Wie komm ich dazu? – Kollateralschaden Kampagnenleitung

Sagen wir, die Mehrheit der Menschen ist für ein Verbot von Gatterjagden, also für ein Verbot des Jagens auf gezüchtete Wildschweine und Hirsche in einem eingezäunten Gelände. Eigentlich wissen wir von einer repräsentativen Umfrage, dass drei Viertel der Bevölkerung für eine solches Verbot ist, aber darum geht es mir nicht. Unter der Voraussetzung, dass diese Mehrheitsverhältnisse stimmen, wie soll das normalerweise zu einer Gesetzesänderung führen? Naive Menschen glauben vielleicht, dass das schon automatisch geschehen würde. Aber das ist nicht so, vor allem wenn handfeste persönliche Interessen mächtiger Personen im Land, die sich dieser Gatterjagdlustbarkeit verschreiben, dagegen sprechen. Abgesehen davon wird auch einiges an Geld umgesetzt. Mit anderen Worten, von selbst passiert trotz dieser klaren Meinungsmehrheit gar nichts. Die Mehrheit ist ja nicht erst kürzlich entstanden, es gibt sie schon lange, genauso, wie es die Jagdgatter schon lange gibt, und dennoch hat sie niemand verboten. Und das wäre auch für absehbare Zeiten so weiter gegangen.

An dieser Stelle beginnt unsere Kampagne, oder allgemeiner, die Kampagne einer NGO. Sie fordert, dass im Sinne der Tiere dieser Mehrheitswille Gesetz werden sollte. Wie fordert man das? Mit einem netten Brief? Habe ich schon hundert Mal gemacht, wandert ungelesen in den Mistkübel. Versetzen wir uns in die Lage des Mächtigen, der entweder selbst im Gatter der Jagd frönt oder dessen FreundInnen das tun. Warum auf einen Brief reagieren? Dann machen wir eine Petition. Die wird von tausenden, ja zehntausenden Menschen unterschrieben, und dann übergeben wir sie. Das haben wir auch schon hundert Mal gemacht. Ein Lächeln, ein Foto, fertig. Warum drauf reagieren? Alles geht sonst seinen gewohnten Gang, daher keine Änderung.

In unserer Form der Demokratie kann man nur als nächsten Schritt die Öffentlichkeit mobilisieren, Druck machen, Skandale im Zusammenhang mit der Gatterjagd aufdecken. Was kann ich sonst tun? Was wird von einem Tierschutzverein in dieser Situation erwartet? Nach dem erfolglosen Bittbrief sich neuen Themen widmen? Ignorieren, dass die Mehrheit bereits eine Änderung will, sie aber einfach aus undemokratischen Gründen nicht kommt? Es hilft nichts, noch mehr Menschen zu überzeugen, die Mehrheit ist es ja schon. Was fehlt ist, dass diese Mehrheit ernst genommen wird. Und das geht nur, wenn sie sich aufregt, wenn sie aufgerüttelt wird.

Mit anderen Worten, das System, so wie es angelegt ist, zwingt mich, in dieser Situation auf die Barrikaden zu steigen. Die Rolle einer NGO ist jetzt, Stunk zu machen. Wir müssen einen Konflikt vom Zaun brechen, der die PolitikerInnen an den Schalthebeln der Macht zur Rechtfertigung zwingt. Wenn ich das nicht tue, dann passiert gar nichts, dann versagt unsere Demokratie.

Und schon bin ich als Kampagnenleiter in der Rolle des Störers der gesellschaftlichen Ordnung. Die Polizei vor Ort sieht das so, und versteht ihre Aufgabe darin, mich zu vertreiben. Die Bezirkshauptmannschaft sieht das so, und versucht mir nach Möglichkeit zu schaden. Und der politische Gegner sieht das so, und wird mich anzeigen und klagen, wenn er die Möglichkeit sieht. Und, nein, dafür muss ich nicht erst das Gesetz übertreten. Ich habe oft genug Zivilklagen erlebt, deren einziges Ziel die Einschüchterung war, oder Anzeigen, die auf erlogenen Zeugenaussagen basieren.

In unserer Gatterjagdkampagne sind wir an diesem Punkt angelangt. Mensdorff-Pouilly hat mich wegen Störung seines Jagdbetriebs auf Besitzstörung und Unterlassung geklagt, inklusive einstweilige Vorkehrung. Die Polizei hat mir eine Strafverfügung wegen Anstandsverletzung geschickt. Und die Bezirkshauptmannschaft Güssing hat mich am letzten Wochenende gleich mit 3 Strafverfügungen beglückt, von Betreten eines Jagdgebiets bis Einschüchtern von Jagdgästen mit Hilfe einer Drohne. Die nächsten Monate kann ich mich also mit 7 Strafverfahren und einer doppelten Zivilklage herumschlagen. Wie komm ich dazu?

Mein Anliegen ist lediglich – demokratiepolitisch mehr als legitim – den Mehrheitswillen zum Schutz der Tiere durchzusetzen. Die Gatterjagd sollte längst verboten sein. Aber weil das System versagt, weil es so angelegt ist, dass derartige Dinge von Einzelpersonen ohne direkt demokratische Einflussmöglichkeit entschieden werden und daher deren besonderen Vorlieben und Freundschaftsbeziehungen unterliegen, lässt man mich im Regen stehen. Zig tausende, ja hundert tausende Tiere erleiden völlig sinnlos furchtbare Qualen und werden grausam getötet, Jahr für Jahr, die Mehrheit will es beenden – und ich soll zuschauen und nichts tun? Und wenn ich nicht zuschaue, sondern eingreife, dann muss ich eben damit rechnen, in vielfache Gerichtsprozesse verwickelt zu werden? Wessen Logik ist das?

Nein, stoppen wird mich das nicht. Die Gatterjagd muss verboten werden und das wird auch geschehen, komme was wolle. Aber das System hat trotzdem einen intrinsischen Fehler, der korrigiert werden müsste.

shutterstock/Mark Bridger

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