Vor einiger Zeit bin ich umgezogen – von einer beengten Singlewohnung in ein gemütliches kleines Mietsreihenhaus mit Hofeinfahrt und winzigem Garten. Einfach perfekt für unsere Vorhaben und für unseren kleinen Hund. Das Haus hat nur einen Nachteil, es hat Nachbarn. Der Herr zu meiner Rechten ist freundlich und nett. Seinen Hausumbau führt er in Eigenregie durch, was vor allem dazu führt, dass es am Wochenende besonders laut ist. Da er mir sympathisch ist, sehe ich es ihm nach, dass die Haussanierung nach meiner Einschätzung nach noch etwa zwei Jahre dauern wird. Ich versuche einfach die Wochenenden bis zur Fertigstellung nicht zu Hause zu sein.

Zu meiner Linken haust allerdings ein ganz besonderes Exemplar. Ich muss vielleicht dazu sagen, dass ich mir fest vorgenommen habe mir keine Vorurteile über Menschen zu bilden, die ich nicht kenne. Das ist mir auch solange gelungen, bis ich am Tag des Einzuges bemerkt habe, dass er uns beobachtet. Neugierige Nachbarn kann ich nicht leiden. Das Problem ist: Mein linker Nachbar hat die Neugier quasi erfunden. Er ist etwa 60 Jahre alt und – wie ich später erfahren habe – seit circa zehn Jahren in Frühpension. Zusammen mit seiner Mischlingshündin sorgt das Duo für Recht und Ordnung in unserer Straße. Am Tag meines Einzuges blieb er allerdings nicht lange am Fenster. Leider. Denn er entschloss sich zu uns zu kommen und uns seine Hilfe anzubieten. Erst dachte ich, er hat doch ein freundliches Gemüt, als er dann allerdings anfing die Kisten, die er trug, auch zu öffnen um zu sehen, ob der Inhalt auch seinen Regeln entspricht, wusste ich, dass mit dem Sheriff etwas nicht stimmt.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich durchgehend im Haus, da ich damit beschäftigt war die wegen dem Transport zerlegten Möbel wieder aufzubauen. Am Nachmittag des zweiten Tages klingelte es an der Haustüre. Ich öffnete und Nachbar Nummer drei, welcher gegenüber wohnt, kam ins Spiel. Dieser ist aber durchweg friedlich und er nutzte die Gelegenheit, mich in der neuen Umgebung willkommen zu heißen. Unseren kurzen Smalltalk beendete er mit den Worten: „Übrigens, viel Spaß mit dem Franzosen!“ Dabei deutete der Daumen seiner rechten Hand zu meinem neugierigen Nachbarn hinüber. Als ich ihm nachsah, wie er durch meine Hofeinfahrt hinausging, konnte ich beobachten, wie er dem Sheriff (den hier alle nur Franzosen nennen) zuwank. Er musste wohl wieder am Fenster gestanden haben um zu überwachen, wer mich da besuchen kommt.

Einige Tage später nutzte auch ich den schönen Tag um einen Blick aus meinem Fenster zu werfen und die schönen Berge und die tolle, bunte Herbstimmung zu genießen. Mein gewähltes Fenster liegt auf der Seite der Hofeinfahrt und mein ungeschultes Auge erkannte zunächst keine besonderen Vorkommnisse. Doch auf einmal sah ich die Hündin meines Nachbarn, welche bellend vor meiner Einfahrt stand. Der Vierbeiner war angeleint und der leuchtende, rote Zügel ließ sich vom Hals des Tieres zurückverfolgen bis zu einem Busch neben meinem Einfahrtstor. Als ich meine Augen zusammenkniff um besser sehen zu können, erkannte ich den Franzosen, wie er im Gestrüpp kauerte und mit einem Fernglas meine Eingangstüre im sicheren Blick behielt. Als mir der Gedanke durch den Kopf schoss, dass dieser Kerl ja ein Perverser sein könnte, der nur darauf wartet meine Freundin vor die Linse zu bekommen, kochte in mir die Wut hoch. In diesem Moment muss er mich am Fenster erkannt haben und er begann auf allen Vieren vor meinem Tor zu seinem Grundstück zu robben. Nachdem ich kurz über diesen lächerlichen Anblick geschmunzelt hatte, entschloss ich mich den Franzosen zur Rede zu stellen, also machte ich mich auf den Weg zu ihm rüber. An seiner Haustüre angekommen las ich das Namensschild seiner Klingel. Müller. Also gebürtiger Franzose ist er wohl nicht, dachte ich bei mir und während meine Gedanken weiterschweiften, entschloss ich mich, das Gespräch mit ihm doch nicht zu suchen. Ein kleiner Streich war in einer Situation wie dieser viel angebrachter und so bekam der Franzose 35 Minuten später Besuch von Ali, dem tüchtigen, türkischen Geschäftsmann und Inhaber einer Pizzeria, welche er nach seinen zwei Jahren Haft mit dem übrigen Drogengeld eröffnet hatte. Ich konnte die Diskussion der beiden Männer belauschen und nach nur vier bedrohend ausgesprochenen Schimpfwörtern aus Ali´s Mund bezahlte der Franzose mehrere Party-Pizzen anstandslos.

Eigentlich war die Sache damit für mich erledigt und ich war mir sicher, dass auch mein Nachbar zu meiner Linken das Kriegsbeil begraben hat und in Zukunft ein friedliches Nachbarschaftsleben einkehren wird. Von diesem Gefühl ließ ich mich auch nicht abbringen, obwohl die Hündin von nebenan täglich auf Kommando ihres Herrchens gegen meinen Zaun pinkelte. Zudem hatte sie inzwischen gelernt mich anzubellen und ihre großen Zähne zu zeigen, sobald ich mein Grundstück betrat, natürlich nur auf Zeichen ihres Rudelführers, denn sobald dieser nicht in Sichtweite war, bettelte das Tier nach Streicheleinheiten. Dass der Hundehalter nicht in der Nähe war, kam aber so gut wie nie vor. Er stand nach wie vor neugierig am Gartenzaun und beobachtete zu meist das Geschehen auf fremdem Gelände. Wenn ich nach Hause kam, grüßte er mich mit einem einfachen „Hallo“, würdigte mich dabei aber nicht mit einem Blick. Sein Verhalten war allerdings anders, wenn er meine Freundin sah, denn diese war ihm wohl etwas angenehmer gesonnen und so versuchte er immer wieder, mit Komplimenten auf sich aufmerksam zu machen, und auch seinem Haustier gab er keinen Befehl zu bellen. Eine unangenehme Situation, aber das Einzige, was mir nicht aus dem Kopf ging, waren die Überlegungen, warum man diesen Mann den Franzosen nannte. Der Nachname Müller und der akzentfreie Meinungsaustausch zwischen ihm und dem türkischen Pizzaboten ließen nicht darauf schließen, dass er wirklich Franzose war. Der Zufall spielte mir in die Karten, als ich im nahegelegenen Supermarkt meinen Nachbarn von rechts traf. Nach kurzem, allgemeinem Geläster über die viel zu teuren Handwerker fragte er mich, ob ich den Franzosen schon kennenlernen durfte. Ohne auf seine Frage einzugehen stellte ich die Gegenfrage: „Warum nennt man diesen neugierigen, arroganten und schleimigen Typen eigentlich den Franzosen?“ Er entgegnete mir wie aus der Pistole geschossen mit „Genau darum!“.

Auf dem Heimweg wurde mir erst bewusst, dass die Nachbarschaft den Mann deswegen so nannte, weil das das allgemeine Bild war, welches die Leute von Franzosen hatten. Sie galten in diesen Kreisen als neugierig, arrogant und schleimig, und weil auch mein hundeliebener Nachbar so war, gab man ihm diesen Spitznamen. Natürlich wollte ich nicht alle Franzosen über einen Kamm scheren, aber diejenigen, die ich in meinem Berufsleben kennenlernen durfte, zeigten tatsächlich ähnliche Verhaltens- und Charaktereigenschaften. Ich beendete den Gedankengang, als ich in meine Einfahrt bog und den falschen Franzosen mit dem Gesicht an meinem Küchenfenster sah. Mit schnellem Schritt machte er sich davon und bis ich ausgestiegen war, war er fast von meinem Gelände verschwunden. Laut rief ich ihm die Frage nach, was meine Freundin heute gekocht hätte. Er blieb stumm.

Der Mann wurde mir von Tag zu Tag unsympathischer. Er fühlte sich ertappt und anstatt die Angelegenheit ruhen zu lassen, ging er in die Offensive und so kam es, dass er eines Samstag Vormittags an meiner Tür klingelte. Ich öffnete und ein knallroter Kopf begann lauthals zu schimpfen. Unverschämtheit, solch ein Lärm mitten in der Nacht! Da kann ja keiner schlafen und er sei sicherlich der Letzte, der in der Nachbarschaft Probleme haben will, aber so kann es nicht weitergehen, eine weitere Nacht macht er unter diesen Umständen sicher nicht mit und außerdem kann der Hund auch nicht schlafen. Eigentlich wollte ich mich noch genauer nach seinem Anliegen erkundigen, aber da war er auch schon wieder dahin. Das größte Problem war vor allem, dass wir in der besagten lauten Nacht gar nicht zu Hause waren und somit lag es auf der Hand, dass der Nachbar wieder einmal auf Konfrontation aus war. Inzwischen war ich sehr genervt von der angespannten Lage, auch weil der richtige Hammer erst am darauffolgenden Sonntag folgte. Der Fake-Franzose stand wieder vor meinem Eingang, in der Hand ein Tonbandgerät, auf den Schultern wieder ein roter Schädel. „Gestern war es wieder so laut – diesmal hab ich es sogar aufgenommen!“ Das laufende Band gab nur leises Rauschen von sich – ich konnte keine störenden Geräusche wahrnehmen. Die Sachlage drohte komplett zu eskalieren, als zu dieser geladenen Konstellation auch noch mein neuer Vermieter hinzukam, der kurz zuvor von Herrn Müller verständigt worden war. Doch auch dem Hauseigentümer wurde nach hitziger Sachlageerläuterung durch den Franzosen und der Erzählung meiner erlebten Ereignisse schnell bewusst, das hier kein echtes Problem vorlag. Der Frührentner hatte einfach keine Lust auf neue Nachbarn und setzte alles daran, uns wieder herauszuekeln. Diesen Eindruck hatte im übrigen auch mein Vermieter, wie er mir später noch bestätigte. Die ruhiger werdenden Gespräche endeten schließlich darin, dass ich versprach, den Grund der Lärmbelästigung auszuforschen und der Franzose dafür etwas mehr Abstand zu unserem neuen Heim halten würde. Die anderen Nachbarn – rechts und gegenüber – bekamen natürlich alles mit. Am Anfang lachten die beiden noch unabhängig voneinander über die Gegebenheiten, aber später hielten sie beide ein kühles Bier in der Hand und lachten im Kollektiv im Kleingarten von Nachbar Rechts über uns. Das ärgerte mich. Was mich aber noch mehr ärgerte, war, dass sich die Situation nur unwesentlich entspannt hatte. Auch Tage und Wochen nach unserem Gespräch kam es zu Provokationen. Wenn ich das Tor der Einfahr offen ließ, weil ich gleich zurückkommen wollte, dann schloss er es und wollte mich auch noch zu einem „Danke“ zwingen, denn er hatte es ja „nur gut gemeint“. Als mir der falsche Franzose dann zwei Wochen vor Weihnachten auch noch die Tageszeitung samt meinem Lohnzettel von meinem Arbeitgeber aus dem Briefkasten stibitzte, platzte mir mein geduldiger Kragen. In meiner Wut griff ich zum Telefon, denn ich wusste ja bereits, dass diese kleinen Streiche funktionieren.

Die Nervenheilanstalt aus der nächstgelegenen Gemeinde meldete sich bereits nach dem zweiten Freizeichen. Sie fragten mich nach meinem Anliegen und als ich dieses schilderte, versicherte man mir, sofort einen Wagen loszuschicken. Natürlich war meine Erzählung gelogen, denn der Franzose ist logischerweise nicht nackt durch seinen Vorgarten gesprungen und hat dabei „Die Gedanken sind frei“ gesungen. Auch seine kleine Tanne hat er nicht mit Klopapier geschmückt und selbstverständlich hat er an seine Hündin auch keine Silvesterraketen gebunden, und dass er dabei „Komm schon Apollo 13“ gerufen hat, war auch nur erfunden. Aber immerhin war die Geschichte so gut, das sofort Hilfe anrückte und obwohl Herr Müller friedlich am Gartenzaun stand, nahmen Sie ihn mit, was ich von meinem Fenster aus natürlich beobachten konnte. Die Hündin ließen sie zurück, was zur Folge hatte, dass der Vierbeiner drei geschlagene Stunden bellte, bis sein Herrchen erschöpft und müde aus der Klinik zurückkam. Dabei blickte er hoch zu meinem Fenster und man konnte aus seinem Gesicht ablesen, dass er nun endlich verstanden hatte, dass dieser Nachbarschaftskrieg nicht von Erfolg für ihn gekrönt sein wird. Ich genoss meinen Triumph in vollen Zügen, zumindest einige Minuten, bis ich dann doch mein Gewissen zu spüren bekam und sich ein schlechtes Gefühl einschlich. Ich hatte es übertrieben. Vielleicht hätte ich unser Problem anders lösen können, aber in diesem Moment wollte ich dem Alten eins auswischen. Jetzt bedrückt mich das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, und dennoch will ich nicht klein beigeben, und obwohl ich denke, dass ein „Unendschieden“ das Beste wäre, will ich den Erfolg in diesem Nachbarschaftskrieg erzwingen.

Heute ist der 23. Dezember und ich habe mich entschlossen, diesen Kampf zu beenden und dem Franzosen einen weiteren Tiefschlag zu versetzen, an den er sich noch in vielen Jahren erinnern wird! Die eine Flasche Rotwein mit der Weihnachtskarte, die ich ihm vor die Türe gestellt habe, wird zu einem friedlichen Ende führen!

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