Wie sich ein gesundes europäisches Mittelstandskind ihre Unfähigeit zum Glück mit dem verstaubten Freud erklärt. Ein Fehler.

An: mattheo.lugiano@gmail.com

Betreff: Greets from Berlin

hey,

long time of silence, I know. Sorry

I´m in berlin since a few days. I miss vienna already. people look all the same here. like really good looking bums. it feels like dressing as individual as possible leads to an uniform and makes everyone looks the same somehow. strange. whatever.

I can´t explain what happend the last time in rome. If I did something wrong, If I could done it better or different.. I don´t know... Sorry for

Ich breche ab. Jetzt fällt mir der tatsächliche Grund für meine abrupte Abreise wieder ein. Mundgeruch. Er roch nach altem Pferdemist. Es ist mir schon bei unserem ersten Treffen aufgefallen doch schob ich es auf seine Erkältung und dachte mir eine eitrige Mandelentzündung wäre der Grund. Eine temporäre Angelegenheit weswegen man keinen Menschen vorschnell als Stinker verurteilen sollte. Ironischerweise hatte ich selber einen schlechten Zahn zu dieser Zeit und war fast dankbar, dass sich das Geruchsproblem um seine Person drehte und ich entspannt in sein Gesicht reden konnte ohne den nötigen Abstand oder den richtigen Winkel berechnen zu müssen. Ich bin mittlerweile Profi darin, da eine meiner größten Ängste ist, zu stinken. Seit ich im heiratsfähigen Alter bin, bin ich davon überzeugt, dass ich stinke. Ich hab nur noch niemanden gefunden, der mir das bestätigt hätte. Feiglinge.

Ich schließe das Emailprogramm. Schweigen. Seit zwei Monaten kein Wort. Ich leide nicht. Habe keine Sekunde gelitten oder auch nur wehmütig an ihn gedacht. Und das obwohl es Momente gab, wo ich mir ernsthaft dachte, er könnte der Vater meiner Kinder werden. Wir saßen in einem kleinen italienischen Kaffee. Die Häuser waren aus weißem Stein und die Fensterläden blau gestrichen. Hinter uns breitete sich das Meer aus und ich bestellte gerade meinen dritten Gin Tonic. Es war noch nicht mal Abend. Das sind mit Abstand die besten Tage: Tagsüber, ohne schlechten Gewissen Alkohol trinken, über sein Leben zu Hause nachdenken, bemerken, dass man es gar nicht schlecht getroffen hat.

Ein kleiner Junge in dem Kaffee zog die gesamte Aufmerksamkeit der Gäste auf sich und blinzelte mir durch seine dichten Wimpern hindurch immer wieder zu. Ich stelle mir vor es wäre unser Kind. Ein Kind der Liebe!

Und nun sitze ich hier. Von der Liebe ist nichts mehr über - gar nichts. Wo ist sie hin? Wie kann das sein? Und das passiert mir ungefähr drei mal im Jahr. Meine beste Freundin nimmt mich schon nicht mehr ernst. Noch schlimmer: Sie nimmt es mir übel. Meine Unfähigkeit zu Lieben ist für sie der Beweis wie schlecht es um diese Welt und ihre Bewohner steht. Wenn sogar ihre beste Freundin ein emotionales Krüppel ist, woran soll sie dann noch glauben?

Heute morgen als ich gerade in einem hippen Kaffee in Berlin Mitte verantwortungsvoll an meinem zweiten Sojalatte nippe läuft mir eine interessante Überlegung über den Weg:

Meine Zimmerkollegin Frederike erzählte mir nach dem Aufwachen, dass ihr im Traum wieder einmal ihr Jugendfreund begegnete. Lange Zeit waren sie die besten Freunde und eines Tages gestand er ihr seine Liebe. Darauf konnte sie nichts erwidern. Nichts. Keinen Piep. Noch nicht mal „Danke“. Sie lenkte einfach vom Thema ab und sprach die Situation nie wieder an. Seitdem verhält er sich komisch und ist an einer Freundschaft nicht mehr interessiert. Das ärgert sie. „Kein Wunder“ sage ich „du darfst nicht von dir auf andere schließen. Es gibt Menschen, die können sich tatsächlich verlieben. Und stell dir mal vor, wie das sein muss, wenn du jemanden tatsächlich richtig liebst, mit 16 Jahren, deinen ganzen Mut zusammen nimmst und deine Liebe gestehst und der andere sagt einfach nichts dazu. Gar nichts. Wochen vergehen und der Satz verpufft im Universum als wäre es ein unabsichtlich entfleuchter Furz gewesen. Das ist ziemlich verletzend!“.

Freddie lacht laut. Nicht wegen der Furz-Metapher. Sie lacht als hätte sie jetzt erst, Jahre später, verstanden, wie unpassend ihr Schweigen damals war und welche Folgen es hatte für ihn hatte.

Das macht mich nachdenklich. Dieses herzliche Lachen beweist, dass Freddie, genau wie ich - und eine Million andere europäische Mittelstandskinder - nicht fähig ist zu lieben. Sonst hätte sie diese Erkenntnis bestürzt gemacht und sie hätte überlegt eine Email oder nein, einen Brief an ihn zu schreiben, in dem sie sich für ihre Ignoranz, ihr fehlendes Feingefühl entschuldigt. Und so weiter. Stattdessen steht sie auf, zieht sich an und geht proben. Die Aufnahmeprüfung einer renommierten deutschen Schauspielschule steht an. Ihre Nerven sind angespannt.

Ich denke nach. Was Freud wohl dazu sagen würde. Obwohl ich mir mein Leben nicht psychoanalytisch erklären möchte tu ich es doch immer wieder.

Mir fällt auf, dass Frauen oftmals weniger ultimativ bereit sind sich zu binden oder an einer Bindung häufiger zweifeln als Männer. Wenn sich ein Mann mal für mich entschieden hat, gab es daran nicht mehr viel zu rütteln. Ich, im Gegensatz, habe die Beziehung fast wöchentlich in Frage gestellt. Warum ist das so? Und genau in diesem Moment treffen zwei Synapsen in meinem Gehirn aufeinander und verbinden sich. Und Peng! Eine Erkenntnis macht sich breit und senkt sich nieder als wäre sie schon immer da gewesen. Als hätte sie schon immer da in meinem Kopf gewohnt und wäre nur mal eben kurz vor der Tür frische Luft schnappen gewesen. Kein Wunder, dass man es als Frau schwerer hat! Im Gegensatz zum männlichen heterosexuellen Wesen muss das weibliche heterosexuelle Wesen einen Wechsel mehr mitmachen. Das ursprüngliche Bindungs- und Sexualobjekt eines jeden Menschen ist, im Normalfall, die Mutter. Im Laufe des Lebens mit dem Erlernen der Sprache und dem Erkennen von Zusammenhängen, bemerkt man, dass die Mutter einem nicht alleine gehört sondern, dass sie ein eigenständiges Wesen mit eigenen Bedürfnissen ist. Die Jungs akzeptieren das früher oder später und verlegen die erotische Bindung zur Mutter auf ein anderes ebenso weibliches Objekt (oft der Mutter ähnlich). Die Mädchen erkennen das und verlagern die Bindungsgefühle auf die nächstgelegene Person, den Vater. Irgendwann, wenn sie bemerkt, dass der Vater auch nicht der ideale Schwiegersohn sein kann sucht sie sich einen Stellvertreter. Während der Sohn also nur durch einen verkorksten Elternteil hindurchwandern muss, sind es bei der Tochter gleich beide wahnsinnigen Elternteile. Somit besteht viel mehr Konfliktpotential und der Hürdenlauf jemals eine intakte Beziehung führen zu können, ist weitaus beschwerlicher. Selbstverständlich ist das eine Theorie, die nur auf einen herteronormativen Patriarchenhaushalt zugeschnitten ist, doch leider, I confess, wurde ich in eben so einem Haushalt aufgezogen.

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Johnny

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fischundfleisch

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