Russen zeigen jenes spendable Verhalten, das ihnen gelegentlich nachgesagt wird, gar nicht so sehr auf Grund der berühmten BREITEN russischen Seele, als oft einfach aus Unsicherheit.

Als ich mit einem russischen Geschäftsfreund vor einigen Jahren in einem Wiener Innstadtitaliener Platz genommen hatten, bestellten wir zunächst ein kleines...

Bier. Mein erster Versuch meinem Geschäftspartner die Bestellung einer guten Flasche Wein schmackhaft zu machen, scheiterte. Um seinem Gegenvorschlag (eine Flasche Wodka) zu entkommen und Zeit zu gewinnen bestellten wir noch ein kleines Bier. Als ich wieder auf den Wein zurückkam, akzeptierte mein Freund und wollte sogleich die TEUERSTE Flasche bestellen. „Wozu?“ fragte ich, weniger erstaunt als vom russischen Geltungskonsum gelangweilt. „Damit die anderen Menschen sehen, wer hier sitzt.“ „Sergej, das ist nicht Moskau“, versuchte ich zu vermitteln, „ Lass dir die Karte geben, und schau dir zumindest an, was es da so alles gibt“. Sergej studierte die Karte ausführlich. Nach zehn Minuten zeigte er dem Kellner auf der Karte, welchen Weißwein er gerne bestellen würde. „Das wäre ein Rotwein, der Herr“, korrigierte ihn der Kellner. Während sein Essen mittlerweile kalt wurde, studierte Sergej die Weinkarte nun umso verbissener. In der Zwischenzeit bestellte ich ein Achterl Pinot grigio.

Nach langem Überreden kostete Sergej von meinem Wein und bestellte auch für sich ein Glas Pinot grigio. Nachdem achten Achterl Pinot grigio wurde mein Versuch zum Abschluss noch einen anderen Wein zu probieren, nicht einmal ignoriert. Nach dem zwölften Achterl Pinot grigio bestellte Sergej drei Flaschen Pinot grigio zum Mitnehmen. Nach dem achtzehnten Achterl Pinot grigio, die drei Flaschen standen neben uns in Plastiktüten, lernten wir eine junge Dame kennen, der Sergej sogleich in gebrochenem Englisch erklärte, dass wir gerne in dieses Restaurant zum Weintrinken kämen und obwohl wir wüssten, dass es nicht einmal der teuerste Wein hier ist, immer Pinot grigio bestellten. Mit wem auch immer der russische Lebemann in den folgenden Monaten nach Wien kam - mit oder ohne Begleitung, mit oder ohne Trauring - alle wurden zum Innenstadtitaliener auf ein paar Achteln Pinot grigio geführt.

Sergej hatte es also einerseits geschafft, im Sinne des ethischen Imperativs von Heinz von Foerster, die Freiheitsgrade zu erhöhen, und andererseits hatte der Pinot grigio ihn vermutlich auch zu der Erkenntnis gebracht, dass Glück nicht immer eine Funktion des Preises war. Der geduldige Kellner der den Pinot grigio als erster in Sergejs Leben gebracht hatte, war übrigens mit einem grünen Geldschein belohnt worden.

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Martjusha

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fischundfleisch

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