Egoismus. Jeder Mensch trägt ihn in sich. Jeder verurteilt ihn.

Egoismus bedeutet Eigeninteresse, Eigennützigkeit. In unserer Gesellschaft ist dieser Begriff äußerst negativ behaftet. Doch stellt sich die Frage: besitzt man einen schlechten Charakter, wenn man sich darum bemüht, durch das eigene, bewusste Handeln Vorteile für ein möglichst erfülltes Leben zu erlangen? Nein, wie ich finde. Es ist nur dann eine Frage amoralischen Handelns, wenn man bewusst anderen Menschen einen Nachteil einhandelt, um damit eigene Vorteile durchzusetzen. Aber in einer Wettbewerbsgesellschaft zu versuchen, ein Maximum an Erfolg und Annehmlichkeiten zu erreichen, ohne dabei anderen Menschen groben Schaden zuzufügen, das ist doch wohl kaum zu verurteilen. So viel Interesse an dem eigenen Selbst sei erlaubt.

Nicht umsonst heißt es im Evangelium nach Markus (12,31):„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Selbstliebe als Basis, um anderen Liebe geben zu können. Doch wie kann sich jemand selbst lieben, der ständig am Leben scheitert, seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zugunsten anderer zurückstellt, und als altruistische Marionette die Zwänge und moralischen Vorgaben der Gesellschaft aufopfernd befolgt? Steckt hinter dieser Selbstlosigkeit nicht doch auch ein Funken Egoismus? Schließlich wird Personen, die anderen häufig Hilfe leisten, von der Gesellschaft mehr Vertrauen entgegengebracht als erfolgshungrigen, unersättlichen Karrieremenschen. Womöglich ist der eigennützige Gedanke dieser Charaktere darin zu suchen, dass das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft und Akzeptanz von Natur aus gegeben ist, und ein altruistisches Handeln dieses Bedürfnis leichter zu stillen vermag. Sozusagen könnte man auch ein selbstloses Verhalten, das stets als Gegensatz zum Egoismus gesehen wird, als durchaus eigennützig – und somit egoistisch - bezeichnen.

Haben Egoisten also kein oder nur wenig Bedürfnis nach Gemeinschaft? Schon Nietzsche behauptete, dass der Mensch, ein eigentlich egoistischer Einzelgänger, nur aufgrund kultureller Zwänge in Gemeinschaft lebt. Dies scheint gar nicht mal so abwegig, wenn man die Menschheit täglich betrachtet. Umringt von unzähligen moralischen Vorgaben und Verboten fällt es Menschen schwer, ihr eigenes ICH erkennen, entwickeln und leben zu können. Ein falsches Wort, schon steht man im Fokus von Moralaposteln und Besserwissern. Die wahren Instinkte und Bedürfnisse werden heimlich ausgelebt. Nur selten trifft man auf Menschen, die offen darüber sprechen, sie seien Atheisten, Sadomaso-Anhänger oder FPÖ-Wähler. Menschen beugen sich den gesellschaftlichen Normen, sind aber trotzdem auf ein Höchstmaß des eigenen Wohlseins, und der Freiheit der eigenen Gedanken bedacht.

Der Biologe Richard Dawkins kam in seinem Buch „The selfish gene“ (1976), in dem er das soziale  Verhalten von Lebewesen auf genetischer Ebene analysiert, zu folgender Erkenntnis: Alle Lebewesen, einschließlich des Menschen, verhalten sich eigennützig und verfolgen nur ihr individuelles Überlebensinteresse (=erfolgreiche Fortpflanzung). Spricht also wiederum für Nietzsches Einzelgängertheorie.

Verhaltensforscher Frans de Waal stellte jedoch bei kooperativen Spezies, wozu auch der Mensch zu zählen ist, eine Gruppenloyalität und Hilfsbereitschaft fest, deren Entwicklung er im Kontext eines fest geknüpften Soziallebens sieht. Wohl kaum wären wir heute noch hier, wenn prähistorische Menschen diese Fähigkeit zur Kooperation nicht entwickelt hätten. Aber die Evolution wäre wohl auch kaum so weit fortgeschritten, wenn uns nicht ein gewisses Maß an Egoismus und dem damit verbundenen Streben nach mehr begleiten würde.

Egoismus wird oft als Gegensatz zu Solidarität gesehen, beides schließt sich aber nicht aus, und ist gemeinsam wichtig für den Fortbestand der Menschheit.

Arthur Schopenhauer meinte:„Egoismus ist Drang zum Dasein und Wohlsein.“Ob dieser Drang nun negativ assoziiert, oder als Basis eines glücklichen, erfüllten Lebens gesehen wird, steht jedem Individuum frei.

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Andrea Walter

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Silvia Jelincic

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