Whale watching oder Hungerhaken - der Verlust der gesunden Mitte

Ist es nicht schön? In der Früh werden wir bereits von singenden Vögeln geweckt. Draußen lacht die Sonne vom Himmel, Mütze, Handschuhe und Winterstiefel können endlich wieder im Keller verstaut werden. Und abends verlässt man die Arbeit wieder bei Tageslicht. Schön, ein paar Wochen wird’s zwar noch dauern, aber die ersten Boten sind unübersehbar. Und eh man sich’s versieht, ist sie da. Unaufhaltsam. Und unbarmherzig. Die Bikini-Saison.

Und spätestens jetzt bereut man die vielen Weihnachtskekse und Schokolade-Ostereier, die man sich während der Feiertage, und auch sonst immer wieder zwischendurch, gegönnt hat. Um dem eigenen Gemüt zu helfen, über die kalte und viel zu lichtlose, depressive Zeit hinweg zu kommen. Schokolade tut bekanntlich der Seele gut. Und fühlt sich die eigene Seele wohl, ist man ja auch für die Mitmenschen erträglicher. Und wer kennt ihn nicht, den Moment, wenn die Schokolade im Mund verschwindet, sich auf die Zunge legt und die Geschmacksknospen in Aufruhr bringt, sodass unsere Endorphinproduktion Achterbahn fährt. Da gibt es nichts, aber auch gar nichts, was hier mithalten könnte. Der freudig mentale Effekt kehrt sich aber ganz schnell ins Gegenteil um, denn die Spuren, die der exzessive Genuss von Süssem an Bauch, Bein und Po hinterlassen hat, sind leider nicht zu übersehen. Weil ebenso freizügig wie beim genießen von Schokolade und Co, war man auch kreativ beim Ausreden suchen für das Rechtfertigen der eigenen körperlichen Inaktivität. Viel zu kalt, viel zu nass, viel zu dunkel, viel zu alleine, viel zu wenig Zeit,…, usw. Das kommt uns doch allen bekannt vor, oder?

„Zum Glück“ springt die Öffentlichkeit, in Form der Werbewirtschaft, schön langsam ebenfalls auf diesen Zug auf. Früher konnte man in den meisten Modekatalogen brettlebene Hungerhaken betrachten, bei denen man das Gefühl hatte, sie würden mit dem nächsten heftigeren Windstoß bis nach Australien geblasen werden. Models, die auch nur ansatzweise Brüste hatten, wurden nicht mehr gebucht, da sie von der Modeindustrie als zu dick eingestuft wurden. Die Kritik an dieser Industrie wurde, berechtigterweise, immer lauter. Transportiert diese Vorgehensweise doch ein unrealistisches und nicht ganz unproblematisches Frauenbild, was bei manchen Mädchen, vom Schlankheitswahn besessen, zu gefährlichen Verhaltensweisen geführt hat. Immerhin hat man in Studien ermittelt, dass es in Österreich jährlich rund 1000 Neuerkrankungen an Bulimie gibt.

In letzter Zeit hat man aber das Gefühl, dass die Werbeindustrie umdenkt. So finden sich heute immer mehr sogenannte XL-Models in den Modekatalogen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Frei nach dem Motto, wenn es die Frauen nicht schaffen, ihre fetten Ärsche abzuarbeiten, erklären wir ebendiese, kurz und bündig, für schön. „Rund und Gsund!“ ist plötzlich salonfähig, weil man weiß, dass die meisten Menschen einfach nicht in der Lage sind, ihren inneren Schweinehund zu überwinden, und sich körperlich zu betätigen. „Es ist ok, wenn du fett bist und dich gehen lässt. Du bist trotzdem schön.“ Diese Message wird uns nun vermittelt. So weit, so gut.

Aber ist die Botschaft, die hier gesendet wird, nicht eine ebenso riskante, ja sogar gefährliche? Immerhin gelten 41 % der erwachsenen Menschen in Österreich als übergewichtig, 11 % haben sogar einen Body Mass Index von 30 und darüber, gelten somit als fettleibig. Besonders erschreckend ist, dass auch immer mehr Kinder davon betroffen sind. So soll inzwischen jedes fünfte Kind in Österreich übergewichtig sein. Und abgesehen von den eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten, mit denen Übergewichtige zu kämpfen haben, sind ja auch die gesundheitlichen Folgen fatal. So haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass bereits im jungen Erwachsenenalter, also zwischen 18 und 25 Jahren, eine Gewichtszunahme von durchschnittlich 15,2 Kilogramm mit einem um 22 Prozent erhöhten Darmkrebsrisiko verbunden ist. Und Darmkrebs ist immerhin die dritt- bzw. zweithäufigste Krebsform, an der Männer bzw. Frauen in Österreich und Deutschland erkranken. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen verläuft die Krankheit tödlich. Vom erhöhten Risiko, an Diabetes und kardiovaskulären Störungen zu erkranken, ganz zu schweigen.

Muss es denn immer ins Extreme gehen? Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass unsere Gesellschaft die Fähigkeit verloren hat, sich einfach nur in der gesunden Mitte anzusiedeln. Ein Knochengestell hat nichts Schönes an sich, aber „whale watching“ in aller Öffentlichkeit muss es ja auch nicht unbedingt sein. Ein wenig mehr Selbstdisziplin würde uns allen nicht schaden. Denn dann wären wir nicht nur gesünder, sondern die Welt auch wieder ein klein wenig ästhetischer.

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fischundfleisch

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liberty

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