Altes und neues Leben in Christchurch - Neuseeland

Zwischen Sydney und Neuseeland liegen nur drei Flugstunden. Die politisch ausgebeulten Zeitzonen sorgen aber dafür, dass es zwei Stunden mehr sind. Neuseeland beginnt für uns auf der Südinsel, in Christchurch. Noch merkt man es nicht, wenn man um 1:00 Uhr am Morgen in der zähflüssigen Schlange am Immigration Desk steht, sich todmüde ins Motel schleppt und am nächsten, windigen Morgen das reservierte Wohnmobil übernimmt. Aber wenn man das erste Mal durch die Straßen fährt und durch die Gassen geht, erschreckt man: Dieser Stadt fehlen die Häuser. Nicht vereinzelt, da oder dort in einer Straße, sondern über große Areale der Innenstadt hinweg. Eine Stadt als Ansammlung leerer Räume.

Wir - vom anderen Ende der Welt her kommend - haben nur eine schwach glimmende Erinnerung daran: In den frühen Morgenstunden des 4. September 2010 erschüttert ein schweres Beben die Stadt. Große Schäden, keine Toten. Aber nur sechs Monate später bebt die Erde erneut, zur Mittagszeit und näher am Stadtzentrum. Zahlreiche Gebäude stürzen ein, 185 Menschen kommen dieses Mal unter den Trümmern ums Lebens. Im Stadtzentrum werden 70% aller Häuser vollkommen zerstört oder müssen danach abgerissen werden. Zehntausende ziehen weg, mehr als ein Fünftel der Bevölkerung. Christchurch liegt am Boden.

Heute regt sich längst neues Leben in der Stadt. In den leeren Räumen ist augenscheinlich Platz für Inspiration, Kreativität und Innovation - auch wenn es bisher nur Skizzen, Container oder Baufundamente sind. Viele ziehen wieder nach Christchurch und wollen Teil des Neuanfanges einer Stadt sein. Neben zahlreichen Kunst- und Architekturprojekten will man neue Formen des urbanen Lebens verwirklichen: städteplanerisch, ökologisch, sozial. In Berichten liest man immer wieder, dass es typisch für die neuseeländische Mentalität sei, nicht aufzugeben, sondern anzupacken und von vorne zu beginnen. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass das für alle Menschen typisch ist, ob sie nun in Tokyo, Wien oder New York leben, in Rom, Attnang-Puchheim oder sonst wo. Im Unglück überwinden Menschen Grenzen, bauen Schranken ab, sehen über Befremdliches hinweg, nutzen ihren Verstand ebenso wie ihr Herz und leisten gemeinsam Außerordentliches. Warum tun sie das nicht bereits dann, wenn sie das Unglück kommen sehen? Ein Erdbeben sieht man nicht kommen, anderes aber schon.

Am nächsten Morgen fahren wir hinaus nach Akaroa, vorbei an gemächlichen Schafherden und bleiben dort über Nacht, wo sanfte Berghänge in ein ungestümes Meer münden. Das ist kein Unglück, das ist ein Glück.

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Erkrath

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Silvia Jelincic

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