Waffen-Fetisch und andere Irrtümer

Mit schöner Regelmäßigkeit, nein, eigentlich kann man eher sagen, mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks, werden die (Un)Tiefen der Seelen des menschlichen Daseins offenbart. Und zwar dann, wenn wieder einmal ein Amokläufer sein Unwesen getrieben hat. Da werden offenbar Bereiche unseres Gehirns stimuliert, die dafür sorgen, dass logisches und objektives Denken nach Walhall fährt. Und alles nur mehr in extremes Schwarz und ebensolches Weiß aufgeteilt wird. Und der Mensch beweist stellt unter Beweis, dass er das Fach des Polarisierens zur Perfektion beherrscht. Keine Frage, ein Amokläufer ist etwas schreckliches, da gibt es nichts, aber auch gar nichts, zu beschönigen oder gar zu relativieren. Auch jeder Versuch, eine Rechtfertigung zu erstellen, wie es in manchen Medien traurigerweise passiert, ist absolut abzulehnen.

Am intensivsten, so kommt es mir zumindest vor, wird danach immer die Diskussion um den Waffenbesitz geführt. Natürlich meist, ohne auch nur die geringste Ahnung von der Materie zu haben. Jetzt werden sich manche fragen, wieso gerade die Transe glaubt, berechtigt zu sein, über dieses Thema zu schreiben. Nun, ich werde mich jetzt kurz outen: in meinem früheren Leben war ich mal Polizist. Viele Jahre lang. Auf jeden Fall lange genug, um ein wenig Einblick zu haben, und mit der Thematik vertraut zu sein. Sehen wir uns die Argumente mal im Detail an: da gibt es auf der einen Seite jene, die behaupten, ein schärferes Waffengesetz würde Amokläufe verhindern. Weil die potentiellen Täter in weiterer Folge nicht in der Lage wären, an Schusswaffen zu gelangen. Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die Waffenbefürworter, die meinen, wenn jeder bewaffnet wäre, gäbe es ebenfalls keine Amokläufe. Aus Abschreckungsgründen, oder weil jederman dann einen Amokläufer stoppen könnte, bevor dieser schlimmeres anrichtet.

Nun, bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass leider beide Argumente gegen die Wand fahren:

Ein strengeres Waffengesetz würde leider gar nichts verhindern. Halt, stimmt nicht ganz. Ad hoc-Taten, also Verbrechen im Affekt, werden dank eines durchdachten Waffengesetzes sehr wohl in ihrer Schwere gemildert. Ganz verhindert natürlich nicht, denn ein Messer ist immer irgendwo griffbereit. Aber dass sich jemand „in einer heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lässt”, plötzlich mit einer Schusswaffe die Beherrschung zu verlieren, kann so gut wie ausgeschlossen werden. Wie gesagt, wenn das Waffengesetz durchdacht ist und in weiterer Folge natürlich auch überwacht wird. Aber die meisten Amokläufe, vor allem diejenigen, die in der letzten Zeit für Aufsehen gesorgt haben, sind kaum Affekthandlungen. Im Gegenteil: Anders Breivik zum Beispiel hat sich, erwiesenermaßen, auf seine schreckliche Tat im Jahr 2011 in Norwegen mehrere Jahre vorbereitet. Schon alleine das Verfassen eines 1500 Seiten umfassenden Manifestes geschieht nicht von heute auf morgen. Auch die beiden Attentäter von der Columbine High School vom April 1999 haben sich akribisch und langwierig auf den Wahnsinn, den sie unternommen haben, vorbereitet. Kriminelle Energie ist grenzenlos, und wenn jemand wirklich davon überzeugt und willens ist, eine solche Tat zu begehen, dann verschafft sich diese Person Zugriff auf Schusswaffen. Ganz egal, wie restriktiv ein Waffengesetz ist.

Andererseits ist auch der Aufruf zur freizügigen und allgemeinen Bewaffnung strikt abzulehnen. Denn das Argument, dass eine Schusswaffe bei der Selbstverteidigung hilfreich wäre, ist leider ein Trugschluss. Klar, wenn man intensiv trainiert ist, dann kann einem die Verwendung der Schusswaffe als allerletztes Mittel zum Zweck (zum Schutz von Leib und Leben) durchaus hilfreich entgegen kommen. Mit intensivem Training meine ich jedoch nicht das Schießen auf ein Papierziel, das regungslos, und vor allem ohne auch nur die geringste Gefahr für einen darzustellen, alles mit sich geschehen lässt. Denn eines muss einem auf jeden Fall klar sein: Eine Schusswaffe auf einen Menschen zu richten, ist eine extreme emotionale Herausforderung. Das wird von den meisten unterschätzt. Vor allem muss dann ja auch eine Gefahr für Leib und Leben gegeben sein. Denn sonst kommts ja gar nicht dazu. Und angesichts der Lebensgefahr klar denken und handeln zu können, und die Handhabung der Waffe dann auch noch zu beherrschen, ist alles andere als selbstverständlich. Um in einer solche Situation handlungsfähig zu bleiben, muss man Szenarientrainings absolvieren. Also Rollenspiele, mit mehreren Menschen. Wo man mit speziellen Trainingswaffen und Farbmunition hantiert. Diese ist zwar nicht gefährlich, erfordert jedoch eine Schutzkleidung, und hinterlässt, wenn man getroffen wird, trotzdem blaue Flecken und ist einigermaßen schmerzhaft. Somit entsteht ein leichter Stress, der natürlich noch immer nicht annähernd mit einem realen Erlebnis vergleichbar ist, aber zumindest besser, als stumpf auf Zielscheiben zu schießen. Ein derartiges Training absolvieren aber meist lediglich professionelle Sicherheitsbehörden, also Polizei, Militär, und vielleicht noch einige wenige private Sicherheitsfirmen. Der Großteil der 08/15-Waffenbesitzer kommt über ein Zielscheibenschießen nicht hinaus, und ist somit völlig ungeeignet, sich im Ernstfall mit einer Schusswaffe zu verteidigen. Und bei wievielen Amokläufen in den USA, wo es eines der liberalsten Waffengesetze der Welt gibt , ist es vorgekommen, dass ein beherzter und bewaffneter Bürger dem Amokläufer Einhalt geboten hat? Mir ist kein einziger Fall bekannt. Die Amokläufer haben sich, wenn die Situation ausweglos wurde, allesamt entweder suizidiert oder wurden von Sicherheitspersonal erschossen. Eher die Ausnahme bilden solche wie zum Beispiel Breivik, der sich widerstandslos von der Polizei festnehmen ließ, nachdem diese endlich zu ihm vorgedrungen war.

Ausserdem ist es meiner Meinung nach ohnehin ein Verbrechen, wenn eine Schusswaffe in einem Haushalt aufbewahrt wird, in dem auch Kinder leben. Denn ein Restrisiko kann nie und nimmer zu 100 % ausgeschlossen werden. Schon alleine deshalb ist es schlichtweg nicht zu verantworten, eine Schusswaffe zu Hause zu haben.

Ein beliebtes Argument der Waffen-Befürworter ist ja auch folgendes: „Nicht die Waffe tötet, sondern der Mensch, der sie bedient.“ Ehrlich gesagt, hab ich noch nie einen schwachsinnigeren Satz gelesen. Was soll dieser Satz aussagen? Es ist bekant, dass die Waffe nicht von alleine schießt. Aber leider haben nunmal viele Menschen ihre Emotionen nicht unter Kontrolle, und man kann auch in keinen Menschen reinschauen. Also, logisch, dass der Mensch die Waffe bedient und im Endeffekt damit tötet. Und eben um zu verhindern, dass ein emotional instabiler Mensch mit der Waffe Unsinn verübt, muss man alles tun, um zu verhindern, dass er an eine herankommt.

Aus all den oben genannten Gründen plädiere ich dafür, dass, wenn schon, dann ausschließlich geschultes und trainiertes Sicherheitspersonal auch privat eine Schusswaffe besitzen darf. Für alle anderen stellt eine Schusswaffe in jedem Fall eine Gefahr dar, und deshalb ist der Privatbesitz abzulehnen.

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