„Frau Alex?“

Ich traue meinen Ohren kaum und starre den Dozenten mit leicht offenem Mund an. Dieser schaut sich im Raum um und als sich niemand meldet, kritzelt er etwas in die Anwesenheitsliste.

Kurz zuvor hatte ich den Mut gefasst und war mit meinem Anliegen zu ihm gegangen. Wie so oft in dieser ersten Uniwoche habe ich versucht einem Dozenten zu erklären, dass er mich doch bitte nicht mit Frau, sondern Herr Soundso aufrufen soll und ob der Vorname nicht vielleicht auch auf der Liste geändert werden könne...? Eine Personen-und Namensstandsänderung ist langwierig, anstrengend und im schlimmsten Fall teuer, also werde ich die nächsten 1 /12 - 2 Jahre noch viele solcher Gespräche führen müssen. In der Universität, bei Ärzten, in Ämtern, am Telefon, schriftlich und unter vier Augen.

Dieser junge Mann hatte da etwas scheinbar nicht so ganz richtig verstanden und ich hielt mich mit Wortmeldungen die nächsten 90 Minuten schön zurück.

„Ähm... kann ich kurz mit Ihnen reden...?“ spreche ich den jungen Mann vorsichtig an, nachdem die restliche Meute endlich außer Hörweite war.

„Es ist so... also Alex, das ist mein Vor-und nicht mein Nachname...“

„Oh..“ er greift zu einem Kugelschreiber und streicht „Alex“ als Nachname weg. „Dann heißen sie also Frau... wie?“

„Nicht Frau... Herr. Darum ging's ja, als ich zu Ihnen kam...“ Kurze Zeit herrscht Stille.

„Das versteh ich n....“ Und plötzlich trifft es ihn wie Siegfried der Speer Hagens (immerhin aufgepasst habe ich in dieser schweigsamen Zeit) “ACHSO! Tut mir Leid! Herr Soundso dann, richtig?“

„Richtig.“ Wir verabschieden uns voneinander und ich bin erleichtert, wie so häufig diese Woche. Keine Nachfragen, keine ablehnenden Kommentare oder sonstige Dinge – einfach stille Akzeptanz.

Nachdem ich meinen Kaffeevorrat wieder aufgefüllt habe, begebe ich mich ins nächste Seminar. Es ist überfüllt, alle laufen wie die wilden Hühner panisch durcheinander und als die Dozentin anfängt die Teilnehmerliste durchzugehen, um mindestens 20 der 60 sich im Raum Versammelten auszusieben, dämmert es mir plötzlich.

Sie würde gleich meinen Namen vorlesen und ich müsste reagieren, da mein Platz sonst anderweitig vergeben würde. Panik ist das Gefühl, das nun auch in mir aufsteigt. Ähnlich wie in der Schule, dieses „WAAAH!“-Gefühl kurz vor Rückgabe einer Klausur.

„Frau Soundso?“ Und plötzlich, ganz so als würde es die Person neben mir sagen, korrigiere ich die Dozentin. „Herr!“ 120 Augen sind auf mich gerichtet, mein Herzschlag hat scheinbar just in diesem Moment ausgesetzt.

„Tut mir Leid!“ Sie kritzelt etwas auf die Liste und fährt unbeirrt fort. Ein paar dieser Augen bleiben noch etwas länger an mir kleben, hier und da meine ich ein Fragezeichen aufzuschnappen, aber die Mehrheit scheint sich nicht weiter für mich zu interessieren. Ich lehne mich erleichtert zurück, mein Herz scheint ein paar Schläge nachholen zu müssen und ich kann mich des Gefühls im kalten Schweiß gebadet zu sein so schnell nicht mehr entledigen.

Vielleicht mache ich mir den meisten Stress ja selbst? Vielleicht ist es vielen Menschen ja auch einfach egal und ich sollte aufhören meine Energie daran zu verschwenden mich zu fragen, was wohl die Anderen von mir denken? Das ist ein Gefühl was jeder von uns kennt und was jeder nachvollziehen kann. Als transsexueller Mensch, besonders am Anfang der Transition, fragt man sich ständig: „Falle ich auf? Werde ich als Mann/Frau akzeptiert werden?“ Jeder Blick, jede Aussage wird interpretiert und soziale Interaktionen werden dadurch noch komplexer, mit noch mehr Variablen gefüttert.

Es gibt Menschen, die sind sehr davon verunsichert, wenn sie jemanden nicht sofort zuordnen können und die Kategorien „Mann/Frau“ sind nun mal die wahrscheinlich elementarsten von allen. In einer Onlinestudie der „Agentur der Europäischen Union für Grundrechte“ geben 58% der befragten 6500 Transgender an, Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität zu erfahren und ganze 26% wurden bereits Opfer „hasserfüllte Belästigungen“. In Deutschland. Was somit über den europäischen Durchschnitt liegt.

Ich glaube, dass nur der Zugang zu Bildung und Information dabei helfen kann, Diskriminierungen und Gewalt jeglicher Art vorzubeugen und da ich mich hier in einer Universität befinde, befinde ich mich gleichzeitig irgendwo auch in einer Art geschütztem Raum. Hier, so scheint es, interessiert es meine Kommilitonen nicht ob ich männlich, weiblich oder irgendwo dazwischen bin. Vielleicht sagen sie es auch einfach nicht laut und denken sich ihren Teil. Oder sie sind zu sehr mit dem Zählen ihrer Credit Points beschäftigt, wer weiß.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Das Seminar ist wohl vorbei, denn um mich herum leeren sich die Reihen. Thema des Seminars ist „Frauen im Früh-und Hochmittelalter“. Sah nicht so ganz rosig aus. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen Zeit und vielleicht sind transsexuelle Dozenten irgendwann genauso normal wie weibliche Hochschullehrer. Ein transsexueller Bundeskanzler? In den letzten Jahren hat sich viel in der Transgender-Community und ihrer Sichtbarkeit nach außen hin getan und ich bin zuversichtlich, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.

Das Time Magazine spricht in seiner Juni Ausgabe 2014 vom „Transgender Tipping Point“- die Transgender-Community als neue, aufstrebende Bürgerrechtsbewegung. Neu ist sie definitiv nicht, dafür aber laut und selbstbewusst und es erfüllt mich mit Stolz ein Teil von ihr zu sein.

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Jessi

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fischundfleisch

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