„Keine Angst, meine Mitarbeiter sind Österreicher.“

Über Alltagsrassismus.

Es war früh, ich war verschlafen und vielleicht deshalb noch nicht ganz bei Sinnen. Der Anruf meines Tischlers vergangene Woche: Das Platzangebot in der neuen Wohnung verlangte nach einem neuen Kastensystem, wir hatten das Design und die Pläne bereits besprochen, jetzt ging es nur noch um den Termin: „Herr Prüller, morgen um 10 Uhr können wir bei Ihnen sein“, ließ er mich wissen. Ich bejahte, räumte jedoch ein, dass ich den Handwerkern nur die Wohnung aufsperren kann und danach zu einem Termin müsse, sie also alleine in meinen Räumen wären. Ob denn das in Ordnung sei, fragte ich. Und dann sagte er diesen einen Satz, der mir bis heute nicht aus dem Kopf gehen will: „Haben Sie keine Angst Herr Prüller, meine Mitarbeiter sind Österreicher.“

Er meinte offensichtlich, dass ich mich nicht fürchten muss, dass mir seine Mitarbeiter etwas entwenden, weil sie Österreicher und keine Migranten sind. Ich war perplex, meinte ich doch mit meiner Frage, ob die Handwerker alleine zurechtkommen würden. An Diebstahl dachte ich in keiner Sekunde.

Ein paar Tage später: Routinetermin beim Arzt. Das Wartezimmer ist halb voll. Auf der einen Seite sitzen mehrere ältere Menschen, offensichtlich Pensionisten und Österreicher. Sie besetzen beinahe jeden Platz. Ihnen gegenüber: Eine Frau mittleren Alters, dunkle Hautfarbe, ganz alleine auf ihrer Seite. Ich kann nicht nachprüfen, ob sie vielleicht als Letzte das Wartezimmer betreten hat und diese Sitzaufteilung deshalb zufällig war. Doch die Konstellation wirkte auf mich so, als wenn die Österreicher Berührungsängste mit der Frau mit der anderen Hautfarbe haben würden.

Eine Woche danach: Hektik in einer U-Bahn-Station in der Innenstadt. Die Menschen eilen wie ich von Termin zu Termin, während eine junge Frau in schwarzem Ganzkörperschleier mit weißen iPod-Stöpseln im Ohr an mir vorbeigeht. Ein älterer Herr mit Hut bleibt stehen, er dreht sich um und sagt laut in breitem Wienerisch: „Da schau her, wie die Weiber heutzutage aussehen. Des ist ja nimma auszuhalten.“ Noch etwa eine Minute verweilt er dort, schaut der jungen Frau nach und schüttelt theatralisch seinen Kopf.

Diese drei Geschichten beweisen, dass Alltagsrassismus in Österreich längst Normalität ist. Die Regelmäßigkeit und Natürlichkeit lassen den Schluss zu, dass es für einen Teil der Bevölkerung mittlerweile „normal“ ist, so zu handeln. Es führt unweigerlich zu den Fragen, wie tolerant Österreich ist und wie fremdenfeindlich unsere Mitmenschen wirklich sind. Geht man mit offenen Augen durch die Stadt, sind die Antworten darauf beschämend.

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Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:07

Herbert Erregger

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Veronika Fischer

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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