Wie Jesus am Kreuz: Das Schicksal der syrischen Christen von Maalula

„Wir Christen müssen vergeben, doch es wird keine Versöhnung geben, wenn die Muslime sich ihre Fehler nicht eingestehen.“

Dies sind die Worte Tawfik Eids. Er ist Pfarrer aus der syrischen Stadt Maalula, einem wichtigen Anziehungspunkt für Pilger aller christlichen Konfessionen aus Syrien und dem Libanon.

Ende November 2017 befand er sich in Frankreich, um dort an einer Reihe von Konferenzen teilzunehmen. Im Rahmen seines Aufenthalts gab er dem unabhängigen Nachrichtensender “ TV Libertés“ ein ausführliches Interview.

Dabei lieferte er wissenswerte Einblicke in die Erfahrungen eines Augen- und Zeitzeugen des Krieges in Syrien.

MTV Lebanon: Pater Tawfik Eid feiert eine Messe im Kloster der Heiligen Sarkis und Bacchus http://plus.mtv.com.lb/getImage.aspx?imageName=//NPanel/pictures/articles/140731060334453.jpg&width=487&height=999

Einseitige Vergebung reicht zur Versöhnung nicht aus

Im September 2013 fielen dschihadistische Truppen der Al-Nusra-Front in die Stadt ein, die sich etwa eine Autostunde südlich von Damaskus in unmittelbarer Nähe der libanesischen Grenze befindet.

Als die radikalen Islamisten Maalula eroberten, richteten sie drei christliche Bewohner hin, verschleppten sechs weitere, wovon man fünf später tot auffand, zerstörten Wohnhäuser, Kirchen und stahlen uralte, kostbare Ikonen.

Wie nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Region, schlossen sich sunnitische Muslime aus der ganzen Region den Dschihadisten an. Sie beteiligten sich an den Übergriffen gegen die christliche Bevölkerung, mit der sie noch kurz zuvor in friedlicher Nachbarschaft gelebt hatten.

Doch Tawfik Eid sinnt nicht nach Rache. Er ruft stattdessen zu Frieden und Versöhnung auf. Gleichzeitig betont er jedoch, dass es dafür zweier Seiten bedarf.

Gegenüber TV Libertés sagte er: „Wir Christen von Maalula müssen vergeben, denn Vergebung ist das Herz unseres Glaubens. Aber das allein reicht nicht aus, um Versöhnung herbeizuführen.“

Gekommen, um Christen, Alawiten, Schiiten und Drusen zu töten

Die Geschichte des syrischen Geistlichen und seiner Heimatstadt ist dramatisch.

Als die Proteste gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad begannen, schlossen sich rund zwei Drittel der sunnitisch-muslimischen Bevölkerung Maalulas der oppositionellen Freien Syrischen Armee, kurz FSA, an.

Anfangs beteuerten sie noch, ihre christlichen Nachbarn vor den Dschihadisten der Al-Nusra-Front schützen zu wollen, wenn sie zwei Bedingungen erfüllen.

Die Christen sollten a.) keine eigene bewaffnete Miliz bilden und b.) mit der FSA gemeinsam Druck auf das syrische Militär ausüben, seinen Stützpunkt in der Nähe des Klosters der Heiligen Sergius und Bacchus aufzugeben.

Während die christlichen Bewohner die Bedingungen erfüllten, nicht zu den Waffen griffen und die Armee abzog, wollte die Mehrheit der Muslime von ihrem Schutzversprechen nichts mehr wissen.

Ab März 2013 unterstützten sie die Dschihadisten der Al-Nusra-Front zunächst beim Aufbau militärischer Infrastruktur auf den Bergen um die Stadt, was u.a. mit der Beschlagnahmung von Klöstern verbunden war. Auch spätere Kriegshandlungen der radikalen Islamisten stießen nicht auf Widerspruch, sondern auf breite Zustimmung und Teilnahme seitens der oppositionellen sunnitischen Muslime von Maalula.

Was das bedeutet lässt ein Schriftzug erahnen, den die Milizionäre in der Mehrzweckhalle der örtlichen Gemeinde St. Georg hinterließen: „Christen, Alawiten, Schiiten, Drusen. Wir sind gekommen, um Euch zu töten“.

Keine Versöhnung ohne Reue

Seit Maalula 2014 von den Streitkräften Assads zurückerobert wurde, kehren langsam Leben, Alltag und Normalität in die Stadt zurück. Alles muss neu aufgebaut werden.

Das betrifft nicht nur Gebäude, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen, deren gegenseitiges Vertrauen durch die Gräuel des Krieges und der Besatzung nachhaltig erschüttert ist.

Tawfik Eid findet versöhnliche aber zugleich mahnende Worte: „Damit wir wieder Leben können wie zuvor, müssen sich zuerst die Muslime ihre Fehler eingestehen. Die Christen dürfen nicht zulassen, dass Hass in ihren Herzen wächst. Anderenfalls wären sie wie die Terroristen. Versöhnung jedoch kann es nicht geben, wenn unsere Peiniger ihre Taten nicht bereuen.“

Gelitten wie Jesus am Kreuz

Unter den verschleppten und ermordeten Christen aus der Stadt war auch der Sakristan von Pater Eid.

Die Bewohner Maalulas sprechen noch einen alten aramäischen Dialekt, der dem Jesus‘ stark ähnelt.

Die Sprache ist nicht die einzige Parallele, die Tawfik Eid sieht:

"Wie Jesus am Kreuz fragten wir uns: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Aber dann stellten wir fest, dass er uns überhaupt nicht allein gelassen hatte. Der Beweis dafür sind die wenigen Verluste, die wir erlitten haben. Die Stadt ist, obwohl sie einige schreckliche Monate erlebte, nicht vollständig zerstört worden und heute sind wir zurück. Unser Glaube wurde erschüttert, doch er wurde letztendlich stärker. Es sind meine Gemeindemitglieder, die mir diesen Eindruck an mich herantrugen".

Nur Eigeninitiative kann zu Veränderung führen

Der syrische Geistliche, der sich auf Einladung der französischen Organisation „SOS Chrétiens d’Orient“ in Europa befand, die beim Wiederaufbau seiner Heimat hilft, richtete am Ende des Interviews noch einen Appell an alle „Christen und Menschen guten Willens“ in Frankreich und Westeuropa. In der fortschreitenden Verdrängung des Christentums dort sieht er eine Herausforderung, die ihm größer erscheint als im Angriff der Dschihadisten auf seine Heimat. Vor allem mit Blick auf die Situation in Frankreich, wo nicht nur, wie in Deutschland, auslandsfinanzierte, islamistische Lobbys immensen Einfluss auf die Politik haben, sondern darüber hinaus Städte und Gemeinden immer wieder, wie jüngst in Béziers (Südfrankreich), dazu gedrängt werden Weihnachtskrippen aus Rathäusern, oder wie Ende Oktober in Ploërmel (Bretagne), Kreuze von öffentlichen Plätzen zu entfernen.

Pater Eid Botschaft an jene, die damit unzufrieden sind, ist eindeutig: „Es reicht nicht aus zu sagen, dass die anderen böse sind. Wenn ihr nichts tut, wenn ihr Euch nicht selbst direkt persönlich in die Politik einbringt, wird niemand etwas für Euch tun.“

Belege:

- Martial Bild von TV Libertés interviewt Tawfik Eid, Interview auf Französisch in voller Länge

- Leone Grotti: Siria. «Noi cristiani di Maloula come Gesù sulla croce», Tempi, 22. November 2017

- Béziers : Robert Ménard obligé de retirer la crèche de la mairie par le tribunal, La Dépêche, 18. Dezember 2017

- Bretagne : la décision de démonter la croix d'une statue de Jean-Paul II fait scandale, Le Parisien, 30. Oktober 2017

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Markus Andel

Markus Andel bewertete diesen Eintrag 27.12.2017 17:54:05

Leela Bird

Leela Bird bewertete diesen Eintrag 26.12.2017 21:49:01

3 Kommentare

Mehr von Julian Tumasewitsch Baranyan