Aus dem "Handbuch für Intellektuelle Angeber"

Wer auf Parties, auf Reisen mit der Bahn oder sonstwie beim Zusammensein mit anderen Menschen einen guten Eindruck hinterlassen, gar glänzen möchte, kann dies durch Schönheit, Anmut oder Liebreiz erreichen. Wer auf diesen Gebieten die Arschkarte gezogen hat, kann ersatzweise auch durch intellektuelle Brillanz auf sich aufmerksam machen.

Obacht aber! Keiner weiß alles und so tut man gut, viel zu reden und im Verlauf des Schwallens das Gespräch dezent und rasch auf ein Gebiet zu lenken, auf dem man Bescheid weiß.

Man sollte auch die Gebiete, auf denen man glänzen möchte, weise wählen. Sicher kannst du mit profunden Kenntnissen über Goethes "Faust" den einen oder anderen Punkt sammeln, aber das Risiko ist relativ groß, daß auch deine Gesprächspartnerin den "Faust" kennt und dir Unsauberkeiten in Zitat oder Argumentation nachweist. Es sind halt doch relativ viele, die den "Faust" gelesen haben, traurig, aber wahr.

Nimmst du dagegen ein Buch, das viele vom Titel her kennen, aber nicht gelesen haben ("Ulysses" - mein Gott, wer liest schon wirklich James Joyce! Die berufsmäßigen Joyce-Leser natürlich ausgenommen.), wirst du auf wesentlich sichererem Boden stehen. Den Vogel schießt du aber ab, wenn du ein weitgehend unbekanntes Buch von einem relativ bekannten, aber nicht zu prominenten Autor nimmst: "Geschichte des Herrn William Lovell" von Johann Ludwig Tieck, nur so als Beispiel. Damit schindest du Eindruck, wenn du irgendwo eine Diskussion über dieses Buch vom Zaun brichst! Nach dem Motto: Wenn der über Tieck und diesen, wie hieß der noch: Lovell, so gut Bescheid weiß, wie gut muß der erst über Goethe und den Faust oder Shakespeare und Hamlet Bescheid wissen.

Oder nimm ein anderes Feld. Ihr diskutiert über das rechte Eigenschaftswort von Porzellan. Es heiße "porzellanen" schreit dir dein Gesprächspartner aufgebracht entgegen und hat einen Punkt gewonnen. Du aber konterst cool und merkst an, das sei ein relativ modernes Wort, zu Goethens Zeiten sei noch eher "porzellös" im Gebrauch gewesen. Bleibt man skeptisch, so verweist du auf die - angeblich - bekannte Stelle: "Eine zarte Röte überhauchte ihren porzellösen Teint" aus der Erzählung "Der tolle Invalide aus dem Fort Ratonneau" von Achim von Arnim. Achim von Arnim kennt der Gebildete, von besagter Erzählung hat auch schon mancher gehört, also wird keiner nachschlagen, ob sich denn besagte Stelle dort wirklich findet. Tut's doch einer, weist du ihn drauf hin, daß du diese Stelle aus einer sehr alten und seltenen Ausgabe der Erzählung hast, die du drei Tage vor dem verheerenden Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek eingesehen hast.

All das funktioniert natürlich nur, wenn du beim Schwadronieren einen Gesichtsausdruck hinbringst, als wärest du Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser in einer Person. Aber dergleichen läßt sich üben.

Um nochmal auf Goethe zurückzukommen, damit auch der hinterletzte Narr den Trick kapiert:

Manche Germanisten haben das Pech, Experten für Goethe zu sein. D. h. Pech im eigentlichen Sinne ist es gar nicht, denn sie selbst waren irgendwann im Verlaufe ihrer Karriere so unvorsichtig, sich Goethe als Spezialgebiet zu erwählen.

Über Goethe zu sprechen - und sei es noch so subtil und kenntnisreich - bringt dir auf Parties nämlich keine Punkte. Kaum eine Sau weiß zwar wirklich etwas Fundiertes über Goethe, aber jeder meint, er wüßte in etwa Bescheid. Willst du wirklich Eindruck machen, dann lies dich in irgendeinen abseitigen Dichter ein, schwärme von ihm, ernenne ihn zum Verkannten. Er sei vergessen, klagst du, unterschätzt - ja: totgeschwiegen.

Erstens wirst du keinen auf der Party finden, der deinen abseitigen Dichter kennt und wenn er ihn kennt, so kennt er kaum mehr als den Namen. Es kann dir also keiner fundiert widersprechen. Und, das ist das Wichtigste, jeder wird denken: wenn dieser Mensch, also du, über den abseitigen Dichter Leander Grönlein schon so genau Bescheid weiß, wie genau muß der dann wohl erst über Goethe Bescheid wissen!

Warte natürlich nicht, bis die Rede auf Grönlein kommt (sie kommt nie darauf, weil ja - wie gesagt - keine Sau den Grönlein kennt), lenke die Rede selber darauf.

Ein weiterer Clou besteht natürlich darin, daß du dich in Leben und Werk von Grönlein so genau gar nicht einlesen mußt, denn, wie gesagt, keiner kennt ihn wirklich, d. h. du kannst deiner Phantasie ziemlich weiten Raum lassen.

Noch einfacher wird die Sache natürlich, wenn du dir einen abseitigen Dichter nimmst, der ein schmales Oeuvre hinterlassen hat, am besten deshalb, weil er jung gestorben ist. Dann hast du nicht nur schnell seine gesammelten Werke gelesen, auch die biographischen Angaben sind dann eher spärlich und leicht zu bekommen.

Noch besser wird die Sache, wenn dein Dichter (Grönlein oder sonst wer) schon eine Weile tot ist, denn erfahrungsgemäß sind biographische Einzelheiten umso spärlicher gesät, je weiter zurück in der Vergangenheit die Quellen liegen (ob Homer oder Jesus oder Mohammed je gelebt haben, weiß kein Schwanz wirklich zuverlässig). Ein moderner Dichter jedoch hat möglicherweise eine Unmenge an Material und Spuren hinterlassen.

Viel zu viel, wenn du mich frägst.

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Grummelbart

Grummelbart bewertete diesen Eintrag 11.03.2017 16:27:08

zeit im blick

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