Zuerst die Grundlagen: Wie breitet sich eine Epidemie oder Pandemie aus?

Theoretisch steigen die täglichen Infektionen exponentiell, wie Ben Israel in seiner Studie beschreibt (rote Kurve):

https://www.timesofisrael.com/the-end-of-exponential-growth-the-decline-in-the-spread-of-coronavirus/

In der Realität flacht die Infektionskurve auch ohne konkrete Regierungs-Eingriffe nach einem kurzen Exponentialanstieg ab (schwarze Kurve bzw. blaue Trendlinie). Die Erklärung dafür liefert z.B. Prof. Dr. Rieck zwischen 2:50 und 4:46 Minuten in diesem Video:

Kurz ausgedrückt: Sobald sich in einer Bevölkerung herumspricht, daß eine gefährliche ansteckende Krankheit durchs Land rollt, ändern die Menschen von sich aus ihr Verhalten so, daß die Ausbreitung der Epidemie gebremst wird.

Ein exponentieller Lehrbuch-Anstieg der Infektionen ließe sich nur nur in totalitären Staaten ohne Vor-Immunität der Bevölkerung beobachten, solange die Menschen von jeglichen Informationen über die Seuche abgeschirmt und sämtliche Whistleblower radikal stummgeschaltet werden. Ungefähr so, wie es z.B. Rußland in der ersten Zeit nach der Tschernobyl-Katastrophe praktizierte.

Bei hoch-infektiösen Seuchen wie Covid-19 reicht das eigene Distanzverhalten der Bevölkerung aber nicht aus, um die täglichen Infektionszahlen wieder sinken zu lassen. Daher breitet die Seuche sich weiter mit steigender Tendenz aus - nur nicht so rasant wie bei einem rein exponentiellen Anstieg.

Erst Regierungsmaßnahmen zur Kontaktbeschränkung bis hin zu Lockdowns können eine Trendwende bringen. Hier als Beispiel die Ben-Israel-Grafik für Italien, wo die gemeldeten Infektionszahlen wegen der mittleren Zeit zwischen Infektion und Testung erst ca. 2 Wochen nach dem Lockdown zu sinken begannen:

https://www.timesofisrael.com/the-end-of-exponential-growth-the-decline-in-the-spread-of-coronavirus/ + Ergänzungen

(Wer sich daran stört, daß die blaue Kurve zeitweise über der roten verläuft, möge in Gedanken einfach die rote Kurve weit genug nach links verschieben.)

Wie sich der Zeitpunkt eines Lockdowns prinzipiell auswirkt, zeige ich hier mit der dunkelblauen Ergänzung der Israel-Grafik:

Ben Israel + eigene Ergänzungen

Je später der Lockdown kommt, umso höher steigt das Tagesmaximum der Infektionen - egal wie streng die Einzelmaßnahmen des Lockdowns insgesamt sind. Die Härte des Lockdowns (inclusive der Befolgung durch die Bevölkerung!) kann nur die fallende Flanke der Infektionskurve beeinflussen: Je wirksamer er ist, umso schneller werden die täglichen Infektionen in Richtung Null fallen.

Aufgrund der Binsenweisheit "Je mehr Infizierte, umso mehr Tote" werden auch die wöchentlichen Sterbezahlen mit jedem gezögerten Tag vor dem Lockdown immer höher steigen.

Damit sind wir beim generell wichtigsten Seuchen-Thema: den Todeszahlen. Die mittlere Dauer zwischen Infektion und tödlichem Ausgang bei Covid-19 beträgt rund 3 Wochen, siehe Abschnitt i hier. Bevor die Sterbezahlen nach einem Lockdown sinken, wird noch der erregerspezifische Anteil derer sterben, die sich vor dem Lockdown infizierten.

Daher zeigt sich die Wirkung eines Lockdowns erst ~ 3 Wochen später in den Sterbezahlen. So sah man in den europäischen Ländern mit den höchsten Übersterblichkeiten in der 1.Welle, daß die Lockdowns wirkten:

Euromomo + eigene Ergänzungen

Die waagerechte Achse zeigt die Kalenderwochen. Null bedeutet bei Euromomo, daß in einer Woche so viele Menschen sterben wie im langjährigen Mittel; die Z-Scores sind kein direktes Maß für die Übersterblichkeit.

Kommen wir nun endlich zu Österreich.

Die nackten Sterbezahlen eines Landes steigen und fallen auch ohne Seuchen, wenn sich die Bevölkerungszahl ändert. Daher schauen wir uns kurz die quartalsweise Bevölkerungszahl Österreichs laut Statistik Austria ab 2016 an:

eigene Auswertung

Von Anfang 2016 bis 2020 ist sie um 2,3% gestiegen. Betrachtet man über diesen Zeitraum "rohe" Sterbezahlen, dann zeigen nur Steigerungen oberhalb 2,3% eine echte Zunahme der Sterblichkeit.

Daher habe ich für die folgende Grafik die rohen Sterbezahlen Österreichs durch die Einwohnerzahl des jeweiligen Quartals geteilt (alle Daten von Statistik Austria):

eigene Auswertung

Die untere Zahlenreihe zeigt Jahr und Woche jeweils zum Ende eines Quartals.

In der 1.Coronawelle kam der Lockdown so früh, daß keine auffällige Übersterblichkeit entstand. Prompt beschwerten sich viele Österreicher, daß der Lockdown völlig unnötig oder überzogen gewesen wäre - das wird auch als Präventionsparadoxon bezeichnet.

Die grade zu Ende gehende 2.Welle deutet an, daß Covid-19 auch in Österreich trotz Lockdown pro Woche mehr Menschen umbringen kann als die schlimmste Grippewelle der letzten Jahre ohne Lockdown.

Hier der Verlauf der 2. Welle im Detail:

eigene Auswertung

Grün zeigt die durchschnittlichen Wochentoten der Jahre 2015-2019, anhand der o.g. Bevölkerungsentwicklung hochgerechnet aufs Jahr 2020. Die Pfeile zeigen die o.g. 3-wöchige Wirkungsverzögerung der Lockdowns.

Der Lockdown light kam am 03.11., also am Beginn der 45. Woche; deren Tote stehen über der Zahl 45 usw.

Es war ein Versuch der Regierung zur Kollateralschadensbegrenzung, aber 4 Wochen später stieg die Übersterblichkeit nach einer Woche Stagnation wieder an und zeigt:

Österreichs Lockdown light war im Rückblick nur Zeitverschwendung.

Sowas mag vielleicht in dünn besiedelten Ländern wie Schweden ausreichen.

In Österreich ist dieser Versuch gescheitert, aber die Erfahrung bleibt: Erst der harte Lockdown vom 17.11. brach die Todeswelle und leitete mit den normalen 3 Wochen Verzögerung den Rückgang der wöchentlichen Übersterblichkeit ein.

Damit ist klar: Ohne Österreichs harten Lockdown wären in der 2.Welle noch viel mehr Menschen gestorben; ein früherer harter Lockdown (wie in der 1.Welle) hätte viele Menschenleben gerettet.

Wem das noch nicht genug Warnung vor dem Killervirus Covid-19 ist, der möge sich nochmal die österreichische Sterberate ansehen - nun im Vergleich zu Spanien:

eigene Auswertung

Solange die höchsten wöchentlichen Sterbezahlen nur von der Grippe verursacht wurden, verliefen die Sterberaten beider Länder weitgehend parallel.

In der 1.Coronawelle kam Spaniens Lockdown (relativ zum realen Infektionsgeschehen) so spät, daß die Wochen-Übersterblichkeit auf den europäischen Spitzenwert stieg. In der 2.Welle hat man offenbar gelernt und konnte die Übersterblichkeit im Bereich üblicher Grippewellen halten.

In Österreich verlief es genau umgekehrt, nur mit weniger dramatischen Übersterblichkeiten.

Mein persönliches 2020-Corona-Fazit für Österreich:

Solange keine flächendeckende Immunität gegen Covid-19 besteht, helfen nur frühe und harte Lockdowns, um die Todeszahlen niedrig zu halten.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

SoPaul

SoPaul bewertete diesen Eintrag 18.01.2021 22:03:38

2 Kommentare

Mehr von Sepp Adam