Atemnot, Entzündungen, Gelenkserkrankungen – unter diesen und vielen weiteren Krankheitsbildern leiden zahlreiche Haus- und Nutztiere infolge extremer Züchtungen. Ein schmerzfreies Leben ist ihnen verwehrt. Zwar sind sogenannte Qualzuchten laut Tierschutzgesetz verboten, doch die Zucht nach bestimmten ästhetischen oder leistungsorientierten Zielen findet kein Ende. Da Tierleid juristisch schwer einschätzbar ist und Verordnungen mit konkreten Ausführungsbestimmungen fehlen, findet eine Strafverfolgung kaum statt. Wir beobachten besorgt die ansteigende Akzeptanz von Qualzucht und die Normalisierung der daraus folgenden Tierleiden und fordern ein Umdenken aller beteiligten Akteure.

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Der Präsident der Bundestierärztekammer Dr. Uwe Tiedemann definiert die Qualzucht als „[…] Züchtung von Tieren unter Duldung oder mit Förderung von Merkmalen, die mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen für die Tiere verbunden sind.“ Diese Art von Züchtungen sind laut §11b des Deutschen Tierschutzgesetzes verboten:

„Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch biotechnische Maßnahmen zu verändern, soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse oder im Falle der Veränderung Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung

1. bei der Nachzucht, den biotechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder

2. bei den Nachkommen

3. a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,

4. b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder

5. c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.“

Die genaue Definition dessen ist doch Auslegungssache, da eine Konkretisierung des Begriffes Qualzucht im Gesetz fehlt und jedes Gericht selbst entscheiden kann. Es gibt aber individuell erstellte Gutachten, welche von Gerichten herangezogen werden können, wie beispielsweise vom BMEL oder ein Merkblatt von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. Dennoch fehlen auch in Bezug zur Strafverfolgung Richtlinien – dies führt dazu, dass die Qualzucht selten geahndet wird.

Die Diskussion um den Rassestandard bei Hunden und Katzen

Das Thema Qualzucht wird zwischen Tierärzten, Züchtern und Tierbesitzern hitzig diskutiert.

Züchtervereine und -verbände von Haustieren verteidigen ihre Zuchtkriterien häufig damit, dass durch die strenge Zucht nach bestimmten Kriterien und Voraussetzungen Erbkrankheiten überwacht werden und Leiden potentiell sogar verringert werden könnten. So behaupten den Zuchtvereinen angeschlossene Mopszüchter, dass ihre Hunde vollkommen gesund seien und nur die Hunde von nicht anerkannten Züchtern Krankheiten aufwiesen.

Gegner der Qualzucht widersprechen und argumentieren, dass viele Rassen – darunter Möpse, Französische Bulldoggen, Perserkatzen, Sphinx-Katzen – unter zuchtbedingten Krankheiten aufgrund der Umgestaltung ihrer Körperteile litten. Teils würden sie Krankheiten aufweisen, die auch zum Tod führen können. So ist beispielsweise der Cavalier King Charles Spaniel von vielen Erbkrankheiten, insbesondere Herzklappenerkrankungen, betroffen: Solche Mitralklappen-Fehler (MVD) kommen bei dieser Rasse zwanzig Mal öfter vor als bei anderen Rassen – bei über 50 Prozent der Tiere werden sie schon in den ersten fünf Lebensjahren diagnostiziert und fast alle belastet die Erkrankung im zunehmenden Alter.

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Wegen der anhaltenden Problematik der Qualzuchten bei Heimtieren hat die Bundestierärztekammer bereits 2016 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, deren Fokus vor allem auf der Aufklärung über tierschutzrelevante Merkmale bestimmter Rassen liegt.

„Wir wollen dabei bestimmte Rassen nicht verteufeln oder verbieten. Wir wollen über die massiven gesundheitlichen Probleme aufklären, unter denen Hunderassen wie Möpse, Englische und Französische Bulldoggen, aber auch Perserkatzen oder Nacktkatzen, leiden können. So mögen runde Schädel mit extrem kurzen Nasen und großen Glubschaugen auf viele Menschen drollig wirken. Es handelt sich dabei aber um eine züchterische Deformation des Schädels, die mit Atemnot, Störungen in der Thermoregulation und Vorfall des Augapfels einhergehen kann“, so Dr. Friedrich Röcken, der Leiter der AG.

Defekte als Zuchtziele

Vermeintliche Defekte, wie veränderte Gliedmaßen oder keine Haare, gehören bei manchen Rassen sogar zum Zuchtziel. Die Manx-Katze zum Beispiel ist schwanzlos und hat eine missgebildete Wirbelsäule. Der dadurch hervorgerufene Gang gilt letztendlich als Zuchtziel dieser Katzenart. Das Ausmaß des Defektes, dessen Auswirkungen vor allem die Hinterhand betrifft, geht oft nicht nur mit deutlichen Störungen der Bewegungsabläufe, sondern auch mit neurologischen Ausfallerscheinungen der inneren Organe wie dem Enddarm einher. Auch andere schwanzlose Katzenarten wie der Cymric, die Japanese Bobtail oder Kurilen Bobtail sind von derartigen Einschränkungen betroffen. Für die Manx-Katze wurde in Deutschland bereits ein Zuchtverbot ausgesprochen, für die Japanese Bobtail und die Kurilen Bobtail gibt es aber bisher nur Empfehlungen, beispielsweise vom BMEL, an die Zuchtverbände – so sollten die zur Zucht genutzten Tiere auf Wirbelverwachsungen und Schmerzempfindlichkeit im Schwanzbereich untersucht und die entsprechenden Tiere gekennzeichnet und ins Zuchtbuch eingetragen werden.

Züchter der verschiedenen Heimtierrassen verweisen gerne auf den von den Zuchtverbänden definierten Rassestandard. Dem Vorschlag von Tierärzten und Tierschützern, verschiedene Rassen zu mischen, um die Defektzucht zu verringern, wird mit dem Argument widersprochen, dass man dadurch die Besonderheit der eigentlichen Rasse verlieren würde.

Auch Kleintiere sind betroffen

Auch Kleintiere betrifft die Qualzucht. So entspricht die beliebte Kaninchenrasse Widder – auch als „Schlappohr-Kaninchen“ bekannt – dem Rassestandard, je stärker die Ohren hängen. Dadurch steigt die Gefahr von Ohrenzündungen, Taubheit sowie Einschränkungen des Sichtfeldes, welches starke Auswirkungen auf das Verhalten haben kann. Große Kaninchenrassen, wie Deutsche Riesen tendieren hingegen aufgrund des hohen Gewichtes zu Sohlengeschwüren, Kreislaufstörungen und durch die starke Gelenkbelastung zu Arthrose. Des Weiteren weisen sie im Vergleich zu mittelgroßen Kaninchen mit einer Lebenserwartung von mindestens acht bis zehn Jahren ein jüngeres Sterbealter bereits in den Lebensjahren sechs bis acht auf. Langhaarrassen, wie beispielsweise Angorakaninchen, neigen zu verschiedenen Magen-Darm-Krankheiten, Hitzestau und sind durch die Menge ihres Fells in ihren Bewegungen stark eingeschränkt.

STS Medieninformation

Qualzucht bei Vögeln, Fischen und Exoten

Diverse Beispiele von Qualzuchten finden sich auch bei Vögeln, Fischen und Reptilien. So werden Kanarienvögel mit extra langem Hals und federlosen Körperteilen gezüchtet – Flugunfähigkeit, Sichtbehinderungen und Gleichgewichtsstörungen sind die Folge. Kropftauben leiden aufgrund ihres groß gezüchteten Kropfes unter Kropfentzündungen und potentiell sogar dem Reißen des Kropfes.

Fische können aufgrund von Veränderungen der Flossen, des Skeletts und manchmal sogar der inneren Organe nicht mehr richtig schwimmen. So wurde dem Berliner Guppy ein lebenslanges, ungebremstes Flossenwachstum angezüchtet. Die Folge ist, dass sich die Tiere im ausgewachsenen Zustand nur noch durchs Wasser „schlängeln“ können.

Bei Reptilien werden die Schuppenfarbe und das Muster sowie die Größe des Tieres durch die Zucht oft stark verändert. Defektzüchtungen, beispielsweise mit dem Ziel nach schuppenlosen Tieren, nehmen zu. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Schuppen den Tieren nicht nur zur Tarnung, sondern auch zur Thermoregulation, zum mechanischen Schutz und bei Schlangen zur Fortbewegung dienen. Veränderungen können zu Krankheiten, Verletzungen, aber auch zu Verhaltensstörungen führen.

Qualzucht bei Schweinen, Rindern und Hühnern

Bei Nutztieren wird die Qualzucht insbesondere mit dem Ziel der Leistungssteigerung betrieben. Hühner ereilen besonders schmerzhafte Zuchtdefekte: Durch die erhöhte Legeleistung der Legehennen bzw. die gezwungene Gewichtszunahme werden Knochen und Organe geschädigt14 – 70 Prozent aller Masthühner leiden unter Skelettschäden, Deformationen und Herzerkrankungen. Auch bei Schweinen führt die schnelle Gewichtszunahme, 100 Kilogramm in sechs Monaten, regelmäßig zu Entzündungen der Knochen und Gelenke sowie zu Kreislaufbeschwerden und – durch die körperliche Belastung sowie stressbedingt – zum plötzlichen Herztod. Aufgrund der Zucht auf großen Fleischansatz neigen Fleischrinder häufig zu Klauengeschwüren, da das hohe Gewicht den Körper stark belastet. Die durch die kalorienreiche Ernährung erzwungene Gewichtszunahme belastet den Stoffwechsel und führt zu Gelenks- und Stoffwechselerkrankungen.

Wikicommons

Milchrinder leiden als Resultat der heutigen Zucht auf Höchstleistung dazu noch unter reduzierte Fruchtbarkeit. Sie produzieren mehr als doppelt so viel Milch als vor 50 Jahren – mit traurigen Konsequenzen: Viele Tiere werden im Alter von nur fünf Jahren geschlachtet – das ist ein Viertel ihrer natürlichen Lebenserwartung.

Die WTG fordert einen Wandel

Unsere Forderungen richten sich an…

… die Gesetzgebung: Solange es keine konkrete Definition von Qualzucht gibt, wird sich an den oft tierquälerischen Zuständen nichts ändern. Eine Neuregelung muss helfen, durch Qualzucht bewusst erzeugtes Leid zu verhindern. Es müssen beispielsweise auf die Züchtung zurückzuführende Krankheiten und Verhaltensstörungen benannt werden. Für bestimmte Rassemerkmale, die Schmerzen oder Leid verursachen, sollten Zuchtverbote in Erwägung gezogen werden. Die Strafverfolgung von Qualzucht muss des Weiteren nicht nur klarer, sondern auch strenger angesetzt werden.

… Zuchtverbände: Zuchtvereine von Qualzuchtrassen müssen ihre Standards überdenken. Gesundheit sollte immer als Priorität in der Zucht gelten, nicht das Äußerliche beziehungsweise die Leistung des Tieres. Auch von den einzelnen Züchtern aus sollte mehr Druck auf die Verbände ausgewirkt werden. Hier würde schon ein Umschwenken der eigenen Zucht zu gesünderen Tieren ein erster Schritt sein. Die Folgen der gezielten Zucht nach bestimmten Eigenschaften wurden in verschiedenen Rassen schon mehrfach wissenschaftlich nachgewiesen – Bedenken und Nachfragen sind hier daher nicht als persönlicher Angriff zu sehen, sondern als angebrachte Sorgen um das Wohl der Tiere.

… und (potentielle) Tierhalter und Verbraucher: Es muss mehr Verantwortung übernommen, das Wohl der Tiere priorisiert und sich gegen die Zucht auf bestimmte Merkmale – den Niedlichkeitsfaktor bei Haustieren und die Hochleistung bei Nutztieren – stark gemacht werden. Insbesondere die Haustierzucht ist stark von der Kundennachfrage beeinflusst. Die Zucht von gesunden Tieren kann daher von uns eingeleitet werden, indem zukünftige Tierbesitzer gezielt Gesundheit über Aussehen setzen und dies auch den Züchtern so mitteilen. Es sollte des Weiteren jedem klar sein, was er mit seinem Kaufverhalten unterstützt – durch eigene Recherchen kann man sich hier eine eigene aufgeklärte Meinung bilden – und man sollte überlegen, ob man dieses weiterhin unterstützen möchte.

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