Pickerl für Tierschutz: von „Gutmenschen“ und „Idiotenmenschen“

Die Angst vor Flüchtlingswellen spült den rechten Rand an die politische Oberfläche. Dabei ist sich die Mehrheit der Bevölkerung vermutlich nicht bewusst, was sie sich damit einhandelt. Ein totalitäres Regime, ein Überwachungs- und Polizeistaat, und eine Einschränkung unserer Grundrechte bringen eines mit Sicherheit: den Verlust der Freiheit. Für jene, die sich für Tierschutz und, allgemeiner, die sozial Schwächeren engagieren, brechen schlimme Zeiten an. So geschehen am letzten Wochenende.

Zwei junge Frauen klebten mitten in Wien ein Tierschutzpickerl an ein Straßenlicht, einen Aufruf, das Schicksal der Tiere nicht zu vergessen. Tritt ein Mann mit Anzug und Krawatte auf sie zu, hält sie fest und sagt, er werde jetzt die Polizei rufen. Wo kommen wir da hin, einfach so ein Pickerl zu verkleben, ohne Genehmigung. Terror sei das, Gesinnungsterror. Aber wenn eine Firma ein 3 x 4 m großes Werbeplakat für Aktionsfleisch aus Massentierhaltung an bezahlte Werbeflächen klebt, dann ist das kein Gesinnungsterror, dann ist das völlig ok. Alles muss seine Ordnung haben, wo kommen wir da hin, wenn jeder dahergelaufene Mensch seine Meinung kundtut, anstelle nur die reichen, multinationalen Konzerne!

Früher haben sich diese kleingeistigen KleinbürgerInnen, selbst zu hedonistisch und zu egoistisch, um sich für andere zu engagieren, und zu wenig kreativ, um sich über etablierte Ordnungen hinweg zu setzen, zähneknirschend einfach nur geärgert, aber ihren Mund gehalten. Der Aufschwung der demagogischen Rechten gibt ihnen heute das Selbstvertrauen, PickerlkleberInnen physisch festzuhalten und zu bedrohen. Ordnung statt Gerechtigkeit, das Wie man isst, die Tischsitte, ist wichtiger als das Was, der Tierschutz. Das Kleinhirn der KleinbürgerInnen ist zu einfältig, um Sinn und Unsinn von Gesetzen hinterfragen zu können. Abgesehen davon hasst man das Andere. Wer nie den Mut hatte, zu sich selbst zu stehen, verachtet andere, die den Schatten überspringen, den die Gesellschaft auf sie wirft.

„Gutmenschen“ nannte der Kleingeist im Anzug die aufmüpfigen Frauen mit ihren Tierschutzpickerln verächtlich. „Gutmenschen“, die, was für eine Ungeheuerlichkeit, Tieren Gutes tun wollen und in ihrem Namen die Gesellschaft anklagen. Die widerrechtlich in Tierfabriken Fotos und Videos aufnehmen, um diesem unermesslichen Leid der Tiere wenigstens eine öffentliche Aufmerksamkeit zu ermöglichen. Wie gerne würden die kleingeistigen KleinbürgerInnen in den heiligen Krieg für Recht und Ordnung ziehen, und diese „Gutmenschen“ beim Filmen erwischen! Wie nennt man solche „tapferen“ Kleingeister eigentlich? „Gutmenschen“ wohl nicht, obwohl sie sich doch für die Einhaltung des Gesetzes nach Punkt und Beistrich engagieren. Vielleicht „Ordnung-muss-sein-Menschen“? Vielleicht „Gerechtigkeit-ist-mir-wurscht-Menschen“? Oder, kürzer, „Idiotenmenschen“? Letzteres scheint mir passend, weil ihre Handlungsweise daran krankt, nur durch das Kleinhirn gesteuert zu sein, ohne Reflexion durch das Großhirn. Ersteres, das Kleinhirn, ist die Quelle des Kadavergehorsams, der angelernten Reiz-Reaktion, des Drills, zweiteres, das Großhirn, dagegen sollte ein derartiges blindes Befolgen von Gesetzen hinterfragen können, sollte eine ethische Abwägung ermöglichen, sollte Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen. Das Kleinhirn folgt den rechten DemagogInnen, das Großhirn, würde es funktionieren, könnte dagegen immunisieren.

Wie endete nun das Intermezzo mit den Pickerlkleberinnen und dem „Idiotenmenschen“ letztes Wochenende? Ein junger Mann kam auf seinem Fahrrad des Weges, sah, wie der Kleingeist die beiden Frauen belästigte und fuhr dazwischen. Die Tierschützerinnen nutzten die Chance und bestiegen einen Bus. Der Kleingeist blieb fluchend zurück. Wie nennt man nun jenen jungen Mann, der der Gerechtigkeit gegen den Ordnungswahn zum Sieg verhalf, der sich für das Gute engagierte und den bedrängten Frauen spontan half? Ein Mensch mit Rückgrat, würde ich sagen, wie wir ihn in Zeiten wie diesen brauchen, um der rechten Demagogie Einhalt zu gebieten!

shutterstock/Urheberrecht: Edoma

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