Die Gefahr der "Gerade-noch-den-Ar...-gerettet"-Euphorie

Victory-Zeichen, geballte Fäuste, Daumen nach oben und eine johlende Menge im SPÖ-Wahlparty-Zelt: So hat die SPÖ Wien gestern den Verlust von 4,8 Prozentpunkten und eines großen Bezirks bei der Wien-Wahl gefeiert. Stimmt schon, Bürgermeister Michael Häupl hat das von seiner Partei und den Medien hochgezimmerte "Duell um Wien" gegen HC Strache gewonnen - klar, aber eh erwartet. Und ja, die rot-grüne Regierung hat knapp eine Mehrheit verteidigt (wenn auch - gemeinsam - fast sechs Prozentpunkte eingebüßt). Das war Michael Häupl gestern klar, als er von notwendigen Veränderungen sprach. Nur: Von wirklicher Demut, von wirklichem Realitätsempfinden war bei den Bildern des gestrigen Abends nichts zu spüren. Schon gar nicht bei jenen, die glauben, mit diesem Wahlergebnis ihren Hintern - sprich Job - zumindest für die kommenden fünf Jahre gerettet zu haben.

Die nun zelebrierte "Gerade-noch-den-Ar...-gerettet"-Euphorie wird die SPÖ vor künftigen Debakeln nicht schützen. Die übertriebene Freude der Systemprofiteure und ihre hämischen Social-Media-Kommentare in Richtung FPÖ zeugen nicht von Demut, sondern spülten noch am Wahlabend genau jene Machtarroganz der Wiener SPÖ wieder an die Oberfläche, die die FPÖ gefährlich groß und dieses "Duell" erst möglich gemacht hat. Wenn Häupl diese falsche Selbstzufriedenheit seiner Gefolgschaft, die sich in ihren politischen Ämtern, hochbezahlten Beamtenjobs und noch höher dotieren Positionen in stadtnahen Unternehmen nun weiterhin ein ungestört schönes Leben machen will, nicht rasch abstellt, wird sich die SPÖ Wien in fünf Jahren ein "Duell" wünschen, das es dann aber nicht mehr geben wird. Dann ist die Macht Geschichte.

Das wird auch die zuletzt recht stutenbissige Diva des ORF Wien, Chefredakteur Paul Tesarek, zur Kenntnis nehmen müssen. Er hat es in nur einer Woche geschafft, sich vor einem Millionenpublikum zum Sinnbild der roten Speichelleckerei zu machen. Ein "unabhängiger" Journalist, der ohne jede Scheu in einer Fernsehdiskussion der SpitzenkandidatInnen mit SPÖ-Argumenten gegen eine Oppositionspolikerin antritt, der diese sogar noch nach der erfolgreichen Wahl versucht, lächerlich zu machen, hat genau gar nichts kapiert. Sogar sein großer Mentor, der Bürgermeister, wandte sich vor laufender Kamera ob Tesareks vorauseilendem Gehorsam immer wieder sichtlich geekelt von seinem selbsternannten Wahlhelfer ab. Und irgendwann wird es Tesarek auch mental schaffen, dass die von ihm so verabscheuten Neos nun im Gemeinderat sitzen, und die von ihm ganz offensichtlich ebenso wenig geschätzte Maria Vassilakou wohl Vizebürgermeisterin bleiben wird.

Es sind auch Leute wie Tesarek, die der SPÖ schaden, nicht nur hochrangige PolitikerInnen der Partei, die selbst nach einem Wahlergebnis wie gestern nichts von Veränderung wissen wollen. Wenn eine Renate Brauner dies im Freudentaumel auch noch ausspricht, werden sich viele, die das Kreuzerl ausnahmsweise doch bei Rot gemacht haben, wundern ob dieser Realitätsverweigerung. Man fragt sich wirklich, ob da alle Feiernden den bedrohlich hohen blauen Balken übersehen haben, der sich neben ihrer Partei auftürmt. Leute, das sind mehr als 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die ihr nicht erreicht mit eurer stets gepredigten "Konstanz" in der Wiener Regierung. Das ist ein Flächenbezirk, der künftig in stolzem blau glänzt, weitere Bezirke konnte die SPÖ nur knapp halten.

Michael Häupl hat in den Interviews nach der Wahl Veränderungen angekündigt. Jetzt muss er Taten folgen lassen - und es wird nicht reichen, mit ein, zwei personellen Änderungen in seiner Regierungsmannschaft so weiter zu tun wie bisher. Genau das ist allerdings zu befürchten. Häupl steht wie kein anderer Politiker für "Stabilität". Diese bedeutet in der österreichischen politischen Landschaft leider allzu oft Stillstand. Es gibt sie, die denkenden, jungen, eine moderne sozialdemokratische Politik predigenden Jungen in der Wiener SPÖ. Bisher kamen sie nicht zu Wort - im Gegensatz zu den vielen Mitschwimmern und Ja-Sagern. Vielleicht bekommen sie jetzt ihre Chance. Neue Gesichter allein sind zu wenig, neue Inhalte und Antworten sind gefragt.

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Nebenbuhler

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fischundfleisch

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