Ich als Angeklagter oder: Warum ich unserer Justiz wieder vertraue.

Ich hörte Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, wie er sich stundenlang aus Vorwürfen herauszureden versuchte. Ich erlebte Ex-Rotlichtkönig Richard Steiner, wie er die Wahrheit über den „Nokia Club“ vom Wiener Gürtel ausplauderte. Ich horchte freche Kleinganoven, lauschte feigen Taschendieben und staunte über korrupte Finanzverbrecher. Unzählige Male war ich als Journalist Beobachter im Gerichtssaal und versuchte nachzuvollziehen, wie es sein muss als Angeklagter in diesem Land. Vor sich der Wahrheit verpflichtende Richter und Staatsanwälte, hinter sich kritische Gerichtskiebitze und noch kritischere Medien. Und im Nacken der eigene Verteidiger und der rote Faden, der nicht verloren werden darf.

Jetzt also ich selbst. Vergangene Woche, Zivilgericht Wien: Beim Aufrufen meines Namens stockt mir der Atem, erstmals in meinem Leben bin ich also Angeklagter. Es ist freilich keine große Sache, es geht um Bestandsrecht, der Streitwert liegt bei 1.500 Euro und das Risiko ist kalkulierbar. Mehr darf hier unter Rücksichtnahme auf das laufende Verfahren ohnehin nicht verraten werden. Ich hätte diesen monatelangen Rechtsstreit nicht durchfechten müssen. Viele Menschen haben mir abgeraten, es koste nur Geld und Nerven und das Urteil stünde sowieso vorher schon fest. Doch ich wollte mit Unterstützung eines Anwalts um mein Recht kämpfen und sehen, ob auch ein Gericht meinen Fall so eindeutig einschätzt.

Die Zeugen werden aufgerufen. Einer nach dem anderen. Ich beobachte sie. Sie wirken ruhiger als ich. Ich versuche, mich zu konzentrieren und zu durchschauen, wie Gegenseite und Richterin agieren. Ich versuche, zu prüfen, ob die Zeugen die Wahrheit sagen oder ich Widersprüche erkenne. Plötzlich sitze ich selbst auf diesem Sessel, in der Mitte des Gerichtssaals. 70 Minuten lang prasseln die Fragen auf mich ein. Ein Mal, zwei Mal,  sieben Mal stellt die Richterin dieselbe Frage und verändert dabei nur Formulierung und Tonalität. „Herr Magister, ich muss Sie jetzt noch einmal fragen. Wie war das genau? Warum glauben Sie das wirklich? Wie war das Ihrer Meinung nach?“ Beim siebenten Mal werde ich ein wenig trotzig und antworte nicht so durchdacht, wie ich mir das vorgenommen habe. Hätte ich einen Text über mich verfassen müssen, hätte ich wohl geschrieben, dass der Anklagte zwischenzeitlich geschwommen ist und unsicher wirkte.

Ja, ich war überrascht, wie knallhart die Richterin und die Verteidigung der Gegenseite verhandelt haben.

Aber ich bin darüber froh, auch wenn der zu erwartende Ausgang mit hoher Wahrscheinlichkeit für mich negativ sein wird. Denn auch wenn es dies nur ein kleiner Einzelfall ist, zeigt er, dass unser Rechtssystem zu funktionieren scheint und unsere Justiz auch bei ganz kleinen Fällen akribisch genau arbeitet. Es stimmt mich zuversichtlich, dass Richter ihren Job trotz Überlastung und Gehaltseinbußen ernst nehmen und sich mehrere Stunden lang Zeit nehmen für einen aus Laiensicht einfach einzuschätzenden Sachverhalt.

Ich bin froh, dass offenbar nicht vorschnell Urteile in diesem Land gefällt werden. Dass genau nachgefragt wird. Vielleicht ein Mal zu oft als ein Mal zu wenig. Mein Fall macht mich zuversichtlich für die Zukunft, dass Richter auch bei ganz großen Fällen, wo Menschen sterben mussten, die Allgemeinheit getäuscht oder eine Menge Steuergelder veruntreut wurden, ebenso genau hinsehen. Diese Erfahrung stärkt mein Vertrauen in die Justiz.

Das Urteil wird erst in zwei Monaten erwartet. „Ich habe so viel zu tun und ich weiß nicht, ob ich gesund bleibe“, sagte die Richterin und  schloss den Akt.

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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