Polygamie führt zu Terrorismus! Da staunt selbst der Vatikan.

Der Vatikan ist nicht gerade als Polygamie-freundliche Institution bekannt. Aber als am Montag, den 20.02.2017, Muhammad Sanusi II., der Emir von Kano, behauptete, es gebe eine Beziehung zwischen Polygamie und Terrorismus, da titelte selbst Radio Vatikan mit Fragezeichen: "Polygamie plus Armut gleich Terrorismus?"

Armut und Terrorismus in Kano

Die Emire von Kano waren früher die Könige von Kano, heute ein Bundesstaat im Norden von Nigeria. Der Emir ist zwar kein König mehr, aber bis heute ist der Emir von Kano der religiöse Führer des Ordens der Tijaniyyah Sufis und gilt damit als zweitwichtigster Sprecher der sunnitischen Muslime in Nigeria. Der Emir hat zwar keine politische Macht, aber hohes Ansehen und entsprechend viel Einfluss.

Seit 2014 ist Sanusi Lamido Sanusi der Emir von Kano. Sanusi war vorher als Chef der Zentralbank von Nigeria gefeuert worden, weil er öffentlich behauptet hatte, dass die frühere Regierung unter Jonathan Goodluck jeden Monat eine Milliarde Dollar aus den Öleinnahmen veruntreue.

Der Bundesstaat Kano ist der Weltöffentlichkeit vor allem durch Nachrichten über terroristische Anschläge der Terrorgruppe Boko Haram im Jahr 2012 bekannt. Damals kamen mindestens 191 Menschen ums Leben.

Kano ist außerdem ein sehr armer Bundesstaat, der vom Ölreichtum Nigerias nicht besonders profitiert. Es gibt dort viele junge Männer ohne Aussichten auf Arbeit und Einkommen, und damit ohne Chance auf Heirat, ohne Lebensperspektive. Laut einer Studie der britischen Royal Society von 2012 gelten sie wegen der Ausichtslosigkeit ihrer Situation als Reservoir für Anwerbungsversuche der Terroristen von Boko Haram.

Was hat der Terrorismus mit Polygamie zu tun?

Es war aus den Worten des Emirs nicht zu klären, auf welche belegten Fakten sich seine Behauptung stützt, dass es eine Verbindung zwischen Polygamie und Terrorismus gebe. "Männer, die nicht in der Lage sind, eine Frau zu unterhalten, heiraten vier. Sie haben 20 Kinder, die sie nicht erziehen. Am Ende landen die Kinder auf der Straße und werden Gangster oder Terroristen“, wird der Emir laut Radio Vatikan zitiert.

Einen Beleg für diese Behauptung brachte der Emir nicht vor, aber ein BBC-Korrespondent bestätigt, dass es in Kano in jedem Ort große Gruppen bettelnder Kinder gebe. Ob es sich dabei immer oder mehrfach um Kinder aus polygamen Ehen handelt, und ob und wie viele davon später als junge Männer Terroristen werden, weiß man nicht.

Polygamie ja, aber nicht für Arme

Um dem angeblichen oder tatsächlichen Missstand abzuhelfen, schlug der Emir ein Gesetz vor, das Männer bei der Heirat verpflichten soll, ihren Besitzstand nachzuweisen.

Das Gesetz ist Teil eines ganzen Maßnahmenpakets, das darauf zielt, die traditionell dem Mann untergeordnete Stellung von Frauen in mehreren Bereichen des Eherechts zu verbessern. Insbesondere häusliche Gewalt und Zwangsehe sollen verboten werden. Väter sollen darüber hinaus zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden. Diese Gesetzesintiative muss allerdings durch die Regierung des Bundesstaates Kano aufgenommen werden, um in Kraft zu treten.

Trotz all dem ist der Emir aber nicht grundsätzlich gegen Polygamie. Das wäre in Nigeria auch schwer zu vermitteln, denn Polygamie ist dort jahrtausendealte Tradition, auch schon vor der Islamisierung. Der Emir ist außerdem selbst mit vier Frauen verheiratet.

Damit befindet der Emir sich im Einklang mit den Regeln des Koran, wonach ein Mann bis zu vier Frauen heiraten darf, wenn er in der Lage ist, sie alle gleich zu behandeln. Das heißt vor allem, dass er sie materiell gleich versorgen muss. Eine vernünftige Regelung zu Zeiten der Entstehung des Islam, als Frauen materiell üblicherweise auf Männer angewiesen waren, ganz abgesehen von deren Rolle als Beschützer. Es gab noch keinen stabilen Staat mit Polizei, unabhängiger Justiz und Sozialsystem. Den gibt es in Nigeria bis heute nicht.

Es wird allerdings gerne vergesssen, dass der Religionsgründer Muhammad die Polygamie überhaupt nur einführte, als nach Kämpfen viele Frauen seiner Getreuen ohne Mann, also ohne Beschützer dastanden. Bis heute sagen viele muslimische Gelehrte, dass Polygamie keineswegs als Normalfall gedacht ist, sondern eben nur in derartigen Sondersituationen, um eine Frau zu versorgen. Um möglichst viel Sex für den Mann, wie es viele im Westen und auch manch ungebildeter Muslim denkt, sei es dabei nie gegangen.

Was will der Emir wirklich?

Die Behauptung des Emirs, dass Polygamie zu Terrorismus führe, lässt sich faktisch nicht belegen. Aber möglicherweise ist sie ohnehin vor allem eine Art argumentative Finte. Denn sein eigentliches Ziel ist eine Verbesserung der Situation der Frauen, eine Reduzierung von Armut, insbesondere der Kinder, und sicher auch die Eindämmung des Terrorismus.

Der Weg dahin kann unter anderem über die in Kano üblicherweise für Fragen des Familienrechts zuständigen Sharia Gerichte führen. Diese handhaben die eigentlich schon bestehenden Regeln des Islam oft zu lax, wie der Anwalt für Familienrecht Ik Nwabufo der BBC erläuterte.

Mit dem neuen Gesetz jedoch würden die in diesen Gerichten zuständigen islamischen Gelehrten zu einer Prüfung verpflichtet, ob die finanzielle Lage eines Mannes es ihm überhaupt möglich macht, den Regeln des Koran zur Versorgung der Frau zu entsprechen. Dies ist bisher nicht der Fall. Wenn die Richter außerdem überzeugt wären, dass sie mit dieser Prüfung und ihren Entscheidungen etwas gegen den Terrorismus tun, könnte dies zu einer strengeren Praxis bei der Heiratserlaubnis beitragen.

Derartige Überlgungen könnten der Grund sein, weshalb der Emir eine Verbindung zwischen Polygamie, Armut und Terrorismus zieht. Nicht zuletzt käme der Emir mit dieser Gesetzesintiative auch seinen Pflichten als hoher muslimischer Würdenträger und Sharia-Gelehrter nach, für eine Einhaltung der Regeln des Koran zu sorgen.

Schlagzeilen - und was dahinter steckt

Die Meldung über den Emir von Kano und die angebliche Verbindung zwischen Polygamie und Terrorismus ist somit ein gutes Beispiel, wie irreführend Schlagzeilen sein können. Und sie ist auch ein Beispiel, wie selbst gut gemeinte, aber irreführende Parolen zu falschen Schlüssen führen können. In diesem Fall zur Zementierung von Vorurteilen über Polygamie.

Um jedoch zu wissen, was hinter eine Parole oder einer Schlagzeile steckt, ist gründlich recherchierender Journalismus nötig. Sonst gibt es nur Trump-artige alternative Fakten. Früher sprach man einfach von Propaganda, Lügen und Vorurteilen.

Warum ich über dieses Thema schreibe

Vorurteile zu entkräften, insbesondere zu den Themen Polyamorie und Polygamie, habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Denn ich bin Journalist und lebe seit vierzehn Jahren in einer polyamoren Beziehung mit einer verheirateten Frau. Ich habe gelernt, dass Mehrfachbeziehungen funktionieren und bereichernd sein können. Wir stoßen aber immer wieder auf Ablehnung wegen eben solchen auf Unkenntnis beruhenden Vorurteilen.

Vorurteile sind Gift für die Zivilgesellschaft und die Demokratie. Für die stehe ich ein, auf meine Weise. Vielleicht kann ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, liebe Fischer und Fleischer, ja ab und an auch anregen, Ihre Ansichten zu prüfen.

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