, wie Angreifer kurzzeitig auf Dächern, an Hauseingängen oder in Nebenstraßen ihre Kleidung wechseln - aus schwarz mach bunt - um anschließend als scheinbar unbeteiligte Zivilisten irgendwo im Umfeld des Geschehens wieder aufzutauchen.

Benjamin Jendro, Gewerkschaft der Polizei Berlin (via Twitter) https://twitter.com/Djeron7/status/883722469940629504

Sonntag: Die Chaostage gehen zu Ende, viele Polizisten sind erschöpft. Die Bewohner der Schanze folgen den Putzkolonnen der Stadtreinigung, nehmen zu hunderten Besen sowie Schrubber in die Hand und räumen ihr Viertel auf. Hamburger aus anderen Stadtteilen kommen dazu. Als sich plötzlich ein Polizeiauto auf das Schulterblatt verirrt, gibt es lauten Applaus.

Ähnliche Szenen der Solidarität mit der Polizei auch anderswo. In der Nähe des Millerntors findet ein symbolisches Sit-In statt. Der Leiter der Demo versichert über Lautsprecher, dass alles friedlich bleibt: Die Polizisten könnten gerne ihr Gesicht zeigen. Tatsächlich nehmen die Ordnungshüter nach und nach ihre Helme ab. Die Demonstranten jubeln, schwere Jungs in Uniform reagieren nach der Anspannung der letzten Tage sichtlich gerührt. Auf Twitter und Facebook bedankt sich die Polizei für die gezeigte Solidarität aus der Bevölkerung: "Zahlreiche Sympathiebekundungen erreichen Polizisten in ganz Deutschland. Wir können gar nicht genug DANKE sagen!"

Linksextremismus - ein vernachlässigtes Problem

Auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die Geschehnisse geben Polizeipräsident und Einsatzleiter umfassend Auskunft über Planungen und Ablauf der für Hamburg so schwierigen G20-Tage. Ein nachdenklich-zerknirschter Olaf Scholz bedauert, dass er das Versprechen eines rundum sicheren G20-Gipfels gegenüber der Bevölkerung nicht hat einlösen können. Journalistenfragen nach einem möglchen Rücktritt weicht der Erste Bürgermeister aus. Dass es Kanzlerin Merkel war, die Hamburg den G20-Gipfel einbrockte, wird nicht thematisiert. Unterdessen schimpfen Politiker aus den Reihen der Grünen und der Linken von fernab über die vermeintlichen Fehler bei der Einsatzleitung und angebliche Provokationen durch die Polizei - reflexartige Blankobeschuldigungen, wie wir sie seit vielen Jahren kennen.

Richtig peinlich jedoch sind die Äußerungen aus dem Umfeld der Roten Flora. Auf die Zerstörungen in der Schanze angesprochen, erklärt ihr Anwalt und Sprecher Andreas Beuth im NDR: „Wir als Autonome und ich als Sprecher der Autonomen haben gewisse Sympathien für solche Aktionen. Aber doch bitte nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen. Also, warum nicht in Pöseldorf oder Blankenese?“ Auch in einer Presseerklärung gegenüber dpa schaffen die Bewohner des Linksradikalen-Stützpunkts es nicht, sich von der Welle der Gewalt zu distanzieren. (Siehe Foto)

Rote Flora (via Twitter) https://twitter.com/Florabaut/status/883992912215855104

Presseerklärung Rote Flora nach G20-Krawallen

Die Stellungnahmen aus dem Lager der Roten Flora sind Zeugnis von Realitätsverweigerung und weltanschaulicher Borniertheit. Die Altlinken wirken wie aus der Zeit gefallen. Ihre Utopie ist gescheitert. Auch die Mehrheit der Anwohner im Schanzenviertels dürfte der Flora-Nachbarn inzwischen klar überdrüssig sein.

Die möglichen Gefahren des Linksextremismus waren in den letzten Jahren ein politisch stark vernachlässigtes Thema. Nun aber könnte sich dies - zumindest in Hamburg - schlagartig ändern. Man darf gespannt sein, wie der Senat in den nächsten Wochen auf den schwarzvermummten Straßenterror reagiert. Rücktritte des Ersten Bürgermeisters Scholz oder des Innensenators Grote - noch die fähigsten Köpfe in der Hamburger SPD - würden die Probleme nicht lösen.

In der Hamburger Bevölkerung war von Anfang an keine Begeisterung für G20 zu verspüren. Es dürfte nun umso deutlicher geworden sein, warum die Bürger in einer Volksbefragung gegen die Austragung Olympischer Spiele in der Hansestadt votierten. Die Zeit des Laissez-faire gegen Linksextreme muss nun vorbei sein. Ich wünsche dem SPD-geführten Senat, dass er den Mut finden wird, bald im Umfeld der "Roten Flora" gründlich aufzuräumen. Rechtlich wäre eine Räumung möglich, denn das Gebäude ist im Besitz der städtischen Lawaetz-Stiftung. Falls die Grünen sich zieren, könnte es einen Wechsel des Koalitionspartners erfordern und einen Schwenk zur FDP oder der CDU notwendig machen.

Nach den Krawallen in Hamburg kann man froh sein, dass die Orte für die nächsten G20-Gipfel weit weg liegen: 2018 Argentinien, 2019 Japan. Beim Hamburger G20-Gipfel wurde auch das Gastgeberland für das Nachfolgetreffen in 2020 bekannt: Saudi-Arabien. Das ist zwar ein weitgehend undemokratisches Land. Aber immerhin gibt es dort keine Antifa.

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Ergänzende Links:

* Video der Polizei Hamburg: Dokumentation Angriffe auf Polizisten (Youtube)

* „Die Folge einer Politik, die so getan hat, als gäbe es keinen Linksextremismus“, Die Welt, 11.7.2017

* „Sie haben meine Verachtung“, Offener Brief von Peter-Matthias Gaede (FAZ), 11.7.2017

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