Letzte Nacht war es zum ersten Mal merklich kühler, der Winter steht vor der Tür.Es wird schon am späten Nachmittag dunkel und wer kann, der schaltet jetzt das Licht ein, brüht mithilfe des Wasserkochers einen Tee auf, setzt sich gemütlich vor Laptop oder Fernseher, dreht langsam die Heizung auf oder lässt sich am Abend ein Bad ein.

Weitestgehend unbemerkt bleiben die, die nicht können.

Obwohl Energiearmut und Stromsperren immer häufiger werden, ist dieses Thema in Politik und Medien kaum präsent.Einzig „Die Linke“ hat sich, wie jedes Jahr in den letzten Jahren, gegen die Stromsperrung ausgesprochen, nachdem sie bereits im Dezember 2014 einen Antrag beim deutschen Bundestag eingereicht hat, in dem sie ein Verbot der Stromsperren veranlassen wollte.Wie erwartet wurde dieser Antrag abgelehnt (beinahe selbstverständlich: CDU/CSU sprachen sich dagegen aus, ebenso die SPD. Lediglich die Grünen enthielten sich.)Gleiches widerfuhr dem Antrag auf Senkung der Stromsteuer.

352.000 Menschen waren im Jahr 2014 ohne Strom und damit mehr als in den Jahren zuvor.Damit ist Deutschland Europameister im Strom sperren.War es schon vor der Energiewende und der daran geknüpften EEG-Umlage für viele schwer, ihre Stromrechnung zu begleichen, so hatte diese Strompreiserhöhung gerade für Geringverdiener, Mini-Jobber, Rentner, Transfergeldempfänger katastrophale Folgen.

Wer ohne Strom leben muss kann weder kochen noch waschen, kann Essen nicht kühlen, keine Lampen einschalten, weder mit Telefon noch mit PC in Kontakt mit der Außenwelt treten (zumindest von zuhause aus), und in Fällen, in denen die Kosten für Heizung nicht in der Miete enthalten sind, kann dies auch das Leben ohne Warmwasser bedeuten.Ohne Strom ist Mensch von einem essenziellen Teil zivilisatorischer Errungenschaften, und damit von der Gesellschaft, abgeschnitten.

„Der durchschnittliche Strompreis für Privathaushalte ist seit der Jahrtausendwende von 13,94 auf 28,81 Cent pro Kilowattstunde gestiegen. Dies entspricht einer Steigerung von 106% beziehungsweise 7% pro Jahr… Damit sind die Strompreise fast 3 mal so stark gestiegen, wie die Nettolöhne. Ein Arbeitnehmer musste im letzten Jahr daher durchschnittlich etwas mehr als 71 Stunden arbeiten, um die Stromrechnung für seine Familie zu bezahlen.“ (Quelle)

Der massive Ausbau des Niedriglohnsektors aber auch fragwürdige Renten“reformen“ haben dazu beigetragen, dass sich Teile der Bevölkerung Strom nicht mehr leisten können.Nach Dänemark ist Deutschland hinsichtlich der Strompreise Spitzenreiter, allerdings bei weit höheren Stundenlöhnen in Dänemark.

Der Antrag der Partei „Die Linke“ beruft sich unter anderem auf eine EU-Richtlinie:

„Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie erlegt den Mitgliedsstaaten der EU die Pflicht auf, die Stromversorgung so genannter schutzbedürftiger Verbraucherinnen und Verbraucher durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten. Länder wie Großbritannien, Belgien oder Frankreich machen vor, wie Stromsperren verhindert oder zumindest eingeschränkt werden können. Während-dessen ist die Bundesrepublik Deutschland bei Stromsperren Europameister.“

Die Thematik der Energiearmut ist auf europäischer Ebene durch die Richtlinien2009/72/EG und 2009/73/EG anerkannt.In Art 3. der RL 2009/72/EG heißt es:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden undtragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessenerSchutz besteht. In diesem Zusammenhang definiert jeder Mitgliedstaat das Konzept des„schutzbedürftigen Kunden“, das sich auf Energiearmut sowie unter anderem auf dasVerbot beziehen kann, solche Kunden in schwierigen Zeiten von der Energieversorgungauszuschließen.“

Das Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. , im Besonderen Prof. Dr. Wolfhard Kohte undDipl. Jur. Anna-Lena Hoffmann,  legen jedoch gleich zu Beginn in ihrer rechtsvergleichenden Studie dar, dass diese EU-Richtlinie viel Spielraum für die jeweiligen Mitgliedsstaaten lässt, die „Angemessenheit“ selbst zu definieren.Auch wird hier aufgezeigt, dass z.b. Frankreich auf diese Richtlinie mit Schutzmaßnahmen für „vulnerable energy consumer“ reagierte, während Deutschland noch immer keine klaren Maßstäbe oder Vorschläge zur Vorgehensweise angeboten hat. Selbst England hat es bereits geschafft, Energiearmut klar zu definieren und ihre Beseitigung bis 2018 anzustreben (UK fuel poverty strategy). In Belgien erhalten „schutzbedürftige Kunden“ einen speziellen Tarif der günstiger ist, als der marktübliche Energiepreis.

Hierzulande wird Energiearmut totgeschwiegen. Die wenigen, meist regionalen, Angebote die es gibt, wie z.b. „NRW bekämpft Energiearmut“, arbeiten mit dem Verbraucherschutzministerium, der Verbraucherzentrale und regionalen Energieversorgern zusammen. Auch der Stromsparcheck der Caritas schlägt in diese Kerbe und verfolgt das Ziel, „den Stromverbrauch und die damit verbundene Kostenbelastung für einkommensschwache Haushalte zu verringern.“

Es ist blanker Hohn, einem Menschen ohne grundbedarfssicherndes Einkommen das (Strom)sparen ans Herz zu legen.Wo nichts ist, lässt sich nicht sparen.Strom sparen vor allem die, die sich moderne Kühlschränke, Lampen, Waschmaschinen leisten können. Wer beim Einkauf auf die Energieeffizienzklasse achten kann, muss auf seinen Geldbeutel vermutlich nicht annähernd so sehr Rücksicht nehmen, wie die hier Betroffenen.Dass in diesem Fall von Seiten der Regierung hingegen gerne „Energieberatung“ finanziert wird, bevor man in Vermeidung von Stromsperren und Stromarmut investiert, ist Zynismus pur.

Das Geld für diese Beratungen fließt u.a. in die Verbraucherzentrale.Diese, eigentlich für den Verbraucherschutz gedachte, Organisation hat für Betroffene einer Stromsperre auf ihrer Webseite folgende gute Ratschläge:…

  • Verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihre Haushaltsfinanzen und achten Sie darauf, dass Ihre Ausgaben nicht Ihre Einnahmen übersteigen.
  • Notieren Sie Ihre Einkünfte und Ausgaben für jeden Monat z.B. in einem Haushaltsbuch. So haben Sie immer im Blick, wohin Ihr Geld fließt.
  • Halten Sie fest, wie viel Geld Sie im Monat für Miete, Nebenkosten, Strom, Versicherungen etc. benötigen. Den Rest Ihrer Einnahmen können Sie für Ihre Lebenshaltung ausgeben oder sogar ansparen. Kontrollieren Sie Ihre Ausgaben sorgfältig – dann können Sie auch ein knappes Budget sinnvoll verwalten.

Unterm Strich darf man das als Unterstellung verstehen, Menschen, denen der Strom abgestellt wird, seien nur unfähig zu haushalten oder zu sparen.Das ist, als würde man einem Menschen der Hunger leidet erzählen, wie er am besten sein Essen rationiert oder einem Obdachlosen Tipps zur Mietminderung geben.Es ist schlicht nicht hilfreich.

Auch der ständig wiederholte Hinweis, gerade Empfänger von Staatleistungen könnten das Geld vom Arbeits- oder Sozialamt direkt überweisen lassen ist ein Hinweis darauf, dass man von Stromsperren Betroffene  für unmündig und lediglich unfähig  oder unwillig hält.Dieser fragwürdige „Lösungsansatz“ bedeutet ebenfalls nichts anderes als finanzielle Absicherung der Energieversorger, deren Anspruch unangetastet und garantiert bleibt und im Zweifel Hunger für den Betroffenen.Zumindest hungert er im Warmen mit funktionierendem Kühlschrank, so viel Anerkennung muss man diesem Gedankengang doch zollen.

Auf die Frage: „Was macht Energie so teuer?“findet sich auf Verivox unter einem Artikel zur Energiearmut folgende Antwort:

„Anders als viele vermuten, ist es nicht die Gier der Stromanbieter, die die Preise kontinuierlich steigen lassen. Der jüngste Preisschub lässt sich vielmehr durch die gestiegenen Kosten für die Netznutzung sowie durch die Einführung einer „Sonderkundenumlage“ erklären. Weil stromintensive Unternehmen von der Zahlung der Netzgebühren befreit sind, werden die fehlenden Einnahmen direkt auf die privaten Endverbraucher umgelegt. Zudem langt der Staat kräftig zu: Über die Hälfte des Strompreises ist staatlichen Abgaben geschuldet. Dazu zählen die Strom- und Mehrwertsteuer, die Konzessionsabgabe und die Ökostrom-Umlage.“

Tatsächlich besteht der Strompreis zu 52% aus staatlich veranlasste Steuern, Abgaben und Umlagen.Zeitgleich mit der EEG-Umlage, die allein immerhin 21,4 % des Strompreises ausmacht, sind jedoch energieintensive Unternehmen von der Zahlung ausgenommen worden. Sie erhalten Rabatte und steuerfinanzierte Subventionen.5 Milliarden Euro in Form von Rabatten flossen so und wirkten wettbewerbsverzerrend, benachteiligten mittelständische und Kleinstunternehmen.Der Kampf einiger Bäcker gegen diesen Markteingriff wurde kurz von den Medien aufgegriffen und stellt dennoch wohl eher die Spitze des Eisberges dar. Ein freier Markt existiert nicht, wenn einige Unternehmen von Grundkosten ausgenommen werden, die potenzielle neue Konkurrenz in Gänze tragen muss.Die Bundesregierung beharrt darauf dass hier, entgegen der Aussagen z.b. der Bäcker, keine Wettbewerbsverzerrung stattfindet.Die Begründung liest sich so:

„Die Bundesregierung weist außerdem darauf hin, dass hier keine Zahlungen aus staatlichen Kassen fließen.Der Staat hat lediglich Rahmenbedingungen geschaffen, die dafür sorgen, dass Gelder zwischen privaten Akteuren interessengerecht verteilt werden. Allein die Regulierung und Aufsicht über private Geldflüsse machen diese noch nicht zu staatlichen Beihilfen.Eine Zurechenbarkeit zum Staat ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedoch eine Voraussetzung für das Vorliegen einer Beihilfe.“Ich erläutere dies gerne einmal an Eigenerfahrung:Im selben Jahr, in dem die Ökostromumlage eingeführt wurde, gab es eine Regelsatzerhöhung für Hartz-IV-Empfänger und Empfänger von Leistungen nach SGB XII. Diese betrug exakt zehn Euro. Dies erhitzte, von der BILD über Maischberger, viele Gemüter. Offiziell hieß es, diese Erhöhung stelle den „Inflationsausgleich für Lebensmittel und andere Lebenshaltungskosten“ dar.Tatsächlich erhielt ich zur selben Zeit Post des örtlichen Stromanbieters über die Höhe der neuen Abschlagszahlungen, die genau 9 Euro mehr betrugen, als zuvor.Von den zehn Euro, die offiziell für Bedürftige gedacht waren, flossen also 90 Prozent in energieintensive Unternehmen und den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Wenn der Staat also erst mir das Geld gibt, und ich gebe es dann dem Unternehmen, selbstverständlich auf Basis gesetzlicher Neuregelungen, ist es KEINE Subvention oder staatliche Beihilfe. Erst, wenn der Staat das Geld direkt an die Unternehmen überweist, ist es eine Subvention und staatliche Beihilfe.

Die Kunst, eine versteckte Industriesubvention noch wie eine Wohlfahrtsleistung aussehen zu lassen, darüber ließe sich dann ein ganz neuer Artikel schreiben.

Selbstverständlich ist internationale Konkurrenzfähigkeit erstrebenswert, sie sollte aber nicht konkurrenzschädigend sein. Und wenn die Regierung hier schon über „interessengerechte Verteilung“ fabuliert, darf man die Frage stellen, wie „interessengerecht“ die Existenzbedrohung der Ärmsten sein soll.Und ebenso selbstverständlich ist das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz verankert und von der Ewigkeitsklausel des Artikel 79 GG Abs.3 geschützt.

Zwar ist juristisch nicht festgelegt, was dieser Sozialstaatsanspruch zu beinhalten hat, eine übliche Definition ist aber:

„Der Sozialstaat verfolge das Ziel, dem Menschen insbesondere in unverschuldeten Notlagen, die auseigener Kraft nicht mehr bewältigt werden können, zur Seite zu stehen und darüber hinaus durch langfristig angelegte Maßnahmen diesen Notlagen vorzubeugen“

Dass es reelle Not ist, die mit dem Leben ohne Strom verbunden ist, beweisen einige Todesfälle von Menschen, die z.b. bei Wohnungsbränden, ausgelöst durch Kerzen, ums Leben kamen, oder Todesfälle durch unzulänglich funktionierende  oder unsachgemäß benutzte Notstromaggregate.

Ich möchte an dieser Stelle Joachim Gauck zitieren: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland“

Recht hat er.

Dunkel ist Deutschland da, wo das Sozialstaatsprinzip monetären Interessen weichen muss, von der Regierung völlig unbeachtet trotz EU-Richtlinie und erprobten Beispielen, wie es besser zu machen wäre. Dieses Beispiel bieten zudem noch Länder, die finanziell weit schlechter dastehen als Deutschland, das Milliardengewinne erwirtschaftet hat.

Dunkel ist Deutschland da, wo Facebook-Lichterketten noch jedes Nachrichtenspektakel begleiten während der Nachbar ohne Strom darüber nachgrübelt, wie er den nächsten Tag bewältigen soll.

Dunkel ist Deutschland da, wo ein Bundespräsident nicht müde wird, die freiheitliche Gesellschaft als Ist-Zustand zu preisen und dabei die auf der Strecke lässt, die auch hierzulande Unrecht oder Armut erfahren müssen.

Dunkel ist Deutschland, wenn der Strom abgeschaltet wurde.

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