No Hate Speech – mit dem zentralen Symbol des Herzchens auf rosarotem Grund wendet sich diese Kampagne, die vom Familienministerium finanziert und vom Innenministerium unterstützt wird, gegen die Hassrede im Internet.

„Hater*innen“ sind nach den Angaben dieser Kampagne „gefühlskalt, selbstgerecht und egoistisch“, aber sie würden zum Glück auch nur etwa 5% der Nutzer ausmachen. Das aber ist schon ein wesentliches Problem von No-hate-speech.de: Die Kampagne beschreibt keine Regeln, die für alle gemeinsam gelten, weil schließlich auch alle die Möglichkeit haben, sich sprachlich gewalttätig zu äußern. Sie beschreibt stattdessen eine eigentlich äußerst diffuse Gruppe der „Hater*innen“ (Rechtsextreme, Gegner der Flüchtlingspolitik, Gegner von #aufschrei- oder #ausnahmslos) auf der einen Seite und deren Opfer auf der anderen.

Oder einfacher: Sie unterscheidet zwischen denen, die für den Hass, und denen, die für die Liebe stehen.

Damit aber unterstützt diese Kampagne eben gerade die Dynamik der Aggression, die zu bekämpfen sie vorgibt. Warum ich das glaube, kann ich an einem kleinen Beispiel zeigen, das ich gerade bei Twitter erlebt habe.

Dort hatte Adrian - ein generell religionskritischer Nutzer, dem ich bei Twitter folge - geschrieben, dass es keinen Grund gäbe, den Islam zu respektieren. Ich habe dem gar nicht zugestimmt – zumindest würde ich respektieren, dass es eine Menge Menschen gibt, denen diese Religion wichtig ist. Ein anderer Nutzer aber antwortete sofort mit einem Koran-Zitat aus der fünften Sure, das häufig angeführt wird, um die Friedfertigkeit des Islam zu belegen: Wer immer einen Unschuldigen tötet, der hat gleichsam die ganze Menschheit getötet. (Er hat auf Englisch zitiert, ich übersetze es hier ins Deutsche.)

Ich habe den Namen dieses Nutzers im Bild unten unkenntlich gemacht, weil es mir bei dem, was folgt, nicht um seine Person geht, sondern um ein Handlungsmuster, das ich für sehr aufschlussreich halte. Er hat ein „Refugees Welcome“-Bild als Avatar, engagiert sich dort möglicherweise, und ich vermute anhand der Jahresangabe 1996, dass er etwa zwanzig Jahre alt ist. Ich nenne ihn hier der Einfachheit halber „Love“, weil ich glaube, dass das in die Logik der No-Hate-Speech-Kampagne ebenso gut passt wie zu seinem Selbstverständnis.

Adrian antwortete nun, indem er ohne weiteren Kommentar von der Seite islam.de die gesamte fünfte Koransure verlinkte, aus der das Zitat stammt. Love hielt das offenbar für eine rechtsradikale Seite und reagierte sehr aggressiv:

„Glaubst du ernsthaft, ich läse deine rassistische Hetze? Spricht für deine geistige Begrenztheit. Uund: Maul halten. Mute.“

Dass Kritik am Islam als „Rassismus“ geführt wird, hätte Love direkt von der No-Hate-Speech-Seite übernehmen können – auch dort ist von „antimuslimischem Rassismus“ die Rede. In meinen Augen ist diese Bezeichnung fragwürdig. Anders als eine ethnische Zugehörigkeit geht eine Religion von Grundannnahmen, Glaubensgrundsätzen aus, entwickelt in der Regel auch Dogmen. Sie bezieht bestimmte Positionen – und daher ist es immer möglich, auch Gegenpositionen zu beziehen.

Irritierenderweise muss auf diese Selbstverständlicheit heute wieder eigens hingewiesen werden: In einer offenen, modernen, demokratischen Gesellschaft können auch Inhalte von Religionen kritisiert oder abgelehnt werden. Wer beispielweise muslimischen Migranten den Eindruck vermittelt, es sei ganz in Ordnung und verständlich, rabiat auf eine offene Ablehnung ihres Glaubens zu reagieren – der behindert Integration, anstatt sie zu fördern.

Wer schließlich sogar die Verlinkung eines Koran-Zitats als islamfeindlichen Rassismus wahrnimmt, hätte eigentlich gute Gründe, seinen Rassismus-Begriff, seine Wahrnehmung oder beides zu überprüfen. Einige Nutzer bei Twitter machten sich nun darüber lustig, dass Love eine Koransure zu rechtsradikalem Gedankengut erklärt hatte. Ich las die Sure erst einmal, weil ich nicht verstanden hatte, warum Adrian sie überhaupt verlinkt hatte – und wandte mich dann betont höflich wieder an Love. Ich siezte ihn sogar – nicht, um ihn zu veräppeln, sondern weil ich das Gefühl hatte, es wäre gut, ein wenig formelle Distanz zu schaffen und vielleicht auch etwas Respekt auszudrücken.

Ich schrieb: „Der Sinn des Links war wohl, Ihr Zitat im Kontext zu zeigen. Der direkt darauf folgende Vers:“ Ich schloss ein Zitat aus der Sure an, in dem davon die Rede ist, dass die, die gegen Allah Krieg führen oder auf der Erde Unheil stiften, getötet oder gekreuzigt werden sollten, dass ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden sollten, dass sie verbannt werden sollten, und dass sie im Jenseits noch schlimmere Strafen erleben würden.

Ich gestehe sofort: Twitter mit seinen 140-Zeichen-Tweets ist ein denkbar schlechter Ort, um über den Stellenwert gewalttätiger Passagen in den heiligen Texten von Religionen zu debattieren - und die gibt es bekanntlich auch in anderen Religionen, nicht nur im Islam. Hier ging es aber nur darum, ein eindeutig wirkendes, aber aus dem Kontext gerissenes Zitat wieder in seinen Kontext zu setzen - und zu zeigen, dass es so eindeutig nicht ist, wie Love es darstellt.

Love fragte mich dann in seiner Antwort, aus welcher „Jauchegrube" ich und andere gekrochen seien, und schloss mit einer Aufforderung: „Schnauze“. Ich fragte dann noch einmal nach: „Es ging einfach um den Kontext eines Zitats. Eine gewöhnliche Klärung. Wie kommen Sie gerade auf ‚Jauchegrube’?“

Eine Antwort gab es nicht mehr, Love hatte mich geblockt.

Von solchen, ähnlichen oder auch viel schlimmeren Aufeinandertreffen können sicherlich viele berichten – mir geht es hier nicht um den Einzelfall, sondern um das Muster, das ich darin vermute. Es mag Menschen geben, die eine verrohte, gewaltsame Sprache gezielt einsetzen, um andere aus dem Diskurs zu treiben. Viel häufiger ist aber nach meiner Erfahrung eine andere Dynamik, die wohl auch hier relevant ist: Menschen äußern sich deshalb gewaltsam, weil sie ihre eigene Äußerung als eine Art von Notwehr wahrnehmen – als groben Keil, den sie nun einmal auf einen groben Klotz setzen müssten - gegen einen Gegner, der in ihren Augen für Hass und Feindschaft steht.

Love könnte sich in dieser Einschätzung sogar auf ministerielle Vorgaben berufen – und er hat mich und andere in diesem Gespräch offenbar als rechtsradikale Islamfeinde wahrgenommen, gegen die er klare Kante zeigen muss. In seinen Augen muss er gegen eine geschlossene Front antreten, und er unterstellt sogar, Adrian hätte wohl Unterstützung zusammen gerufen – was natürlich nicht stimmt, ich bin durchaus in der Lage, mich selbstständig an Diskussionen zu beteiligen. In dieser Front sieht er keine Personen mehr, sondern eine Haltung, die es zu bekämpfen gilt.

Dass ich dabei ihm gegenüber deutlich höflicher und verbindlicher agiert habe als er mir gegenüber, nimmt er möglicherweise überhaupt nicht wahr.

Eben das ist hier wichtig: Die sprachliche Gewaltsamkeit von Love entsteht daraus, dass er offenbar die Situation im Sinne von Freund-Feind-Mustern wahrnimmt. Eine einzelne Äußerung wird dann gar nicht mehr für sich genommen interpretiert, sondern nur auf Signale hin gescannt, die eine Einordnung in diese Muster erlauben. Da rechtsradikale Deutsche den Islam heftig ablehnen, erlaubt dann schon eine deutliche Skepsis gegenüber einzelnen Koran-Positionen eine Einordnung als „rechts“. Andere aus anderen politischen Richtungen agieren ebenso mit dem Feindbild „Linke“, oder „Feministinnen“, oder „Maskus“….

„Hate Speech“ ist dann immer das, was die anderen formulieren – und unglücklicherweise wird diese Haltung von der No Hate Speech-Kampagne der Bundesregierung gefördert.

Das ist so sinnlos wie nur möglich. Ich bin Lehrer an einer großen Schule mit Schülern aus sehr unterschiedlichen sozialen Milieus und aus so ziemlich allen Gegenden der Erde. Obwohl das Konfliktpotenzial in einer so großen und heterogenen Gruppe groß ist, haben wir dort sehr wenig Gewalt. Eine „multikulturelle Gesellschaft“ (noch so ein Signalwort übrigens, das mich bei einigen sofort als linken Spinner ausweisen wird) kann nach diesen Erfahrungen durchaus funktionieren. Es ist aber wichtig, viel in sie zu investieren, und diese Investitionen sind ungleich dringlicher als in homogenen Gruppen.

Es gehört beispielsweise dazu, Konflikte zu akzeptieren, ohne jederzeit Feindschaften oder gar Hass zu unterstellen. Es gehört dazu, die Konflikte zu moderieren und zu lernen, sich selbst aus der Perspektive anderer wahrzunehmen. Es gehört dazu, zu akzeptieren, dass andere das, was mir selbst heilig ist, womöglich eher lächerlich finden – und umgekehrt. Überhaupt gehört die Akzeptanz ganz unterschiedlicher Meinungen dazu.

Wer hingegen Menschen einteilt in die, die für den Hass, und die, die für die Liebe stehen – wer zudem den Unterscheid zwischen Meinungsäußerung und verbaler Gewalt verwischt – der agiert eigentlich in der Logik einer homogenen Gesellschaft, die sich abschottet gegen die anderen, die sie als gefährlich wahrnimmt.

In dieser Logik geht es dann nicht darum, über ganz unterschiedliche Weltsichten hinweg gemeinsame Spielregeln festzulegen – sondern es geht darum, diejenigen zu identifizieren, die der guten Sache, der „Liebe“ schaden, und sie zum Schweigen zu bringen. Maul halten. Schnauze. Mute. Geblockt.

Es ist schade und schädlich, dass heute Steuergelder verwendet werden, um solche Weltsichten zu fördern. Zugleich ist es schade, dass die, die sich – wie hier ein Blogger – um bessere Konzepte für ein humanes Netz bemühen, ganz ohne Unterstützung agieren.

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