Warum es heute schwer ist, sich zu verlieben

Als 2016 begann, habe ich mir für dieses Jahr keine neue Beziehung vorgenommen. Ich möchte mein Singledasein genießen. Nein: Das bedeutet nicht, dass ich mich gleich bei Tinder registriere und eine nach der anderen abschleppen werde. Ich werde auch sicher nicht mit einer x-beliebigen Frau in der Kiste landen.

Zugegeben, das habe ich am Anfang gedacht. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich nicht so ein Mensch bin. Stattdessen ist es schöner, mit seinen Gedanken alleine zu sein, sich zu überlegen, welche Wanderstrecke man als nächstes gehen will, wie man diese Gesellschaft zum Guten verändern kann oder einfach das Gespräch mit anderen Frauen zu suchen, in der es nicht gleich um Sex oder Beziehungen geht.

Aber irgendwann passiert es doch. Ich treffe auf eine Frau, die für Schmetterlinge in Bauch sorgt. Das Kopfkino wird aktiv: Ich denke, wie es sich wohl anfühlt, mit dieser Frau zu kuscheln, mit ihr fortzugehen, eine Wohnung zu teilen, einkaufen zu gehen, zu streiten, Urlaub zu machen, Hausarbeiten zu erledigen und auch Kinder zu haben. Ziemlich weitläufige Gedanken beim ersten Treffen.

„Ich mag dich sehr, aber...“

Wenn ich eine Frau sehe, die ich interessant finde, dann soll sie es auch merken. Ich gehe damit offen um und gestehe ihr das ein. Die Reaktionen danach sind so vielfältig, wie die Tierwelt im Amazonas-Regenwald. Doch die interessanteste Erwiderung, die ich bislang bekam war: „Verlieb dich nicht in mich!“ Anschließend wurden sämtliche Gründe aufgezählt, warum ich dieses Hochgefühl unterlassen sollte. Der Altersunterschied sei zu groß, ihre Eltern würden mich nicht mögen, die Ernährungsgewohnheiten seien zu unterschiedlich, ich sei zu sesshaft, die Distanz sei zu groß, zu unterschiedliche politische Vorstellungen oder sie könnte nicht vollständig aufs Rauchen verzichten. Jede Menge Gründe, die gegen eine Beziehung sprechen. Aber mein absoluter Favorit ist dieser hier: „Ich mag dich wirklich sehr, aber ich möchte unser gutes Verhältnis nicht aufs Spiel setzten.“ Was soll da aufs Spiel gesetzt werden?

Wegwerfgesellschaft

Gerade in solchen Situationen, kann das Verhältnis wegen den unterdrückten Gefühlen nur schlechter werden. Nur weil man Angst vor neuen Konflikten hat, die weit in der Zukunft liegen, geht man die Beziehung nicht ein? Irgendwie ist das befremdlich. Und sollte es dazu doch kommen, dass man sich streitet und trennt, dann ist das einfach so. C’est la vie. Doch frage ich mich, warum es zum Volksport geworden ist, gleich an das Horrorszenario zu denken und nicht an die vielen schönen Dinge, die einem bevorstehen. Wieso hat man gleich Angst vor Differenzen und denkt an das Beziehungsende, obwohl sie noch nicht einmal angefangen hat? Überlegt man sich etwa, die Beziehung zu beenden, wenn es schwierig wird? Wenn das so ist, dann ist aus unserer Gesellschaft eine Wegwerfgesellschaft geworden.

Verlieben ist nicht mehr normal. Es wird oft als Problem und als etwas Seltsames angesehen, weil es gegen den Zeitgeist verstößt. Normal ist dagegen, wenn man sich auslebt und eine Frau bzw. einen Mann im Internet wie ein Produkt heraussucht. In so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben.

Statt uns auf soziale Werte zu besinnen, wie Fairness, gute Gespräche, Treue und Kompromissbereitschaft, laufen wir einem neuen Trend nach dem anderen nach. Die Angst, etwas zu verpassen ist anscheinend zu einer Volkskrankheit geworden. Kein Wunder, dass nicht mehr nur Ehen und Beziehungen, sondern auch Freundschaften heutzutage so leicht zerbrechen.

Übrigens: Noch bin ich nicht verliebt. Jedoch entscheide ich darüber, ob ich mich verliebe. Und sollte das passieren, werde ich diese wunderbaren Gefühle nicht unterdrücken!

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