Es sagt viel aus, dass der Fall um das Canceln der Journalistin Julia Ruhs so viele Emotionen frei gesetzt hat. Es ist bezeichnend, dass sie als "Rebellin" und "umstritten" bezeichnet wird, obwohl sie normale liberal-bürgerliche bis konservative Positionen vertritt, die in Deutschland immer auch mehrheitsfähig waren und letztlich auch unser Land geprägt haben.

Ich habe es ja selbst erlebt: als ich es vor zehn Jahren gewagt habe, mich kritisch zu den Themen Asylpolitik, Islamismus und türkischem Nationalismus zu äußern, war der Zuspruch aus der Bevölkerung enorm. Es schrieben mir täglich viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Tenor: "Du hast so Recht. Mach bitte weiter! Ich selbst habe Familie und kann mich so nicht äußern." "Vielen Dank! Du sprichst mir aus der Seele." usw. Aber sorry, Leute, ich bin ein normaler Fotojournalist und Bürger, aber auch kein Rebell, sondern will einfach nur ein schönes Leben leben für mich und eigentlich für alle und bin einfach so groß geworden, Dinge zu sagen, die Anderen nicht gefallen müssen.

Na klar freut mich Zuspruch. Sehr sogar! Aber auch der Fall um Julia zeigt das Grundproblem: viele haben mit ihr die Hoffnung verbunden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk endlich wieder auch mal andere Meinungen zu Wort kommen lässt. Deshalb ist die Enttäuschung jetzt umso größer. Die Wut der Menschen steigt, das Vertrauen sinkt weiter.

Ich bin mir auch sicher, dass ihre positive Art auch zu ihrem Canceln beigetragen hat. Julia ist sympathisch, fröhlich, sagt, was sie denkt, und wirkt insgesamt so, dass man mit ihr gerne ein Bier trinken gehen würde. Hier trifft der Spruch zu: "Sei glücklich, damit ärgerst du sie am meisten!"

Die Reschkes und Böhmermanns dieser Welt wirken dagegen nicht glücklich und authentisch, sondern frustriert und aufgesetzt, manchmal geradezu gehässig. Ich finde auch Leute wie Kebekus, Brugger oder die heute-Show nicht (mehr) lustig, weil sie eben alle so verkrampft politisch-korrekt daherkommen. Ja, ich lache auch gerne über Trump, die AfD oder Markus Söder. Nur wirkt eben alles so vorhersehbar.

Eine ähnliche Frustration haben wohl die 250 NDR-Mitarbeiter, die einen Beschwerde-Brief verfasst haben, Julia nicht mehr als Moderatorin einzusetzen. Natürlich ist das jetzt Küchen-Psychologie. Aber diese Aktion wirkt auf mich wie Petzen in der Schule oder erinnert mich an Leute, die Andere wegen Falschparken melden, anstatt persönlich zu ihnen zu gehen oder einfach mal kurz ein Auge zuzudrücken. Viele dieser Leute lachen dir ins Gesicht, aber meinen es nicht ehrlich.

Es ist auch viel Neid dabei. Neid auf das positive Echo der Bevölkerung, aber auch Neid, dass Julia ehrlich sagt, was sie denkt. Denn das tun die Anderen oft nicht. Ich empfinde das mittlerweile als großen Luxus. Ich erinnere mich an ein Böhmermann-Video, als er noch für Harald Schmidt gearbeitet hat und damals die Maßnahmen gegen die Schweinegrippe aufs Korn nahm. Man kann es noch bei YouTube finden. Als dann Corona kam, war Böhmermann einer der härtesten Lockdown-Befürworter und framte jeden Kritiker als "Nazi".

Den Diskurs bestimmt eine links-woke Bubble, deren Macht aber abnimmt, weil die Lebensrealität sich nicht leugnen lässt und die Menschen im Alltag einholt. Dazu kommen sehr viele Opportunisten, die ihr Fähnchen in den Wind drehen.

Und nein, natürlich tickt nicht jeder Linke so. Meine Kritik richtet sich konkret gegen diejenigen, die andere, nicht-linke Meinungen canceln und in ihrem moralischen Narzissmus oberlehrerhaft und arrogant daherkommen. Wie herrlich bodenständig ist dagegen Julia Ruhs, die z.B. einfach dazu steht, dass ihre Eltern nicht studiert haben und man ihrer Meinung nach viel mehr Menschen im Journalismus bräuchte, die aus anderen Bereichen kämen.

Dass viele in ihr eine Gefahr für die Demokratie sehen, während sie bspw. die Ditib-Moschee um die Ecke als Teil der Vielfalt verteidigen, ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. Die Leute, die sie canceln, sind die wahren Spießer, die wahren besorgten Bürger und letztlich auch Feinde des Pluralismus' und damit der Demokratie. Sie reden von Vielfalt, das Ergebnis ist aber politische Einfalt. Wer eine Journalistin wie Julia Ruhs cancelt oder sich hämisch freut, dass sie weg ist, sollte sich fragen, ob das Problem nicht bei ihm selbst liegt und ob er das, was er vorgibt zu verteidigen, nicht gerade selbst abschafft.

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philip.blake

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Aron Sperber

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