Warum ich kein Mobiltelefon habe.

Soweit ich mich erinnere, war das zweite Ding, das ich im Rahmen meines Experiments „Gültige Stimme“ wegließ, mein Mobiltelefon.

Kommunizieren ist ein wichtiger Teil des Lebens. Dass Menschen miteinander kommunizieren, macht Sinn. Ich kommunizierte schon immer gerne: mit Menschen in unserer Straße, im Park oder auch in Gebäuden. Es wurde stets viel geplaudert, bei uns am Gang in dem Wohnhaus, in dem ich aufwuchs. Wir hatten ein Zimmer mit Fenster zum Flur und da wurde den ganzen lieben Tag lang getratscht. Vielleicht waren es keine hochinteressanten Inhalte, die besprochen wurden, aber man kommunizierte eben miteinander, tauschte sich aus und unterhielt sich über die Vorgänge im Haus oder über Neuigkeiten.

Heutzutage haben Wohnungen keine Gangfenster mehr und man meidet das Treppenhaus, das oft nur mehr ein dunkles Loch ist und den Übergang vom eigenen Loch in das „Aufzugloch“ darstellt. Man verschwindet, aus der eigenen Wohnung kommend, im Lift und hofft, dass man darin möglichst niemandem begegnet, mit dem man dann sprechen müsste. Manchen ist es regelrecht peinlich, wenn sie in den Aufzug einsteigen und dann ist dort jemand, der mitfährt. Danach verschwindet man im nächsten Loch – das ist dann die Tiefgarage, wo das Auto steht. Dieses ist wiederum ein Loch, in das man sich zurückzieht. Erst im Auto fängt dann die Kommunikation an, nämlich über das Mobiltelefon. Jetzt hat man ja erstmals Zeit, zu telefonieren, während man unterwegs ist. Bei mir war das früher ganz genauso. Autofahren war für mich immer die Zeit der Kommunikation. Das Telefonieren im Auto ist natürlich sehr bequem und hat auch den Reiz des Kriminellen, weil es ja verboten ist.

Das ist übrigens auch so eine absurde Tatsache, dass das Telefonieren während des Autofahrens verboten ist, dass es aber, wenn man eine Freisprechanlage hat, dann doch wieder erlaubt ist. Es muss wohl so sein, dass Verkehrsexperten das Halten eines Telefons als das gefährlich sehen, nicht aber das Telefonieren an sich. Nach dieser Logik müsste auch das Halten einer Banane während des Fahrens verboten sein. Das wirklich Gefährliche am Telefonieren im Auto ist aber im Grunde, dass man durch das Gespräch abgelenkt ist. Wenn ich kommuniziere – ganz egal, ob mit meinem Beifahrer oder über das Telefon –, so kann ich das Auto nicht mehr sicher manövrieren, da ich nun einmal nicht zwei Dinge gleichzeitig tun kann. Für uns scheint es lediglich Normalität geworden zu sein, alles auf einmal zu tun.

Wenn ich mir ein Bild davon mache, wie heute kommuniziert wird, dann stelle ich fest: Es läuft nicht mehr „face-to-face“ ab, also von Angesicht zu Angesicht, sondern entweder über E-Mail oder über das Mobiltelefon. Das scheint völlig normal und niemand denkt mehr darüber nach. Das Auffällige ist die kurze Zeit, in der sich die Form der Kommunikation verändert hat. Eine Generation – wenn es nicht nur eine halbe war – hat die menschliche Kommunikation komplett auf den Kopf gestellt und das hat wiederum etwas – jetzt kommen wir zum Auto zurück – mit dem Automobil zu tun. Nachdem die Menschen dort, wo sie leben, nicht mehr das vorfinden, was sie zum Leben bräuchten, müssen sie mobil sein. Das heißt, sie müssen irgendwohin fahren, um an das Lebensnotwendige zu kommen. In dem Moment, in dem sie daher ihre vertraute Umgebung verlassen, können sie mit denen, die nicht mitgefahren sind, nicht mehr kommunizieren. Das heißt, man muss eine Möglichkeit finden, um mit den Daheimgebliebenen in Kontakt zu treten. Früher hatte man zu diesem Zweck stets ein paar Münzen eingesteckt, um aus einer Telefonzelle zu Hause anrufen zu können. Dies natürlich nur, wenn man daheim ein Telefon hatte, was bei uns zum Beispiel, als ich ein Kind war, nicht der Fall war.

Später kam das Mobiltelefon und dieses hat, wie schon der Begriff „mobil“ sagt, etwas mit der Mobilität zu tun. Diese Form der Mobilität, die für uns mittlerweile Normalität geworden ist, ist aber wiederum auf das Automobil zurückzuführen. Das Auto führt im Grunde nur dazu, dass wir längere Distanzen zurücklegen können, um zum Beispiel zur Arbeit, an die Orte des Konsums oder zu Freizeitangeboten zu gelangen. Wir legen also Wege zurück, die wir aufgrund ihrer Länge zu Fuß nicht zurücklegen würden. Das ist nicht immer sinnvoll.

Somit befinden wir uns auch häufig in größerer Entfernung zu unserer Basis, also zu jenem Ort, an dem wir verwurzelt sind. Durch das Mobiltelefon, das Handy, sind wir aber auch über große Distanzen hinweg nun ständig mit dieser Heimbasis verbunden.

Man kommuniziert über das Mobiltelefon sogar mit dem „Wissen“ der Menschheit, sieht sich darauf Filme an, hört damit Musik, schickt private Fotos und vieles mehr. Ob sich dieses Weltkommunikationssystem nun „Internet“, „E-Mail“, „SMS“ oder einfach „Mobiltelefonie“ nennt, ist sekundär, wobei man in einem Telefonat wenigstens noch direkt mit einem anderen Menschen spricht. In einer SMS ist das bereits nicht mehr so. Mittlerweile werden via SMS Heiratsanträge gemacht und Familien gegründet. Genauso einfach kann man ebenfalls via SMS – eine Liebesbeziehung wieder beenden oder die Familie verlassen. Man schreibt einfach: „Es ist aus“, und die Sache ist erledigt, ohne dass man sich dabei mit den Gefühlen des anderen Menschen konfrontieren lassen muss.

Die Geschwindigkeit der Kommunikation ist durch diese Technologien extrem erhöht. Die Steigerung davon sind dann Facebook und andere soziale Onlinenetzwerke. Dort ist es nicht einmal mehr nötig, sich mit dem eigenen Namen zu erkennen zu geben. Ein Pseudonym – ein sogenannter „Nickname“ – reicht völlig aus, um mit der gesamten Welt zu „kommunizieren“. Dann kannst du deinen Gesprächspartnern alles erzählen, was du willst. Nichts davon muss mehr stimmen. Das öffnet natürlich der Lüge und dem Betrug Tür und Tor.

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