An einem sonnigen Morgen im März streifte Ebrus Pircus müßigen Schrittes durch die quirligen Straßen der Stadt. Ebrus genoß den Tag, den er sich von jeglicher Arbeit freigehalten hatte. Mit all seinen Sinnen nahm er das Licht, die Wärme und das bunte Leben der Stadt in sich auf. Freundlich grüßte er die Leute, denen er begegnete und wurde freundlich von ihnen zurückgegrüßt.

Ebrus Pircus, ein großes, dickes rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut, war mit sich und der Welt zufrieden.

Er wäre es nicht gewesen, hätte er Crispus bemerkt, jenen Mann, der ihm beharrlich gefolgt war, seit er das Haus verlassen hatte. In welche Gasse das Schwein auch einbog, Crispus blieb ihm auf den Fersen. Blieb es vor einem Laden müßig stehen, einen Schwatz mit dem Ladeninhaber und seinen Kunden zu halten, so tat Crispus, als würde er mit Interesse das Angebot eines Händlers studieren. Bewegte sich das Schwein durch belebte Straßen, hielt sein Verfolger Abstand, den er sofort verringerte, wenn Ebrus in eine stillere Gasse einbog, um sich beim zufälligen Annähern von Passanten sofort wieder ein Stück zurückfallen zu lassen.

Das Gäßchen, in welches Ebrus Pircus jetzt einbog, behagte Crispus über die Maßen. Eine enge, schattige Gasse, in welcher er mit Ebrus Pircus alleine war. Ideal für seine Zwecke.

Rasch trat er näher, riß entschlossen einen blitzenden Dolch aus seinem Gewande und stach zu.

Er stach ins Leere, kam ins Stolpern und hätte sich zu allem Überfluß fast selbst den Schenkel geritzt. Der ahnungslose Ebrus nämlich war just im richtigen Moment zur Seite gewichen und in einem Friseurladen verschwunden.

"Verdammt!" fluchte Crispus, als er sah, wie Ebrus drinnen fröhlich mit dem Meister plauderte. Das mochte dauern, bis das Schwein seinen Haarschnitt verpaßt bekommen hatte. Crispus suchte sich einen Platz, von dem aus sich der Laden des Friseurs gut beobachten ließ und richtete sich auf eine längere Zeit des Wartens ein.

Ebrus Pircus liebte den Friseurladen von Flavius.

Als Friseur war Flavius nicht die allerletzte Offenbarung. Ebrus machte sich da keine Illusionen, wenn er auch einräumen mußte, daß Flavius seine Arbeit ganz ordentlich erledigte. Was Ebrus am Laden von Flavius indes wirklich anzog, war dessen Klo.

Nach Einschätzung von Ebrus Pircus, der Rom kannte und eine Menge trübe Erfahrungen hinter sich hatte, war das Klo von Flavius die schönste, sauberste und - ja, auch - zweckdienlichste Toilette von ganz Rom. Deshalb, vor allem deshalb, war Ebrus Stammgast bei Flavius geworden, deshalb pflegte er bei seinen Spaziergängen gerne dort einzukehren. Ein kleines Schwätzchen mit dem Friseur gab den Vorwand, einzutreten und dann, irgendwann, die höfliche Bitte, die Toilette benutzen zu dürfen. Wie fast jedes Mal verließ Ebrus auch heute den Laden durch die Hintertür, welche in einen kleinen Hof führte, der schließlich in eine Seitengasse mündete.

Erleichtert blinzelte er in die Frühlingssonne von Rom und lief, vom Blinzeln blind, in einen großen, dicken rosafarbenen Mann mit grünem Blätterhut hinein.

"Na hören Sie mal!" sagte dieser empört. Als das Schwein sich höflich entschuldigte, schaute es der dicke Mann mit dem grünen Blätterhut genauer an und seine zornige Miene entspannte sich. "Aber das ist doch..."

"Iulius, alter Gauner!" rief erfreut das Schwein.

"Ebrus, dickes Schwein!" rief Iulius, nicht minder begeistert.

Und sie schlugen einander auf die Schultern, umarmten sich und hatten eine Menge zu erzählen. Viel war passiert in den Jahren, seit sie sich zuletzt gesehen hatten.

"Du", fragte Iulius, "bist immer noch Anwalt?"

"Nicht mehr."

"Du hast dich verbessert?"

"Wie man's nimmt", grinste Ebrus. "Finanziell gesehen habe ich mich verschlechtert. Ich bin Richter."

"Schlechte Bezahlung, gute Nebeneinnahmen."

"Ich nicht."

"Ein ehrlicher Richter", lachte Iulius herzlich. "Weit ist es gekommen mit unserem Rom."

"Und du", sagte Ebrus trocken, "hast Karriere gemacht, was man so hört."

Iulius lächelte bescheiden. "Man tut, was man kann."

"Paß gut auf dich auf, Iulius", sagte Ebrus, plötzlich ernst geworden. "Du arbeitest in einer gefährlichen Branche."

Das Lachen von Iulius kam ein bißchen zu munter, um wirklich sorglos zu klingen. "Ich glaube, ein ehrlicher Richter lebt gefährlicher als ich."

Und so schritten sie weiter, die beiden alten Freunde, plauderten über das Wetter, die Frauen und andere unberechenbare Dinge. Die Sonne brannte heiß vom Frühlingshimmel des Mittelmeers.

"Heiß heute", murmelte Iulius und wischte sich mit einem Tuch über die schweißnasse Glatze.

"Sehr heiß für die Jahreszeit", stimmte ihm Ebrus zu. "Das bißchen Gemüse auf deinem Schädel hilft auch nicht viel gegen die Sonne. Komm, ich leih dir meinen Hut."

Iulius nahm das Angebot von Ebrus dankend an, den sein immer noch dichtes Haar besser gegen die Sonne schützte. So tauschten sie ihre Kopfbedeckungen und gingen gemütlich weiter. Plaudernd schlenderten sie an Flavius' Friseursalon vorbei, hin zum Stadtzentrum von Rom, wo Iulius, der es nicht so gut hatte wie Ebrus, auch heute auf Arbeit mußte.

Crispus, der immer ungeduldiger geworden war, wäre vor Schreck fast umgekippt, als die beiden großen, dicken, rosafarbenen Gestalten plaudernd aus der anderen, der unerwarteten Richtung, an ihm vorbeischritten.

Die Gasse war immer noch menschenleer und Crispus nutzte seine Chance.

Entschlossen trat er an die beiden rosigen, dicken Männer heran, riß - wir kennen das inzwischen - seinen blitzenden Dolch aus dem Gewand und stach dann in wilder Wut auf dies verfluchte Schwein mit dem schwarzen Hut ein. Sein Opfer drehte sich erschrocken um und blickte seinen Mörder an. Dieser, den Dolch schon zum zweiten Stoß erhoben, riß Mund und Augen auf und wurde blaß. "Oh, verflucht!" stammelte er fassungslos. "Caesar!". Dann lief er, so schnell er nur konnte, davon.

Ebrus, der treue Freund, kümmerte sich weder um den Flüchtenden, noch um den geliehenen Lorbeerkranz, der ihm vom Kopf gerutscht war. Mit großer Umsicht und Sachkenntnis widmete er sich der Versorgung der Wunde von Gaius Iulius Caesar.

Sie war tief, wie sich bald erwies, aber nicht lebensgefährlich.

Brutus und seine Mitverschworenen warteten währenddessen im Senat auf die Ankunft von Gaius Iulius Caesar, um ihn unverzüglich zu ermorden.

Caesar kam nicht. Statt seiner kam die Nachricht von seiner Ermordung, welche sich rasend schnell in der Stadt verbreitet hatte. Dieses Gerücht brachte die Verschwörer dazu, die verwaist geglaubte Macht zu übernehmen.

Gaius Iulius Caesar aber war nicht tot. Die Verschwörung hingegen schon bald.

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Don Quijote

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