„Nius“ (ich werde auf den Beitrag nicht verlinken) wetterte vor kurzem gegen den Plan der jüdischen Bundesbildungsministerin Prien, Besuche von KZ-Gedenkstätten für Schulklassen verpflichtend zu machen: Der Vorschlag richte sich gegen „eben jene Realität“, in der Antisemitismus „heute tatsächlich“ stattfinde, denn der komme „aus migrantischen Milieus“ und „nicht aus dem deutschen Bildungsbürgertum“. Natürlich darf in diesem Zusammenhang der Begriff „importiert“ nicht fehlen. Der Autor befürchtet weiterhin, „deutsche Schüler“, die, so ist zu vermuten, nicht aus dem migrantischen, sondern aus dem Milieu des Bildungsbürgertums stammen, würden „zur moralischen Buße abkommandiert“, da Gedenkprojekte „in Wirklichkeit als Schleife um den ‚Schuldkult‘“ dienten. Überhaupt seien „viele Gedenkstätten (…) nicht neutral“, sie vermittelten „keine reine Geschichtsbildung“ (was immer das sein mag), sondern „eine politische Agenda gegen ‚rechts‘, gegen ‚national‘, gegen alles, was sich einer linken Weltsicht entzieht.“ Hat es die Shoah demnach lediglich in einer ‚linken Weltsicht‘ gegeben? Aber es geht nicht allein um die selbstgefällige Behauptung, die Deutschen seien längst geläutert. Die sich anschließende Beschwerde darüber, dass diese „staatlich finanzierten Orte“ dem „Steuerzahler (...) den Spiegel der eigenen Schuld vorhalten“, ist eine sehr genaue Beschreibung dessen, was der Forschung zum nationalsozialistischen Staat und der Dokumentation seiner Verbrechen droht, wenn die AfD regieren sollte, wird doch behauptet, solche Gedenkfahrten dienten zur „Dämonisierung politischer Gegner wie zum Beispiel der AfD“, was für diese einen Grund liefern könnte, sie abzuschaffen. Doch damit nicht genug: „Nius“ diskreditiert die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit durch Ausdrücke wie „Erinnerungsindustrie“ oder „ritualisierte Schuldindustrie“, durch die suggeriert wird, die Dokumentation der deutschen Verbrechen sei ebenso gewerbsmäßig wie vorgefertigt.
Und während auf der Rechten der Kampf gegen den „Schuldkult“ mit Vehemenz geführt wird, hat die scheinbar antiimperialistische Linke diesen Begriff längst zur Formel „Free Palestine from German Guilt“ erweitert und beklagt in der „jungen Welt“, dass durch den Mord an zwei Israelis in Washington nicht nur die Empörung über Schüsse israelischer Soldaten auf Diplomaten „schnell wieder in den Hintergrund gerückt“ sei, sondern auch, dass man „den Zusammenhang mit dem Hungerkrieg im Gazastreifen“ ignoriere, dass man also den Mord als das begreift, was er ist: Eine Drohung an Jüd*innen weltweit, dass sie jederzeit für die Taten Israels verantwortlich gemacht werden können. Oder wie es die taz formulierte: „Für alle, denen es wirklich um das Leben der Palästinenser*innen geht, ist das ein schwarzer Tag.“ Da ist wohl jemand zu weit gegangen.
Man hätte Auschwitz, Dachau, Buchenwald oder wie die Orte alle heißen mögen, an denen die Deutschen ihre Vernichtungsträume wahrmachten, nach dem Krieg auch abreißen können, hätte man gewusst, dass die Nazis und ihre Mitläufer Spuren dessen annehmen würden, was man Vernunft nennt. Aber die Mischung aus Leugnung, Anbiederung und Verdrängung, die Padover, Miller etc. bereits unmittelbar nach Kriegsende wahrnahmen, ließ erahnen, dass der Antisemitismus nichts von seiner mörderischen Kraft verlieren würde, nachdem er sein Ziel fast erreicht hatte. Washington hat deutlich gemacht, dass man auf Nius nicht hören darf und die toten Juden den Antisemiten noch lange lästig fallen sollten.