Von den Mechanismen des Dirty Campaigning

Wie dumm muss einer sein, der es für möglich hält, dass jemand als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten antreten kann, wenn gegen ihn zugleich ein Entmündigungsverfahren läuft? Wie unterbelichtet muss jemand sein, um die Farbe des Zahnschmelzes als Hinweis auf eine Krebstherapie infolge Lungenkrebs zu deuten? Wie eingeschränkt in seinem Urteilsvermögen muss jemand sein, um solchen Schwachsinn zu glauben oder auch weiterzuverbreiten?

Beim Dirty Campaigning, beim Wahlkämpfen unter der Gürtellinie, ist das völlig egal. Es rechnet eh niemand damit, dass für die einzelnen Episoden solcher Schlammschlachten ein Wahrheitsbeweis angetreten wird. Jedermann und jede Frau weiß, dass diese Unsäglichkeiten erstunken und erlogen sind. Völlig egal. Sie finden ihren Weg an die Öffentlichkeit, und je abstruser sie ausfallen, desto weiter verbreiten sie sich, wie Exkremente, die in den Ventilator der Social Media gestreut werden.

Es geht um symbolische Sprache. Der Psychiater Friedrich Hacker beschreibt in seinem Buch über den Terror - aus den 1970ern, aber nach wie vor gut zu lesen - eine Eigenart der arabischen Welt: die blumig ausgeschmückte Formulierung, deren Worte nicht Fakten übermitteln wollen, sondern Beziehung ausdrücken. Er berichtet von einem legendären Telefonat zur Zeit des Sechstagekrieges, mitgeschnitten vom Mossad, in dem der ägyptische Präsident Nasser dem jordanischen König Hussein versichert, er werde nun die geballte Kraft seiner Panzertruppen ins Gefecht werfen, um Israel endgültig zu besiegen. Darauf kündigt Hussein an, dass er noch in der gleichen Stunde seiner Luftwaffe den Befehl erteilen werden, die ägyptische Offensive mit entscheidenden Luftschlägen zu unterstützen und den Endsieg zu bewirken.

Nun besaßen zu diesem Zeitpunkt Nasser keine Panzer und Hussein keine Flugzeuge mehr, das wusste die Welt, das wussten Nasser von Hussein und Hussein von Nasser ... was sollten also diese offenkundigen Lügen, diese Versprechen, die nicht ein Sandkorn in der Wüste Sinai wert waren? Es ging dabei schlicht darum, mit verbaler Kraftmeierei unter Kampfgenossen zu bekunden, dass man einander beistehen würde, auch über die Niederlage hinaus. Man erzählte einander sozusagen in ausgeschmückten Geschichten, dass man sich von der schnöden Wirklichkeit nicht besiegen lassen wollte, dass man unverbrüchlich Bundesgenosse bleiben wollte gegen den gemeinsamen Feind.

Im Orient ist solche Art, miteinander zu reden, seit Jahrtausenden kommunikative Tradition. Von den ersten Zeugnissen schriftlicher Überlieferung über die Geschichten aus Bibel, Talmud und Koran bis zu den wortgewaltigen Exzessen der selbsternannten Kalifen von heute drücken die "wilden Geschichten" nicht so sehr das aus, was sie in Worten sagen, sondern sie formulieren vor allem Beziehung: Treuegelöbnisse gegenüber dem eigenen Stamm; Vergewisserung, wer als Feind zu betrachten sei, indem er in gemeinsamen Sprachformen geschmäht wird.

Diese Sprachtradition macht es für nüchterne Angehörige des atlantischen Raumes schwer, konstruktiv mit dem mediterranen Sprachduktus zu kommunizieren, ihn überhaupt zu verstehen. So entstehen die Vorwürfe der Verlogenheit, der Unzuverlässigkeit, des Betrugs. Auch der Antisemitismus hat in solchen sprachlichen Unverträglichkeiten etliche seiner tief reichenden Wurzeln. Einer, der Brücken zwischen beiden Welten schlagen wollte wie der Philosoph Baruch Spinoza, landete am Ende zwischen allen Stühlen, ausgeschlossen aus der jüdischen Gemeinschaft, als Jude verachtet von vielen seiner niederländischen Zeitgenossen.

Wenn also heute im Dirty Campaigning die haarsträubendsten Geschichten verbreitet werden, versichern sich dabei vor allem die Angehörigen der jeweils eigenen Gevolkschaft ihrer Standfestigkeit und Zugehörigkeit zum wahren Glauben an das, was sie umtreibt. Man teilt dieselben Geschichten und man teilt sie einander mit, um damit symbolisch die eigene Verbundenheit zu stärken und den Feind gemeinsam zu schmähen. Und man erkennt einander an den Sprachabzeichen, die man von sich gibt. Was die Kornblume am Revers, das ist die Hetzparole in den Social Media. Wie es das alte Sprichwort drastisch formuliert: Ein Schwein erkennt das andere an seinem Gang.

Interessant ist, dass die dabei verwendeten Mechanismen sich perfekt gleichen, wie ja auch die Strukturen des Fundamentalismus und Fanatismus von Nahen Osten bis in den hohen Norden auswechselbar sind.

Am lautesten werden solche wortgewaltig überzogenen symbolischen Bekundungen immer dann, wenn man's am nötigsten hat, die Reihen dicht geschlossen zu halten und verbal mit festem Schritt und Tritt aufzutreten. Die jüngsten G`schichtldruckereien zwischen Lungenkrebs und Sachwalter ähneln sehr dem Austausch von Nasser und Hussein über ihre Panzer und Flugzeuge.

Pixelio.de/Janusz Klosowski pixelio.de

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