Wir leben in einem Zeitalter der Bedrohung. Das Böse und Ewiggestrige ist allerorten. Es wird immer mächtiger und kommt von überall auf uns. Umso intensiver und nachhaltiger müssen wir es bekämpfen. Und da es allgegenwärtig ist, müssen wir diesen Kampf in die letzte Ecke unserer Gesellschaft tragen.

So denken offensichtlich immer mehr Kämpfer für das Gute in der Welt und sie sind für diesen Kampf bereit, alles zu tun, notfalls schrecken sie auch vor Bespitzelung, Denunziation und Gewalt nicht zurück. Dabei treibt dieser Kampf zuweilen seltsame Blüten und dem einigermaßen nüchternen Betrachter die Tränen in die Augen. Ob vom Lachen oder Weinen, das ist zuweilen nicht zu unterscheiden. Werfen wir den Blick auf ein paar Schlachtfelder, auf denen die tapferen Kreuzritter der Welterrettung sich prächtig schlagen.

Da ist zunächst der Kampf um die Worte. Der "Negerkuss" ist schon lange als rassistisch entlarvt, statt dessen wird vom "Schaumkuss" gesprochen. Ja, wir schreiben sogar Bücher um, wie z. B. "Pippi Langstrumpf". Ein Werk der Rassistin und Rechtsextremistin Astrid Lindgren. Dort heißt in den neuen Auflagen jetzt der "Negerkönig" "Südseekönig" und statt "Negersprache" ist von "Taka-Tuka-Sprache" die Rede. Auch der Titel des rassistischen Machwerks der Rechtsextremistin Enid Blyton "Fünf Freunde und ein Zigeunermädchen" wurde glücklicherweise längst geändert in "Fünf Freunde und die wilde Jo". Geht doch. Aber es ist noch mehr nötig. So forderte die Regisseurin Simone Dede Ayivi "Die Streichung rassistischer Begriffe ist nur der Anfang vom Frühjahrsputz." Aha. Das ist doch mal eine Ansage. Vielleicht sollten konsequenterweise auch alle alten Werkausgaben aus Schulen, Bibliotheken usw. eingezogen und vernichtet werden, damit niemand mehr vergleichen kann. Wenn demnächst das Wahrheitsministerium eingerichtet ist, vielleicht kann es sich auch dieser Aufgabe annehmen.

Ganz schlimm ist es auch beim Essen. Den "Negerkuss" hatten wir ja schon. Doch da ist immer noch das schreckliche "Zigeunerschnitzel". Ist das nicht Kannibalismus und Menschenverachtung in einem? Also muss auch das weg. Allerdings lauern bei der politisch korrekten Umbenennung auch furchtbare Fallstricke. So erging es einem wackeren Wiesbadener Gastwirt, der alles richtig machen wollte und sein "Zigeuner-Schnitzel" in "Sinti und Roma-Schnitzel" umbenannte. Da hatte der Wirt aber die Rechnung ohne den Wirt respektive die Leute vom Projekt "Demokratie leben in Wiesbaden" gemacht. Sie hauten den guten Schnitzelbräter nun erst richtig in die Pfanne. Da nützte ihm auch nicht, dass die Namensänderung über Jahre niemanden gestört hatte und sein Restaurantteam aus aller Herren Länder stammt und somit richtig Multikulti ist. Auch dass er 150 Flüchtlinge zu Weihnachten beköstigte, machte diesen Frevel nicht wett. Pech gehabt.

Umbenennungen sind aber nicht nur in Büchern und auf den Speisekarten dringend notwendig. Nein, auch auf Straßenschildern oder bei der Benennung von öffentlichen Einrichtungen lauert permanent die Gefahr, dass durch sie Menschen geradezu zwangsläufig zu schlimmen Rechtsextremisten werden. Erkannt hat man das in der Universitätsstadt Freiburg, wo man sich in jahrelanger Kleinarbeit daran machte immerhin 1.300 Straßennamen auf ihre politische Korrektheit und Zumutbarkeit zu überprüfen. Das Ergebnis fiel für einige Straßen bzw. Altvorderen, nach denen diese benannt wurden, gar nicht gut aus.

Keine Gnade fand z. B. der Martin-Heidegger-Weg. Nun ist dieser zwar ohne Zweifel einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, doch der Mann war offensichtlich auch ein Karrierist und Opportunist. Diese Kategorie Menschen gibt es heute natürlich längst nicht mehr. Früher aber schon noch. So trat denn Heidegger am 1. Mai 1933 der NSDAP bei, um anschließend Rektor der Freiburger Uni werden zu können. Richtig beliebt hat er sich bei den Nazis aber nicht gemacht. Vielleicht weil er Bücherverbrennungen an seiner Uni verhinderte. So war er nicht einmal ein Jahr Rektor, dann war Schluss und schlimmer noch; er wurde im Krieg bei der Einteilung der Dozenten der Uni in "Unentbehrliche", "Halb-Entbehrliche" und "Ganz-Entbehrliche" leider in letztere Kategorie gesteckt und zu Schanzarbeiten verdonnert. Trotzdem, Gnade hat er vor dem Freiburger Straßennamen-Tribunal nicht gefunden: Weg mit dem Heidegger-Weg!

Leider müssen die Kommissionisten in ihrer Begründung jedoch konstatieren, dass Heidegger "nach wie vor Weltruhm genießt". Das ist wahrlich sehr misslich. Daher empfehlen sie notgedrungen die Umbenennung in "Philosophenweg" und ein Zusatzschild, das auf Heidegger und einige seiner unbelasteten Kollegen verweist. Welch geschickter Schachzug.

Das Kommissions-Tribunal hat zudem eine andere Kategorie von Straßennamen ausgemacht. Hier hat man - vorerst - entschieden, den Straßen die Namen zu belassen, aber Zusatzschilder anzubringen, die darauf verweisen, dass die Personen, nach denen die Straßen benannt wurden, heute eigentlich untragbar sind. Es sind dies z. B. "Turnvater " Friedrich Ludwig Jahn, der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, die Komponisten Richard Strauss und Richard Wagner und selbst mit dem Literaturnobelpreisträger Gerhard Hauptmann hat die Kommission keine Gnade und stuft ihn als belastet ein.

Köstlich sind die Begründungen, die man hier nachlesen kann. An Wagner haben die Kommissionäre u. a. auszusetzen: "Wagners Schwiegersohn, der Engländer Houston Stewart Chamberlain, schuf mit seiner 1899 veröffentlichten Schrift 'Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts', einen antisemitischen Klassiker, der auch Hitler stark beeinflussen sollte. Bekanntermaßen war Wagner denn auch Hitlers Lieblingskomponist." Also, ich muss schon sagen, das hätte Wagner (gestorben 1883) nun wirklich verhindern müssen. Wie konnte er zulassen, dass sein Schwiegersohn 1899 (16 Jahre nach Wagners Tod) ein böses Buch schreibt? Wie konnte er zulassen, dass der 1889 (6 Jahre nach Wagners Tod) geborene Hitler ihn zu seinem Lieblingskomponisten erwählt? Pfui Wagner, das war nicht nett von Dir und rechtfertigt unsere Missachtung deiner.

Doch was sind Straßennamen? Nichts im Vergleich zu öffentlichen Einrichtungen, wie z. B. Universitäten. Darum hat sich die Greifwalder Universität nun denn auch endlich entschieden, den Namen Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald abzulegen und will sich fortan nur noch Universität Greifwald nennen. Und was hat der gute Professor Arndt verbrochen? Nun, ihm wird natürlich nicht zur Last gelegt, dass er für die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern war oder ein früher Demokrat - Arndt war 1848 Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche. Aber der Schuft hat doch wirklich patriotische Gedichte gegen die Napoleonische Fremdherrschaft von 1806 bis 1813 geschrieben und war auch danach nicht wirklich gut auf die Franzosen zu sprechen. Das ist umso ungerechter, als sich die Franzosen im 19. Jahrhundert doch in Liebe zu den Deutschen geradezu verzehrt haben, oder?

Vielleicht aber mag den Professor Arndt aufgebracht haben, dass Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts nun nicht gerade die Haute Cuisine nach Deutschland brachte, sondern vielmehr die Deutschen unter Zwangsrekrutierungen für seine Eroberungsfeldzüge und unter Einquartierungen und Requisitionen ziemlich zu leiden hatten. Und so erwachte in dieser Zeit ein deutsches Nationalbewusstsein. Man wollte nicht länger mehr Spielball der europäischen Mächte sein, man wollte nicht länger mehr in einem zeitweise in bis zu 300 Territorialländlein zersplitterten Deutschland leben mit Zollschranken und unterschiedlichen Maßen, Gewichten und Münzen.

Daher könnte man sich freilich nun die Mühe machen, Arndt aus seiner Zeit heraus verstehen zu wollen und ihm somit Gerechtigkeit widerfahren lassen, statt ihn nach den Maßstäben des Jahres 2017 zu beurteilen. Doch dies hieße wohl die Greifswalder Studenten und Professoren des Jahrgangs 2017 zu überfordern. Bezeichnend ist daher der Vorschlag der wackeren Studierenden, man möge die Uni doch Toni-Kroos-Universität nennen. Kann es einen schöneren Beleg für den weiten geistigen Horizont der Studenten von heute geben? Und das wohl nicht nur in Greifswald.

Doch einen Pfeil hat die Greifswalder Uni noch im Köcher - und zugegeben - einen der immer trifft: Der Arndt war auch antisemitisch. Hier begeben wir uns nun jedoch auf ganz glattes Eis. Denn antisemitische Äußerungen sind in vergangenen Jahrhunderten nicht selten, nicht nur in Deutschland. Wir finden sie auch bei Luther. Muss sich jetzt auch die Martin-Luther-Universität Halle umbenennen? Ich denke schon! Müssen wir das Reformationsjubiläum in diesem Jahr deswegen absagen? Nach den Maßstäben, die in Greifswald angelegt wurden, ganz sicher! Selbst bei Goethe finden sich zuweilen antisemitische Zitate. Also Schluss mit der Goethe-Universität Frankfurt!

Wir sehen; es gibt noch viel aufzuräumen und zurechtzurücken in Deutschland. Wir sind noch lange nicht soweit, alle Täter, Rassisten, Extremisten, Nationalisten und Ewiggestrigen von gestern (und heute) enttarnt und vom Thron gestoßen zu haben. Aber wir sind auf einem guten Weg. Es wird Zeit für einen radikalen Bruch mit der deutschen Geschichte, es wird Zeit für einen radikalen Bruch mit Deutschland. Ich bin mir ziemlich sicher: Wir schaffen das!

Shutterstock/Nomad_Soul

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