"Fluchtursachen bekämpfen" klingt vernünftig. Die reale Umsetzbarkeit steht aber auf einem anderen Blatt.

Das Argumentsmuster ist wohlbekannt. Weltweit wünschen sich unzählige Menschen ein besseres Leben als in ihrer Heimat. Und viele von ihnen richten ihre hoffnungsvollen Blicke nach dem in Europa wartenden Glück. Daher könnten die momentanen Menschenmassen nur eine vergleichsweise kleine Vorhut darstellen. Folglich kann es sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen letzten Endes nur um reine Symptombekämpfung handeln. Will man die Flüchtlingskrise langfristig in den Griff bekommen, braucht es weitergehende Maßnahmen.

Fragile und gescheiterte Staaten

Die Wurzel des Problems ist schnell ausgemacht: Die gefährliche und auch trostlose Situation in den Heimatländern. Blickt man auf die gegenwärtigen Haupt-Herkunftsländer, sieht man eine Reihe gescheiterter Staaten und Gesellschaften. Auf dem "Fragile State Index" liegt Syrien auf Platz 8, Afghanistan auf Platz 9, der Irak auf Platz 12, gefolgt von Pakistan und Nigeria. Österreich, Deutschland und Schweden liegen wiederum im zweithöchsten Bereich (im höchsten befindet sich übrigens lediglich Finnland).

Die Flüchtlingsbewegung verläuft also auch von unsicheren und wenig lebenswerten Staaten in die sichersten und funktionstüchtigsten Staaten. Worauf weite Teile der dortigen Bevölkerung wiederum mit der Sorge reagieren, dass die Aufnahme von Flüchtlingen als solche oder jedenfalls ab einer gewissen Anzahl zu signifikanten Einbußen beim Lebensstandard im Allgemeinen und der Sicherheit im Besonderen führen könnte.

Die Bekämpfung von Fluchtursachen bedeutet auch, aber eben nicht nur, die Beendigung von Kriegen. Das Problem reicht tiefer. Grundsätzlich verlangen sie den Aufbau funktionierender Staaten, die Perspektiven und einen gewissen Mindest-Lebensstandard bieten können. Konflikte und Gewaltausbrüche sind in gescheiterten Staaten schließlich grundsätzlich jederzeit möglich. Dysfunktionale bis nonexistente staatliche staatliche Strukturen, ein niedriger Lebensstandard gepaart mit ethnischen, kulturellen oder religiösen Spannungen und unterdrückerischen Regimen ergeben einen hochexplosiven Cocktail. Frieden ist unter solchen Umständen stets nur relativ.

Das Erbe des Kolonialismus

Die historische Bilanz in Sachen Staatsaufbau von außen ist ernüchternd. Der Kolonialismus sollte offiziell der "Zivilisierung" "barbarischer" beziehungsweise "rückständiger" Völker und Nationen dienen. In der der Praxis stellte dieser Gedanke freilich eher einen Vorwand zur Verfolgung wirtschaftlicher und damit einhergehender imperialer Interessen dar. Die Folgen sind bis heute spürbar.

Immer wieder aufkeimende Forderungen nach einer Rückkehr des Kolonialzeitalters gilt es folglich mit Skepsis zu begegnen. Gleichzeitig sollte man freilich nicht dem allzu verlockenden Umkehrschluss unterliegen und davon ausgesehen, dass die Welt ohne Kolonialismus eine friedvollere und besser funktionierende wäre. Anders, aber wohl nicht notwendigerweise besser. Zumal sich das ohnehin nie so einfach feststellen lässt.

Abgesehen davon sind auch die westlichen Staaten selbst wenig gewillt, als neue Kolonialherren aufzutreten. Selbst den USA wurden beim Wiederaufbau Afghanistans oder dem Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein in vielerlei Hinsicht ihre Grenzen aufgezeigt. Anderen Staaten steht ein ungleich geringeres Ausmaß personeller oder administrativer Mittel zur Verfügung.

Entwicklungszusammenarbeit

Der weiter verbreitete Ansatz besteht in der Entwicklungshilfe beziehungsweise -zusammenarbeit. Auch hier haben die Fehler der Vergangenheit das Vertrauen und das allgemeine Bild nachhaltig geschädigt. Die Geschichten von Diktatoren, die sich mit den internationalen Hilfsgeldern wahre Paläste und sonstige größenwahnsinnige Ausschweifungen gönnten, haben sich eingeprägt. Manche, wie die sambische Ökonomin Dambisa Moyo, fordern daher gar ein Ende der Entwicklungshilfe, da sie mehr Schaden angerichtet denn Gutes bewirkt habe.

Immer wieder wird freilich betont, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe. Mikrokredite und Direktinvestitionen lauten die neuen Zauberworte.

Scheitern hat viele Facetten

Inwiefern die Fortschritte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ausreichen, um die tiefergehenden gesellschaftlich-soziologischen Probleme in vielen gescheiterten Staaten zu lösen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Wirtschaftlicher Aufschwung ist kein Selbstzweck. Armut ist ein entscheidender Faktor, aber eben nicht der einzige. Die eingangs genannten Spannungen zwischen rivalisierenden Gruppierungen aller Art können durchaus weiter bestehen. Selbiges gilt für andere Faktoren wie etwa die Behandlung von Frauen (je geringer das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen, desto höher die allgemeine Stabilität), Fragen der Sexualmoral oder (politische und allgemein-gesellschaftliche) Freiheit. Wie ein Blick nach Katar zeigt, steht letztere entgegen einer weitläufigen Annahme (wie sie etwa von Milton Friedman formuliert wurde) eben nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit wirtschaftlichem Wohlstand.

Davon ungeachtet möchten viele, vor allem junge Menschen, selbst bei positiven Zukunftsaussichten nicht zuwarten. Warum etwas aufbauen, wenn man es anderswo sofort haben kann? Zumal nicht klar ist, ob dieses Unterfangen von Erfolg gekrönt sein wird?

Daher rührt die Skepsis, wenn man noble Absichtserklärungen der Marke "Fluchtursachen bekämpfen" vernimmt. Die Liste der Erfolgsbeispiele ist äußerst kurz, der politische Wille oft nur auf dem Papier vorhanden und Allgemeinrezepte wenig erfolgversprechend. Trübe Aussichten.

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dohle

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The_Duck

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