Die Sicherheitsbehörden in Putins Russland unterlagen keiner gesellschaftlichen Kontrolle mehr.

Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Russland nützten Putin auf dem Weg zum Präsidentenamt. Wer es wagte, die offiziell verlautete Urheberschaft in Frage zu stellen oder gar die Regierung zu verdächtigen, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Die Journalistin Anna Politkowskaja wurde 2006 in ihrem Haus erschossen, der ehemalige KGB-Agent Alexander Litwinenko starb im gleichen Jahr in London an einer Polonium-Vergiftung. Bereits 2003 waren zwei Mitarbeiter einer unabhängigen Untersuchungskommission, die unter anderem von Angehörigen der Opfer gegründet worden war, Opfer von Mordanschlägen geworden.

Dieser Kommission gehörte unter anderen Michail Trepaschkin an, ein Anwalt und Ex-KGB-Mann. Er war 2003 in einem laut Amnesty International fragwürdigen Verfahren wegen illegalen Waffenbesitzes zu vier Jahren Straflager verurteilt worden. Im Gespräch mit dem US-Journalisten Scott Anderson erklärte er, warum nach seiner Ansicht der FSB und letztlich auch Wladimir Putin für die Explosionen verantwortlich seien.

Ihm stachen Ungereimtheiten ins Auge: Am 22. September hatten Bewohner eines Hauses in der Stadt Rjasan zwei Männer beobachtet, die schwere Säcke in den Keller schleppten. Die durch die früheren Anschläge alarmierten Bewohner riefen die Polizei, die sofort eine umfassende Fahndung einleitete und die Männer erwischte. Sie besaßen FSB-Ausweise und wurden auf Intervention aus dem Kreml freigelassen.

FSB-Chef Nikolai Patruschew erklärte, es habe sich nur um eine „Übung“ gehandelt, um die Wachsamkeit der Bevölkerung zu testen, in den Säcken habe sich nur Zucker befunden, kein Sprengstoff.

Dabei war in der Außenkommunikation leider etwas schief gegangen. Ein FSB-Experte hatte nämlich bereits vorher erklärt, dass die mit einem Zeitzünder versehenen Säcke sehr wohl mit dem Sprengstoff RDX gefüllt waren. Die Menge hätte ausgereicht, um das Haus in die Luft zu jagen.

Die zweite Ungereimtheit ereignete sich am 13. September 1999, als Parlamentspräsident Gennadi Selesnjow den Abgeordneten mitteilte, in der Nacht zuvor sein ein Haus in Wolgodonsk explodiert. In Wirklichkeit hatte sich der oben erwähnte Anschlag in Moskau ereignet, der Anschlag in Wolgodonsk fand erst drei Tage später statt. Als ein Abgeordneter nachhaken wollte, wurde das Mikrofon abgestellt.

Michail Trepaschkin glaubte, dass ein FSB-Mitarbeiter die Reihenfolge durcheinander gebracht hatte und Selesnjow deshalb die falsche Information zukommen ließ. Der ehemalige KGB-Agent hoffte auf eine neue Untersuchung, doch die Chancen waren nicht gegeben, seit Wladimir Putin an den Schalthebeln der Macht saß.

Im September 2002 gründeten liberale Parlamentsabgeordnete eine eigene Untersuchungskommission für die undurchsichtigen Verbrechen. Fortan sollten Mord und Tod, Überfall und Staatsverfolgung zu ihren Begleitern gehören. Am 17. April 2003 starb der Parlamentsabgeordnete Sergej Juschenkow vor dem Eingang seines Wohnhauses in der Moskauer Freiheitsstraße durch vier Schüsse in den Rücken. Es war der zweite Mord an einem führenden Politiker der Partei Liberales Russland, die Beresowskij aus seinem Londoner Exil zeitweise finanzierte. Juschenkow galt als integrer Liberaler ohne persönliche Geschäftsinteressen.

Im Juli 2003 kam ein weiteres Gründungsmitglied der Untersuchungskommission ums Leben. Der Journalist und Abgeordnete Jurij Schtschekotschichin war nach Rjasan gefahren, um erneut über den FSB zu recherchieren. Nach seiner Rückkehr nach Moskau erkrankte er und starb ohne exakte Diagnose. Die Behörden sprachen von einer schweren Allergie.

Schtschekotschichin war als Kämpfer gegen die Korruption bekannt und leitete als stellvertretender Chefredakteur die Zeitung Nowaja Gaseta, für die auch Anna Politkowskaja schrieb. Vor seinem Tod hatte er eine Artikelserie mit dem Vorwurf der Korruption über den Chef der FSB-Abteilung gegen das Organisierte Verbrechen, Litwinenkos Vorgesetzten, veröffentlicht.

Die Kommission konnte einen Ex-Geheimdienstler und Anwalt, Michail Trepaschkin, als Mitarbeiter gewinnen. Er fand heraus, dass die Keller der Mietshäuser, in denen der Sprengstoff platziert wurde, von einem FSB-Agenten angemietet worden seien. Dieser Agent starb später bei einem Autounfall auf Zypern. Trepaschkin wurde eine Woche vor seinem Auftritt im Prozess zu den Moskauer Häuserexplosionen, bei dem er dem Gericht seine Untersuchungsergebnisse darlegen wollte, verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis wegen Verrats von Staatsgeheimnissen und illegalen Munitionsbesitzes verurteilt. Die Sicherheitsbehörden in Putins Russland unterlagen keiner gesellschaftlichen Kontrolle mehr.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Dieter Knoflach

Dieter Knoflach bewertete diesen Eintrag 19.04.2023 12:53:01

Pausenclown

Pausenclown bewertete diesen Eintrag 18.04.2023 23:24:11

5 Kommentare

Mehr von panzerhaubitze