Sauschädelessen für Flüchtlinge, oder was?

Der ehemalige Raiffeisen-General Christian Konrad wird also Regierungskoordinator für Flüchtlinge. Doch so abwegig, wie viele diese Entscheidung finden, ist sie gar nicht.

Jeder Journalist, jede Journalistin in Österreich weiß, wer Christian Konrad ist. Der Mann mit dem runden, bebrillten Gesicht, der meist im Trachtenjanker abgebildet wird, gilt als der Pate der Medienmacher. So manch Ehrgeiziger, der etwas erreichen wollte in Österreichs Zeitungslandschaft, nahm in der Vergangenheit den Weg über die persönliche Bekanntschaft mit dem mächtigen Manager, der zu seiner Zeit als Raiffeisen-General als so etwas wie ein Medien-Manitou verehrt wurde, den man im wahrsten Sinn des Wortes anrufen konnte.

Ich habe Christian Konrad sehr spät in meiner Laufbahn kennengelernt. Es war im Jahr 2014, ich hatte ein unterschriftsreifes Angebot für einen der schönsten Posten im österreichischen Journalismus auf dem Tisch und sollte nun bei Konrad zur Musterung antreten - er war immer noch irgendein Oberauwau in der Verlagswelt, und in Österreich ist das nunmal so.

Ich erschien zum Termin mit einem einigermaßen deutlichen Bild davon im Kopf, wie dieser Mann sein würde – ich erwartete ein riesiges Büro, abschätzige Blicke, bohrende Fragen nach meiner politischen Gesinnung, vielleicht würde er mir sogar einen Giebelkreuz-Ring zum Kuss reichen, überlegte ich kichernd, während ich im Aufzug nach oben fuhr. Was ich stattdessen erlebte, war ein netter, älterer Herr in einem mittelgroßen Arbeitszimmer, der in erster Linie wissen wollte, wie ich als Mensch denn so tickte. Was sollte ich so jemandem über mich erzählen? Ich entschied mich für die riskante Tour und gestand freimütig, dass ich die Möglichkeiten, die ich als Journalistin hatte, in der Vergangenheit dazu genützt hatte, um Menschen zu helfen. Ich habe in der Vergangenheit einer Anzahl Flüchtlinge aus arabischen Ländern Asyl in Österreich verschafft, Einzelfall um Einzelfall, Behördenweg um Behördenweg, Nervenkrieg um Nervenkrieg. Es waren traumatisierte, vereinzelt gefolterte Menschen, jeder mit einer Geschichte, die unter die Haut ging. Für diese Leute bedeutete Asyl in Österreich ihr Überleben und Sicherheit vor Verfolgern – etwa vor einem erzürnten Vater, der seiner vom Islam abgefallenen Tochter bis auf die Straße nachgeschossen hatte und sie immer noch in ihrer Heimat suchte, um „die Familienehre wiederherzustellen“. Um diese Menschen zu retten und um den in Österreich nicht immer korrekt und mitunter aufreizend langsam laufenden Prozess in die richtigen Bahnen zu lenken, hatte ich so manches „sanfte Druckmittel“ angewendet. So wirkte etwa der Anruf einer interessierten Bürgerin von einer Verlags-Telefonnummer mitunter kleine Wunder. Verurteilen Sie mich, wenn Sie wollen. Aber für mich, die von ihren Enkeln nicht gefragt werden will: „Warum hast du damals nichts unternommen?“, gilt in dieser andauernden Flüchtlingskatastrophe das Motto: Der Zweck heiligt so manche Mittel.

Als ich das alles dem mächtigen Herrn Konrad erzählte, beobachtete ich, wie seine Augen aufleuchteten. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass dieser Mann, den ich mir bis dahin mit leichtem Gruseln als eine Art Geheim-Kaiser österreichischer Machtzirkel vorgestellt hatte, als Monarch, der statt zur Audienz zum alljährlichen Sauschädelessen lud, zu dem die Macher des Landes geschmeichelt und geschlossen antraten – dass ausgerechnet dieser Mann nicht nur umfassende Kenntnisse über die Problematik bei Asylverfahren und kluge Ideen dafür parat hatte, wie mit den Verzweifelten besser umgegangen werden könnte, sondern wie ich ebenfalls einzelne Fälle selbst betreut und begleitet hatte. Bei der Verabschiedung meinte ich: „Sie sind ganz anders, als ich dachte, Herr Konrad.“ Er lachte. „Wichtig ist am Ende doch, wer wir als Menschen sind“, sagte er und schüttelte mir zum Abschied die Hand.

Das berufliche Angebot, um das es ging, ehrte mich – trotzdem lehnte ich im letzten Moment ab. Meine Familiensituation verlangte einen anderen Weg, der mich schließlich nach Deutschland, in ein ganz anderes Medienreich führen sollte, in dem ganz andere Monarchen herrschen. Meine Entscheidung wollte ich jedoch diesem Mann, der mich so überrascht und auch ein bisserl beschämt hatte – wer lässt sich schon gerne beim Vorverurteilen erwischen? –, persönlich mitteilen. Und wieder überraschte er mich: Statt Empörung zeigte Konrad Verständnis, wünschte mir Glück und teilte ein paar persönliche Erfahrungen mit mir, die illustrieren sollten, dass er genau verstand, worum es mir ging.

Als ich nun hörte, dass der ehemalige Raiffeisen-General zum Regierungskordinator für Flüchtlinge bestellt wurde, war mein erster Gedanke: Gute Idee. Es gilt, Struktur in das beschämende Tohuwabohu zu bringen, das die Flüchtlingskatastrophe in unserem Land begleitet. Mittlerweile geht es nicht mehr um Monate oder Wochen, sondern um Tage, in Einzelfällen sogar um Stunden dabei, Verzweifelte menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Konrad ist ehemaliger Topmanager, war für tausende Mitarbeiter verantwortlich, er kennt sich beim Thema aus, hat in der Vergangenheit Empathie und Gewissen gezeigt, wenn auch in Flüchtlingsfragen nicht immer öffentlich, und – jetzt kommen wir zu einem wichtigen Punkt – er hat genügend Möglichkeiten, um auf die bestimmenden Kräfte des Landes einzuwirken. Allein die Tatsache, dass der Ex-Raiffeisen-Boss fast jeden Menschen, der in Österreich eine höhere Machtposition besetzt, persönlich kennt, so manchen vielleicht auch zu dem gemacht hat, was er heute ist, macht für mich die Entscheidung für Konrad zur richtigen. Wie gesagt: Der Zweck heiligt so manche Mittel.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Erkrath

Erkrath bewertete diesen Eintrag 24.08.2016 22:53:36

Veronika Fischer

Veronika Fischer bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

Da Z

Da Z bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

1 Kommentare

Mehr von Sylvia Margret Steinitz