Offener Brief an Werner Faymann

Hallo Herr Faymann,

Das „Sehr geehrter“ spare ich mir an dieser Stelle. An und für sich wäre es angemessen, einen offenen Brief an den Bundeskanzler eines der reichsten Staaten Europas und der Welt mit „sehr geehrter“ zu beginnen. Allerdings kann ich mir beim besten Willen nicht erklären, wie Sie diese Anrede noch verdient hätten. Der Grund, warum ich Ihnen schreibe, ist nämlich kein Grund zur Freude.

Herr Faymann, Sie sind nämlich „mein erster Bundeskanzler“. Ich wurde zwar ’93 geboren und habe auch schon die Politik unter Schüssel und Gusenbauer mitbekommen und verfolgt. Die Nationalratswahl 2008 war allerdings die erste, bei der ich genug Information hatte, um mir ein Bild zu machen. Dachte ich zumindest. Wählen durfte ich damals noch nicht – aber das „Genug gestritten“ als Botschaft war unmissverständlich. Aus einer eher politikverdrossenen Familie stammend – nur meine Oma wählt immer Rot, weil der Opa das immer gemacht hat – dachte ich mir, das könnte was werden.

Und so holten Sie die rote Mehrheit im Parlament. Eine knappe, natürlich – aber Österreich hatte schon oft Koalitionen und stand noch immer gut da. „Genug gestritten“ war noch dazu ein Spruch, der einen konstruktiven, positiven Stil versprechen sollte.

Aber nichts hat sich geändert.

Seit Sie Bundeskanzler sind, hat die SPÖ bei 16 von 18 Wahlen ein Minus eingefahren. Die „erfolgreichen“ Wahlen waren ein minimales Plus bei der EU-Wahl 2014, wo Sie einen ZIB-Moderator für die Senior*innen des Landes schickten, und die Kärntner Landtagswahl 2013 – wir wissen genau, welche Umstände da mitspielten. Und ich glaube, ich weiß auch, warum das so ist.

Hier in Österreich zum Beispiel sind Sie gegen TTIP – das EU/US-Handelsabkommen. Das machen Sie, weil Sie merken, dass dem Volk die Intransparenz, mit der dieses Abkommen verhandelt wird, nicht gefällt. Außerdem schließen Sie sich, wie schon so oft, dabei dem äußerst erfolgreichen Boulevard an. Auf EU-Ebene vertreten Sie aber eine andere Meinung. Einen echten Widerstand gegen TTIP gibt es von österreichischer Seite nicht. War es nicht Angela Merkel, die einmal über Sie sagte: „Er kommt mit keiner Meinung rein und kommt mit meiner wieder raus?“ Ich vermisse Stellungnahmen von Ihnen zu aktuellen Themen. Das ist die Aufgabe eines Bundeskanzlers. Und ehrlich soll er auch sein.

2012 waren Sie beim ORF-Sommergespräch mit Armin Wolf. Als Letzter der Reihe konnten Sie sehen, dass auch Ihre Kollegen teilweise von ihm zerpflückt wurden. Sie ließen sich löblicherweise trotzdem darauf rein – als der Moderator Sie dann auf Ihre Inseratengeschichte ansprach, tobten Sie. Seitdem habe ich Sie in drei Jahren einmal in der ZIB gesehen. In einer Live-Zuschaltung. Haben Sie wirklich so wenig Gutes über sich zu sagen, dass Sie kritische Interviews meiden müssen?

Bei den Verhandlungen zur Steuerreform gab es dann Aufbruchsstimmung. In ungewohnt sozialdemokratischer Manier forderten Sie Vermögens- und Erbschaftssteuern. Ihre Partei war zwar teilweise skeptisch, aber glücklich, dass Sie nicht wieder den Schwanz eingezogen hatten. Als Kompromiss kam dann eine minimalste Abgabe der obersten paar. Keine Vermögenssteuer. Keine Erbschaftssteuer. Dafür teilweise Erhöhung von bestehenden Steuern und eine Reform, die in spätestens zwei Jahren wieder durch die kalte Progression ausgeglichen wird.

Nun haben die Steiermark und das Burgenland gewählt. Zwei rote Bundesländer, möchte man meinen. In beiden gewann die FPÖ dazu. Die Menschen haben sich nicht für Ihre Partei entschieden, sondern für die Angst. Sie haben Angst vor den Ausländern, die bei uns gleichzeitig in Zeltstädten schlafen müssen. Sie denken, wir werden überflutet. Herr Faymann, Sie sind daran schuld. Sie haben der FPÖ dieses Thema überlassen, Sie lassen diese haarsträubenden Thesen unwidersprochen und Sie meiden es, den Flüchtlingen eine Chance zu geben, Österreich das Gegenteil zu beweisen.

Herr Faymann. Nicht ohne Grund sind Sie und „die Politik“ generell beim Volk beliebt wie Fußpilz. Die Leute haben Sie satt. Und das meine ich nicht mal beleidigend. Seit 2008 kann ich mich an viel Gutes erinnern – allerdings nicht einmal habe ich jemanden sagen gehört „Wow, das hat der Faymann gut gemacht“. Ihre eigenen Reihen müssen sich schon anhören, wieso sie nicht bei einer sozialdemokratischen Partei sind.

Aus meiner Sicht haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder, Sie treten zurück. Das wäre der einfache Weg, den auch schon viele seit Jahren verlangen. Oder – und damit erreiche ich Sie wahrscheinlich besser – fangen Sie an, ein richtiges Staatsoberhaupt zu sein. Bei „Regierungschef“ denkt man an Männer und Frauen mit Weitblick, die etwas Gutes für ihr Volk tun. Nicht an Sie. Wir sehen Sie nicht. Sie sind ganz weit weg vom Volk. Sie fallen nicht auf, trauen sich nichts, stehen für nichts. Trauen Sie sich. Sie haben wirklich nichts mehr zu verlieren.

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Andreas Dolezal

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