Umverteilungs-Studie: Breite Mehrheit für Vermögensteuern und geringere Steuern für Arbeitnehmer!

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“, das hat der berühmte deutsche Dramatiker Bertolt Brecht bereits 1934 formuliert. Und er konnte damals bei weitem nicht ahnen, wie sich innerhalb von 90 Jahren die Ungleichheit in der Gesellschaft galoppartig weiterentwickelt.

Aktuell verdienen die obersten 20 Prozent der Einkommensbezieher rund viermal so viel wie die untersten 20 Prozent, die ATX-Vorstände erhielten 2018 das 64fache des Medianlohns. Noch extremer sind die Relationen beim Vermögen: Das reichste 1 Prozent besitzt rund 40 Prozent des Nettovermögens, die unteren 50 Prozent nur 3 Prozent. Durch die Corona-Pandemie und die Inflationskrise haben sich die finanziellen Verhältnisse für die ärmere Bevölkerung noch weiter verschlechtert, während die Vermögenden noch reicher geworden sind.

Warum die Politik nicht gegensteuert? Forscher gehen davon aus, dass durch die emsige Arbeit der Lobbyisten Wirtschaftsinteressen (in Verbindung mit Wettbewerbsvorteilen und Arbeitsplatzsicherheiten) in den Vordergrund gerückt werden. Gerne wird von den „Mächtigen“ auch behauptet, dass „die Bürger keine stärker umverteilende Politik“ wollen. Hier handelt es allerdings um einen Trugschluss, wie die aktuelle SORA-Studie „Umverteilung – So denken die Vielen“ zeigt.

Repräsentative Studie

Befragt wurden im Rahmen einer repräsentativen Studie 2000 Menschen ab 16 Jahren mit Wohnsitz in Österreich. Die Interviews wurden zwischen dem 26. Juli und dem 25. September 2022 durchgeführt. Im Mittelpunkt standen dabei die Haltung der Menschen zur Einkommens- und Vermögensverteilung und die Bewertung ausgewählter Maßnahmen in den Bereichen Steuern, Arbeit und Soziales. Zwecks Analyse von Unterschieden je nach Einkommen wurden die Menschen in drei Klassen unterteilt, die oberen Klassen (= obersten 10 Prozent mit einem äquivalisierten Nettohaushaltseinkommen von mindestens 3370 Euro), die Mittelklassen (= die folgenden 40 Prozent) und die unteren Klassen (= unteren 50 Prozent mit einem N.-Einkommen unter 1950 Euro).

Einkommens- und Vermögensverteilung ungerecht

Die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: So sind 69 Prozent der Österreicher davon überzeugt, dass die Einkommensverteilung ungerecht ist. Noch höher ist der Wert mit 71 Prozent bei der Vermögensverteilung. Die absolute Mehrheit wird in allen drei Klassen erzielt, bei den oberen Klassen ist sie etwas geringer ausgeprägt.

Erschütternd sind eigentlich die Ergebnisse über die Bewertung des politischen Systems, die mit der zunehmenden Ungleichheit in der Gesellschaft im Zusammenhang stehen: 75 Prozent der Interviewten gaben an, dass „das politische System wenig bzw. gar nicht gut funktioniert“, die Politik wird von rund 80 Prozent für die krassen Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich verantwortlich gemacht.

80 Prozent für geringere Steuern auf Arbeit

Spannend für die künftige Entwicklung Österreichs sind auch die Resultate bezüglicher diverser politischer Maßnahmen, die aus dem Regierungsprogramm 2020, Oppositionsvorschlägen und Positionspapieren von Interessensvertretungen selektiert wurden. So votieren 80 Prozent für eine Senkung der Steuern für Arbeitnehmer und für eine Senkung der Steuern auf Lebensmittel. Letztere Maßnahme wurde in Österreich – trotz des Vorbilds vieler europäischer Staaten – sogar im Rahmen der Inflationskrise von der türkis-grünen Bundesregierung abgelehnt.

2/3-Mehrheit für Vermögenssteuern

65 Prozent der Befragten sind für die Einführung einer Vermögenssteuer, 55 Prozent für eine Erhöhung der Steuern auf Unternehmensgewinne und 48 Prozent für die Einführung einer Erbschaftssteuer für große Erbschaften. Warum dieser Wert vergleichsweise gering ist, könnte auf die Angst oder Unsicherheit der Bürger zurückzuführen sein, dass sie davon betroffen sind. Paradebeispiel: Die Vererbung von Einfamilienhäusern oder Eigentumswohnungen an die Söhne und Töchter, die allerdings bei nahezu allen Modellen unter den Freibeträgen (500.000 – 1 Million Euro) liegt.

Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen

Im Politikfeld Arbeit sprachen sich 88 Prozent der Befragten für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in besonders anstrengenden Berufen und 87 Prozent für Lohnerhöhungen in Branchen mit niedriger Bezahlung aus. Mehr als 80 Prozent fordern Richtlinien für Unternehmen, damit Ältere bis zur Pension gesund arbeiten können. Eine Mehrheit goutiert mehr Geld für Umschulungen und mehr Unterstützung für Arbeitslose, allerdings auch strengere Bestimmungen. 55 Prozent sind gegen eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes, das derzeit ohnehin nur 55 Prozent des täglichen Nettoeinkommens beträgt. Grund vermutlich die subjektiv zu gering empfundene Differenz zwischen Arbeitseinkommen und Arbeitslosengeld bzw. Mindestsicherung, die allerdings durch eine geringere Besteuerung der Arbeit verbreitert werden könnte. Mehrheitlich abgelehnt wird auch eine Erleichterung der Einwanderungsbestimmungen, um Arbeitskräfte ins Land zu holen.

Verbesserung der Bildungschancen

Im sozialen Bereich fordern 81 Prozent eine Verbesserung der Bildungschancen bei schlechteren Startbedingungen, 77 Prozent mehr Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Armut und rund 70 Prozent dauerhaft mehr Geld für Familien und die Mittelschicht. Während sich die Mehrheit (61 Prozent) für einmalige Zahlungen für arbeitslose und armutsgefährdete Menschen in Ausnahmesituationen ausspricht, wird die Erhöhung der Sozialhilfe (42 Prozent Zustimmung, 36 Prozent Ablehnung, Rest keine Meinung) eher zwiespältig gesehen.

Breite Mehrheit für Umverteilung

Betrachtet man die Ergebnisse dieser Studie als Gesamtresümee, besteht seitens der Bevölkerung eine breite, klassenunabhängige Unterstützung für Umverteilungs-Maßnahmen, egal, ob es sich um Steuersenkungen für Beschäftigte, die Einführung einer Vermögenssteuer, Lohnerhöhungen für niedrig bezahlte Branchen (wie Elementarpädagogik, Pflege, Gastro, Verkauf), mehr Geld für Familien oder die Verbesserung des Bildungssystems handelt.

Dass es sich hier vorwiegend um Themen handelt, die mit dem Programmen und der Leitlinien der Sozialdemokratie kohärent sind, liegt auf der Hand. Bei der nächsten Nationalratswahl sollte man – mit Selbstbewusstsein und mentaler Stärkung durch diese Studie – eine zielgerichtete Kampagne konzipieren und klar darlegen, wie sich das Leben in Österreich durch diese Umverteilungsmaßnahmen für alle verbessern kann. Es dürfen nicht weitere Elfmeter im gegnerischen, konservativ-neoliberalen Tor versenkt werden…

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