Als ich meine Tage bekam

... oder Uns gehts gut!

Ich war elf, als ich aus dem Ferienlager nach Hause kam und erfuhr, dass Vati und ich in Urlaub fahren würden.

Nach Bulgarien. Drei Tage später. Ich war bis dahin noch nie geflogen und fand es gar nicht so übel.

Vati zeigte nach unten auf dies und jenes.

Da war viel Sonne, und neue Menschen und Vatis Kollege, der mit geflogen war. Mutti und mein Bruder blieben zu Hause. Warum auch immer.

Wie richtige Tramps bewegten wir uns nach Norden. Erst nach Rumänien, wo Vati seinen rumänischen Kollegen besuchte. Der nicht viel hatte, aber alles mit uns teilte.

Und dann nach Ungarn, wo Vati mir und auch seinem Kollegen mitteilte, dass wir nicht wieder mit zurück fahren würden. Also nicht in diesen Teil von Deutschland, in dem wir bis dahin gelebt hatten. Der Kollege trug es mit Fassung. Ich aber brach in Tränen aus. Würde ich meine Oma und meine Freundinnen nie wieder sehen?

Irgendwoher wusste Vati, dass die Wachen an der Grenze mittags wechselten. Das war die beste Zeit.

Wir ließen unsere Rucksäcke zurück und die Ungarn im Bus schienen alle zu wissen, was wir vor hatten. Wir waren die einzigen Deutschen.

Am Ankunftsort, direkt an der Bushaltestelle, schaute eine alte Ungarin aus dem Fenster. Sie sagte zu uns, dass sie uns Glück wünsche. Wenn es aber nicht klappe, sollte wir nicht verzweifeln. Ein paar Tage später wäre da so eine Sache. Dann gelinge es ganz bestimmt.

Wir kamen an einen Waldweg. Dann ging es einen Hügel hinauf. Dann sahen wir die Wachtürme, die leer waren. Dann kam der Hügel mit den Brombeerbüschen, an denen ich mir die Beine zerkratzte. Und dann sagte Vati: "Lauf, so schnell du kannst!"

Ich kann schnell laufen, aber in meinem Kopf, keine Ahnung, woher die kam, war die Vorstellung von Soldaten, die in Erdlöchern lagen und plötzlich aufspringen würden mit ihren Gewehren.

Am Ende des Weges war eine Wegschranke, die Vati übersprang. Ich kroch drunter durch. Und Vati sagte: "Jetzt haben wir es geschafft!"

Tatsächlich kam am nächsten Feldesrand ein Trecker vorbei und der Fahrer fragte uns im sattesten Österreischich: "Seids abgehaun? Nu wird alles gut."

Er schaffte uns zu einem, den er Zöllner nannte. Der gab uns neue Kleidung und Geld, damit wir nach Wien kamen.

Und von Wien aus kamen wir nach Schöppingen.

In Schöppingen waren dann laufend Kamerateams von allen möglichen Sendern unterwegs. Vati sagte: "Komm, wir gehen jetzt direkt vor die Kamera. Dann sieht Mutti, dass es uns gut geht."

Mutti, so weiß ich heute, hat uns nicht gesehen und noch einige Zeit warten müssen, ehe sie beruhigt war. Inzwischen bekam ich meine Tage, was blöd war, denn eigentlich wäre sie diejenige gewesen, mit der ich hätte drüber sprechen wollen. Aber irgendwie kam doch noch alles in Ordnung.

Was nicht in Ordnung kam und mich bis heute beunruhigt: Vati hat seinen rumänischen Kollegen nicht wieder gefunden, was auch immer er versuchte. In Rumänien waren die Zeiten damals noch viel schlimmer als bei uns. So nette Leute und so miese Zeiten.

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