Oberarzt: „Jetzt hilft nur noch ein Streik“

Tagelang streikende Ärzte, Spitäler im Notbetrieb, frustrierte und verunsicherte Patienten: Geht es nach der resoluten Gruppe unter Österreichs Spitalsärzten, steht der „Supergau“ im heimischen Gesundheitssystem knapp bevor: „Uns hilft jetzt nur noch ein Streik wie in Deutschland. Alle Spitalsärzte – unabhängig vom Bundesland und von der Zugehörigkeit zu Land oder Bund – müssen auf die Straße gehen“, fordert ein Oberarzt (40) aus Westösterreich. Und er meint es wirklich ernst: „Der Streik muss eine Woche lang dauern, damit die Politik endlich kapiert, was alles schief läuft. Das wäre kein Zeichen gegen die Bevölkerung, sondern ein wichtiger Aufschrei“, meint der 40-Jährige.

Der Frust der Ärzte hat längst seinen Höhepunkt erreicht. Es brodelt regelrecht in der Ärzteschaft. Egal ob bei Turnus-, Assistenz- oder Oberärzten, egal ob in Wien, Salzburg oder Innsbruck: Überall herrscht eine kollektive, tief verankerte Unzufriedenheit. Während die einen simple Protestaktionen und Betriebsversammlungen unterstützen, wollen andere wie jener Oberarzt aus Westösterreich sogar bis zum Äußersten gehen. „Es reicht wirklich. Es muss endlich etwas passieren. Das wäre der einzige Weg“, bringt er es auf den Punkt.

In Wahrheit regiert im Gesundheitssektor gerade ein Chaos, das nicht zu überbieten ist. In Wien steht einerseits das Wiener AKH stundenlang still, andererseits verhandeln die Wiener KAV-Ärzte Runde um Runde, aber kommen zu keiner Lösung. Und während sich die einen Bundesländer auf eine Übergangslösung geeinigt haben, wird andernorts noch gepokert. Die Situation ist deshalb so beschämend, weil sie hausgemacht ist. Ganz nach dem österreichischen Motto „Schau ma mal, dann seh ma schon“ hat es die Politik jahrelang verabsäumt, die EU-Richtlinie für die Arbeitszeiten-Regelung umzusetzen. Jetzt, wo es sprichwörtlich fünf vor Zwölf ist, wird noch immer verhandelt und ist ein Kollaps nicht mehr nur ein theoretisches Konstrukt, sondern realistisches Worst-Case-Szenario.

Der Oberarzt, der hier anonym bleiben möchte und in einer großen Unfallchirurgie tätig ist, erzählt, dass er bei Nachtdiensten am Wochenende oft 25 Stunden ununterbrochen funktionieren muss. Und dass er im schlimmsten Fall in der 22. Stunde seines Dienstes eine offene Fraktur zu operieren hat. In der Wintersaison kann es sogar sein, dass er drei Brüche gleichzeitig zu betreuen hat. Da kommt der schwerste Fall zuerst dran. „All jene, die glauben, dass wir zu viel verdienen, sollen einen Dienst lang mitlaufen und sich unsere Gehaltsstrukturen anschauen.“ Das sind ab und an Dienste, wo sie stundenlang auf Essen, Trinken oder Pause verzichten müssen. Und es sind gerade einmal 2.300 Euro brutto Gehalt zu Karrierebeginn ohne Dienste. Für einen Job mit Verantwortung, nach jahrelangem Studium. Österreich ist damit mit Frankreich am unteren Level der EU-Skala zu finden. „Das Unverständnis der Bevölkerung ist nicht richtig. Wir brauchen nicht mehr Geld zum Golf spielen oder für eine Yacht. Wir wollen einfach adäquat bezahlt werden."

Wie gefährlich ein Streik wäre, das kann keiner abschätzen. Befürworter versprechen, dass Notfälle jedenfalls betreut, nicht akute Operationen aber sicher ausfallen werden: „Die lange aufgeschobene Knie-Operation oder die seit Jahren nötige Korrektur einer schiefen Nasescheidewand können dann auch eine Woche warten“, meint der Oberarzt. Was das in der Realität bedeutet, welches Chaos und welcher Unmut in der Bevölkerung dadurch ausgelöst werden würden, das ist die andere Seite. Erhalten die Ärzte keine passende Lösung angeboten, wird ihr Frust nur noch größer. Und am Ende bezahlen dafür die Patienten. Und das sind wir alle.

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