Neonazi, Christ oder Kommunist zu sein, das ist einfach. Man ist sofort in einer Gemeinschaft, hat Ansprechpartner, oft eine Struktur, immer aber eine Ideologie. Man muss im Grunde nicht mehr denken, alles ist vorgegeben. Und selbst wenn etwas nicht geregelt ist, findet sich schnell jemand besonders kluges, der erklärt, wie es denn nun richtig ist.

Ich habe mich Ende der 90er Jahre entschieden, die Welt zu verbessern. Auslöser war die Geburt meiner ersten Tochter. Ich sah das Chaos in Politik und Medien, dass immer wieder über Themen wie "Ausländer", "Bildung", "Arbeit", "Pensionen" usw. diskutiert - aber scheinbar nie eine (gute) Lösung zustande gebracht wurde.

Nach kurzem Überlegen und Diskussionen mit Linksaußen, entschied ich mich nach Rechtsaußen zu gehen. Aus einem Weltverbesserer war ein Rechtsextremist geworden. Ich suchte nach Antworten, fand sie aber nicht. Das hinderte mich keineswegs daran, immer aktiver und umtriebiger in der "rechten Szene" zu werden.

Die Antworten waren zwar unbefriedigend, aber ich konnte meiner Meinung Gehör verschaffen und ich konnte meinem Standpunkt zumindest ein Label verpassen. Aus Naturschutz wurde Heimatschutz, aus Meinungsfreiheit eine Diskussion über das Verbotsgesetz, aus der Frage des Zusammenlebens die Forderung nach Rückwanderung aller Fremder.

Nein, es war nicht schön. Es war auch nicht erfüllend. Ganz im Gegenteil. Ich war zumeist froh, von Polit-Stammtischen wieder weg zu sein. Mein privates und politisches Leben hatten nichts miteinander zu tun. Ich war immer am falschen Platz. Egal, ob bei Treffen, Demos oder Diskussionen.

Ich kam mir vor, als wäre ich auf einer Party mit hunderten Anderen, kenne keinen, verstehe die Sprache nicht und im Grunde hasse ich die Leute, die Musik, die Gespräche. Es fiel mir nicht schwer, mich von diesem Umfeld zu lösen. Ich distanzierte mich. Ich wollte von alten Ideologien, egal auf welcher Seite, nichts mehr wissen. Ich wurde zum "Selbstdenker".

Das war leicht. Dachte ich zumindest am Anfang. Ich mache mir selbst meine Meinung, sage sie und fertig. Ich habe eine individuelle Meinung und keine Ideologie mehr, durch die ich sprechen muss. Ich kann sagen was ich will. Super.

Leider ist meine Meinung keine eigenständige Ideologie. Dann wäre es einfacher. Die alte Ideologie weg, die neue her - einen Namen geben und schon könnte ich raus gehen und sagen - Ich bin ich und das ist meine "Ich-Ideologie". Folgt mir, ich bin der Weg!

Wenn ich meine Meinung nun kundtue, versteht mich aber keiner mehr. Ich schreibe auf Facebook, wie so viele. Aber obwohl wir alle auf FB sind, sind wir doch alle in einer Art Blase. Hier die Rapid-Fans, da die Salzburg-Fans. Hier die VDB-Wähler, dort die Hofer-Wähler. Hier die Guten, da die Bösen.

Aber was, wenn man eine differenzierte Meinung hat. Wenn man selbst denkt, anstatt sich einer gängigen Meinung anzuschließen? Mich würde es ja nicht stören, wenn man mich als Sonderling abtun würde. Aber die Menschen verstehen gar nicht mehr, was ich sage. Als wäre ich aus einer anderen Welt. Ist es heute so abartig selbst zu denken?

Ich glaube, dass wir ein Zusammenleben brauchen, in dem wir wieder zuhören. Zum Zuhören braucht man aber vor allem eines - einen Platz, um sich zu begegnen. Zuletzt habe ich einen Aufruf gelesen, dass sich Hofer-Wähler bei einer netten, jungen Dame melden sollen. Denn ihre Freunde würden alle VDB wählen und sie würde gerne darüber diskutieren.

Das ging natürlich schief. Was auch sonst. Unter dem Beitrag wurde gestritten und jeder bezichtigte den jeweils anderen, logischer weise vom Teufel besessen zu sein, sonst könnte man ja nicht den jeweiligen Kandidaten wählen. Das zarte Pflänzchen eines kleinen Platzes des Zuhörens und Redens, wurde von einer aufgebrachten Meute sofort zerstört.

Weil sie gar nicht verstanden haben, worum es geht. Wir sind alle völlig selektiert. Ja, wir benutzen die gleichen Dinge. Amazon, Google, Facebook, Sky und Twitter. Wir sind auf den selben sozialen Medien. Aber wir sind doch abgeschottet. Wortwörtlich in unseren Wohnzimmern, aber auch im virtuellen Raum. Ein Gespräch, ein Gedankenaustausch kommt gar nicht mehr zustande.

Und scheinbar finden sich alle damit ab. Die Plätze sind leer, die Wirtshäuser auch und die Kirchen sowieso. Die Menschen treffen sich nicht mehr. Nicht einmal dann, wenn sie es tun. Mit gesenktem Blick huschen leere Gestalten durch den Supermarkt, beim gemeinsamen Essen, schaut jeder auf sein Handy und im Netz sind wir alle sowieso getrennt. Statt Rassen - gibt es jetzt anscheinend Ideologie-Trennung.

Nur, was wenn man das nicht will. Wenn man eine Meinung aufgrund des Austausches bilden möchte. Wenn man keine Mainstream-Meinung hat, keiner Partei zugehört und ein Zusammenleben durch zusammen Leben organisieren möchte? Ist man dann Allein, Allein?

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