„Wieder mehr für die Faulen tun“ – tätige „Faulheit“ als Kulturleistung am Ende überkommender (Erwerbs-) arbeitszwänge

Die politischen Parteien stilisieren die kommenden Nationalratswahlen zur Richtungsentscheidung hoch. Schaut man aber genauer hin, dann deuten die präsentierten Wahlprogramme nicht darauf hin, dass den WählerInnen diesmal die Chance geboten würde, über grundlegend unterschiedliche Konzepte des Zusammenlebens zu entscheiden.

Und doch drängt die Zeit: Der Philosoph Richard-David Precht ist angesichts eines allgemeinen „Angststillstands der Politik“ nur eine populäre Stimme, die fordert, in der aktuellen Umbruchsphase der modernen Gesellschaften über Zukunftsentwürfe nachzudenken, die über ein mehr oder weniger alternativloses „More of the same“ hinauszuweisen vermögen.

Eines der zentralen Themen des Transformationsprozesses ist eng mit unseren überkommenen Vorstellungen von „Arbeit“ verbunden. Folgt man den bisherigen Aussagen des neuen Parteiführers Sebastian Kurz, so setzt sich seine Bewegung für eine alternativlose Durchsetzung einer neoliberal durchdrungenen Arbeits- und Konsumgesellschaft ein. Als Motor dafür dient ihm ein arbeitsbezogener Leistungsbegriff (inklusive den damit verbundenen Anreizen und Zwängen), der für künftige Prosperität sorgen soll.

Arbeit schafft keinen Wohlstand mehr

Was er nicht hinzufügt, ist der Umstand, dass es in den letzten Jahren zunehmend unmöglich geworden ist, mit der Erbringung von noch so fleißig erbrachten Arbeitsleistungen hinreichend Wohlstand zu erwerben, um sich als vollwertiges Mitglied einer Mittelstandsgesellschaft begreifen zu können. Stattdessen verdichtet sich der Eindruck, dass Wohlstand immer bereits besessen (bzw. durch Erbschaft weitergegeben) werden muss, um ihn mit Hilfe von Finanzspekulationen zu vermehren – eine einzig verbliebene hochprivilegierte (und zudem besonders steuerschonende) Möglichkeit – und das ganz ohne eigene Leistung – um Einkommen und Besitz zu vergrößern. Die konservativen Kräfte nicht nur in Österreich strapazieren damit einen in einem zunehmenden Teil der Bevölkerung unglaubwürdig gewordenen Leistungsbegriff, der ohne Aussicht auf Erfolg noch einmal daran appelliert, dass wer viel arbeitet, viel verdient und damit den gesellschaftlichen Aufstieg schafft.

Und auch die Sozialdemokratie tut sich schwer, ihren traditionellen Primat der Erwerbsarbeit zumindest zu relativieren und in ihren strategischen Überlegungen zu antizipieren. Während immer mehr Menschen prekären Verhältnissen ausgesetzt sind und sich von Projekt zu Projekt hanteln, kultivieren ihre Wortführer einen wachsenden blinden Fleck, in dem traditionelle Lohnarbeitsverhältnisse ihre überragende Bedeutung zur Ausgestaltung individueller ebenso wie kollektiver Lebensformen verlieren und einer Vielzahl anderer Realisierungsformen Platz zu machen.

Das Ende der Arbeitsgesellschaft, wie wir sie kennen

Alle diese gesellschaftlichen Interessensvertretungen tun so, als seien bislang alle Prognosen, die das Ende der Arbeitsgesellschaft, wie wir sie kennen, vorhersagen, spurlos an ihnen vorbeigegangen. Und doch spricht vieles dafür, dass die aktuelle technologische Revolution bereits in wenigen Jahren einem beträchtlichen Anteil von auch hoch- und höchstqualifizierten Arbeitsplätzen eliminieren wird, ohne dass dafür noch einmal ein adäquater Ersatz geschaffen werden könnte (http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5112067/Digitalisierung-bedroht-fast-jeden-zweiten-Job-in-Oesterreich).

Wenn Optimisten einschlägigen Studien entgegen halten, dieser Verlust könne durch neue Formen der Güter- und Dienstleistungsproduktion auf immer neue Weise kompensiert werden, dann könnte bei manchen die Frage auftauchen, ob eine weitere Ausweitung des Angebotes überhaupt nicht Sinn ergibt bzw. zur massenhaften Verbreiterung von Lebensqualität beizutragen vermag oder nicht viel mehr drauf und dran ist, sich in ihr Gegenteil zu verkehren.

Dazu meinte jüngst der deutsche Wohlfahrtsstaatsforscher Stephan Lessenich, dass eine weitere Steigerung der wirtschaftlichen Produktion den verheerenden Raubbau begrenzter Ressourcen samt damit verbundener Belastung für die Umwelt weiter verschärfen würde. Das gilt auch für die damit verbundenen Belastungen der in diesem oktroyierten Wachstumsprozess beteiligten Menschen, für die die täglichen Anforderungen immer weiter nach oben geschraubt werden, ohne dass sich –jedenfalls für die meisten von ihnen – die Lebensqualität noch einmal steigern ließe (Paradigmatisch steht hierfür die aktuelle „Dieselaffaire“ in Deutschland, bei der die Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen in der Automobilbranche mit erhöhten Mortalitätsraten durch Feinstaubbelastung politisch gegengerechnet werden).

Wir bringen uns um unser Begehren

Aber schon ein Durchgang durch einen der großen Supermärkten mit seinem überwältigen Warenangebot macht das Ende einer Arbeits- und Konsumgesellschaft, wie wir sie bisher angestrebt haben, unmittelbar sinnlich erfahrbar. Die Vorstellung, dieses Angebot ließe sich in den nächsten Jahren weiter so steigern wie in den Jahren zuvor gleicht einer Horrorvorstellung. Eine besondere Infamie dieser Gigantomanie – darauf hat mich zuletzt ein einfühlsames Portrait des israelischen Psychoanalytikers Avi Rybnicki in der Ö1-Sendung „Gedanken“ gebracht – liegt in der Unterminierung jeglichen Begehrens. Entsprechend entfällt jegliche Vorfreude, die gerade darin besteht, nicht immer schon alles in beliebiger Fülle vorgesetzt zu bekommen, ohne sich selbst darum bemühen zu müssen. Nicht zu reden von der Mühe, diese unendliche Menge an Dingen als Ausdruck einer aufgezwungenen Ersatzhandlung organisieren und nutzen zu müssen, was zunehmend Lebenszeit verschlingt und selbst einer Arbeitsleistung gleich kommt.

Bei diesen Überlegungen außen vor bleibt das wachsende Heer von Arbeitslosen bzw. prekär Beschäftigten, die von ihrer Arbeit kaum überleben können und wenig Aussicht haben, dass sich dieser unbefriedigende Zustand durch eines der aktuellen Politikangebote noch einmal ändern würde (In diesem Zusammenhang fällt auf, dass noch in den 1980er und 1990er Jahren die öffentliche Diskussion stark von der Gefahr einer „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ geprägt war, während die Betroffenen heute weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden erscheinen).

Zum anhaltenden Streit um das bedingungslose Grundeinkommen

Als eine – freilich alleine für sich nicht ausreichende Maßnahme - zur Überwindung der fast schon religiöse Züge zeigenden Überhöhung des Arbeitsbegriffs als ausschließliches Mittel der existentiellen Identitätsversicherung kommt immer wieder das „bedingungslose Grundeinkommen“ ins Spiel. Besonders öffentlichkeitswirksam dafür eingesetzt hat sich dafür Richard David Precht, der im Falle einer blinden Fortsetzung der herrschenden Arbeitsethik katastrophische Konsequenzen heraufbeschwört.

Er ist mit seinen Überlegungen nicht allein, wenn mittlerweile in Finnland erste praktische Erprobungsversuche stattfinden und selbst im Zentrum des Wirtschaftsliberalismus, in den USA Untersuchungen, etwa des Roosevelt-Instituts, dass die Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens dazu führen würde, das Wirtschaftswachstum kräftig anzuheizen.

All diese Überlegungen bleiben in Österreich bislang freilich weitgehend undiskutiert (wohl auch deshalb, weil die Migrations- und Flüchtlingsfrage trotz sinkender Zahlen alles andere dominiert). Die Gründe liegen auf der Hand: Für die Konservativen würde eine solche sozialpolitische Maßnahmen die mühsam verinnerlichte Arbeitsmoral unterlaufen, die eine stark disziplinierende Wirkung ausübt: Von den unmittelbaren zwängen der Arbeitsgesellschaft befreiten Menschen könnten auf „dumme Gedanken“ kommen. Aber auch seitens der traditionellen Arbeitnehmervertretungen kommen Einwände, die meinen, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den auf lohnabhängige Erwerbsbeziehungen begründeten Wohlfahrtsstaat unterminieren und so weiter unter Druck setzen.

„Das Recht auf Faulheit“ – so aktuell wie nie

All diese Argumente sind nicht neu; sie verweisen auf eine lange Auseinandersetzung, wenn bereits der Schwiegersohn von Karl Marx zu Ende des 19. Jahrhunderts ein Pamphlet ein „Recht auf Faulheit“ propagiert hat, das er dem sozialistischen Anspruch auf ein „Recht auf Arbeit“ entgegensetzen wollte. Ein solcher kann sich heute – mit wesentlich überzeugenderen Argumenten als vor hundert Jahren – darauf berufen, dass der insgesamt erreichte gesellschaftliche Reichtum mehr als ausreichen würde, allen Menschen eine freie und selbstbestimmte Existenzform Zwängen einer Arbeitswelt – so wie wir sie kennen – zu ermöglichen. Dazu kommt ein Ausmaß an Automatisierung, die es ermöglicht, einen Gutteil der bisherig von Menschen zu erledigenden Arbeit künftig von Maschinen durchführen zu lassen. Gute Gründe, sich dieser zentralen gesellschaftlichen Herausforderung zumindest in den westlichen Industriestaaten zu stellen. „Arbeits-Losigkeit“ nicht mehr als eine ausschließlich defizitäre Existenzform mit der Tendenz des dumpfen Dahinsiechens sondern „Faulheit“ als Befreiung und Neubeginn für eine Vielfalt von sinnvollen und sinnstiftenden Tätigkeiten.

Beide Szenarien sind heute denkbar. Entsprechend kontrovers wurde das Thema zuletzt entlang der Befürchtung, der neuen Freiheit der Menschen stünde eine weiterenVertiefung der gesellschaftlichen Spaltung auch in Alpbach diskutiert.

Interessanter finde ich da schon die Überlegungen des Zukunftsinstituts von Matthias Horx, der für eine inhaltliche Neubestimmung des Arbeitsbegriffes im Sinne von „Arbeit in Zukunft ist jene Leidenschaft, die sich selbst bezahlt“ plädiert. In diesem Zusammenhang beruft er sich u.a. auch auf den Publizisten Brian Deans Begriff von „Antiwork“, der eine moralische Alternative zu unserer Obsession mit „Jobs“ bzw. zum (noch) dominierenden Verhältnis von „Arbeit“ und “Freizeit“ ermöglichen soll.

Welcher Bildungsvoraussetzungen bedarf es, um ein „freies und selbstbestimmtes Leben“ zu führen?

Eines der zentralen Probleme bei der Überwindung der überkommenen Arbeitsgesellschaft scheint mir darin zu liegen, dass wir weitgehend verlernt haben, ein im Wortsinn freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Die umfassende Hegemonie der Arbeitsgesellschaft (die mit dem Wahlslogan von Sebastian Kurz „Wieder mehr für die Fleißigen tun“ in strukturkonservativer Absicht am Leben erhalten wird) hat uns – bis auf eine begrenzte Zahl von Aussteigern - verlernen lassen, dass es ein sinnerfülltes Leben abseits der Erfordernisse einer rund um Erwerbstätigkeit konstruierten gesellschaftlichen Verfasstheit gibt. Wir sind darin (nicht mehr) geübt, wenn es um die Gestaltung des eigenen und des gemeinsamen Lebens abseits der vorgegebenen Zwangsverhältnisse geht – und wir haben verlernt, darunter zu leiden (an anderer Stelle habe ich darauf hingewiesen, dass diesbezüglich viel von der erwerbslosen aristokratische Klasse des 18. Jahrhunderts gelernt werden könnte. Ganz im Gegenteil: wir leiden zuallererst daran, wenn wir nicht Teil dieser Zwangsverhältnisse sein können

Die Schulentwicklung hat sich in den letzten Jahren darauf konzentriert, Menschen auf die Notwendigkeiten eines dynamischen Arbeitsmarktes vorzubereiten. Die Erfolge halten sich in Grenzen. Vergleichsweise zu kurz gekommen sind hingegen die Bemühungen, die jungen Menschen auf ein freies und selbstbestimmtes Leben vorzubereiten. Ein Umstand, der sich in dieser Phase des gesellschaftlichen Transformationsprozesses rächt und Menschen anfällig dafür macht, am traditionellen Arbeitsbegriff um fast jeden Preis festzuhalten („Die MigrantInnen nehmen uns die Arbeit weg!).

Nicht „Arbeitsleistung“ sondern „Kunst“ ist das Medium zur Zukunftsgestaltung

Während die Konservativen sich ungebrochen im Versprechen erschöpfen, die „Fleißigen besonders fördern“ zu wollen, lesen wir schon in Friedrich Schillers „Ästhetischen Briefen“ die Zuschreibung: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Ein solch spielerischer Umgang mit der Welt will freilich gelernt sein. Vieles spricht dafür, dass der Umgang mit künstlerischen Ausdrucksformen, die nicht unmittelbar auf die Zurichtung auf eine künftige Erwerbsarbeit abstellen, dafür ein besonders gutes Mittel bieten können.

Der deutsche Kultur- und Religionswissenschafter Robert Schäfer hat in diesem Zusammenhang zu einer „ästhetischen Lebensführung“ geraten. Dieses wäre darauf gerichtet, sich von den mannigfachen Fremdbestimmungen der Arbeitsgesellschaft zu lösen und sich stattdessen in erster Linie auf die sinnlichen (und sinnstiftenden) Erfahrungen mit seiner/ihrer Umwelt zur eigenen Selbstvergewisserung zu beziehen. Es ist dies wahrscheinlich das wichtigste Argument, warum „Kunst“ in Zukunft einen größeren Stellenwert im Schulgeschehen einnehmen sollte, ist sie doch das herausragende Medium, um die Welt nicht nur kognitiv sondern in ihren vielfältigen Erscheinungsformen mit allen Sinnen zu erfahren und in menschlicher Weise zu gestalten. Infrage steht dabei auch das - aus der Arbeitswelt übernommene - streng reglementierte Zeitregime, das den Beteiligten die notwendige Muße und damit die Freiheit der eigenständigen Zeiteinteilung verweigert, die es braucht, um sich mit den schönen und sinnstiftenden Dingen des Lebens zu beschäftigen.

Es spricht wenig dafür, dass die aktuellen Wahlauseinandersetzungen in dieser Grundsatzfrage produktive Lösungen erbringen werden. Umso wichtiger erscheint es, Schule nicht nur neu zu denken (Hartmut von Hentig) sondern darüber hinaus neu zu gestalten als einen Ort, wo sich junge Menschen auf ein gutes Leben in einer offenen Gesellschaft vorbereiten, die etwas weniger von „Arbeit“, die verlernt und etwas mehr von tätiger „Faulheit“, die gelernt werden will, bestimmt ist.

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