Rich gets richer

Schon den Autoren der Bibel war der Umstand, dass Reiche immer reicher werden, bekannt. Im Matthäusevangelium (25,29) heißt es im Gleichnis von den anvertrauten Zentnern: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat.“ Ein Phänomen, dem für die Schräglage in der heutigen Welt entscheidende Bedeutung zukommt. Der Volksmund hat dafür ebenfalls einen Spruch parat: „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.“ Auch die Wissenschaft hat diese uralte Lebensweisheit mittlerweile mehrfach bestätigt.

So konnten Albert-László Barabási und Réka Albert[1] zeigen, dass im Internet Seiten mit vielen Links eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, mit einer neuen verlinkt zu werden. Das von Barabási und Albert entdeckte Prinzip wird „Preferential Attachement“ genannt. Die Verteilung der verlinkten Seiten wiederum gehorcht dem „Power Law“ – auf Deutsch Potenzgesetz. Dieses besagt, dass sowohl die Anzahl, als auch die Größe der zu messenden Objekte exponentiell wächst. Wenn zum Beispiel eine Glasscheibe zu Bruch geht, wird sie in sehr viele kleine, mehrere größere und ganz wenige sehr große Bruchstücke zerspringen. Die zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilung folgt dem Potenzgesetz. Derartige Verteilungskurven lassen sich überall in der Natur nachweisen. Wirtschaftliche Systeme machen hier keine Ausnahmen: Man braucht nur die Größe der Börsencrashs seit Beginn des Börsenhandels zurückverfolgen, um zu erkennen, dass ihre Verteilung ebenfalls dem „Power Law“ unterliegt.

Wenn man nun nach Barabási und Albert einem System aus ganz wenigen Knotenpunkten längere Zeit hindurch immer neue Knoten hinzufügt, dann werden früher oder später rein zufällig Knoten entstehen, die über mehr Verbindungen verfügen. Sobald ein Knoten aber mehrere Verbindungen zu anderen unterhält, steigt seine Wahrscheinlichkeit, neuerlich verlinkt zu werden. Am Ende besteht das System aus ganz wenigen großen Knoten mit ungeheuer vielen Verbindungen, mehreren durchschnittlichen Knoten mit weniger Verbindungen und vielen kleinen Knoten mit ganz wenigen Verbindungen. Wiederum entspricht die Wahrscheinlichkeitsverteilung dem Potenzgesetz.

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Experimente widersprechen dem Mythos von der sich selbst regulierenden Marktwirtschaft und sprechen vielmehr dafür, dass ein einmal gewonnener Marktvorteil die Wachstumschancen eines Marktanbieters erheblich verbessert. Nehmen wir an, in einem neuen Markt positionieren sich gleich mehrere Dienstleistungsanbieter, die exakt dieselben Leistungen zum selben Preis anbieten. Zufällige Marktfluktuationen führen jedoch bald dazu, dass einige Dienstleister mehr Kunden haben als andere. Schenkt man nun der Theorie des sich selbst regulierenden Marktes Glauben, so müsste sich diese Ungleichheit als Folge der Zufallsschwankungen bald wieder ausgleichen.

Warum das aber in Wirklichkeit nie geschehen wird, beweist das „Preferential Attachement–Prinzip“ von Barabási. Der Marktvorteil, den ein Unternehmen durch die Zufallsfluktuation gewonnen hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit sein weiteres Wachstum exponentiell beeinflussen. So wie es das „Preferential Attachement“ vorhersagt: Neue Knoten werden sich leichter mit Knoten verlinken, die bereits stark vernetzt sind. Ein Kunde wird umso leichter auf ein Unternehmen stoßen, je mehr Kunden dieses bereits hat, wobei der Prozess nur in eine Richtung verläuft und ein eindeutiges Ergebnis hat: Rich gets richer, poor gets poorer.

Dass es sich in der Realität genauso verhält, zeigt ein Blick in die Statistik. Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen im deutschsprachigen Raum die Hälfte des Privatvermögens. Mehr als jeder Zehnte lebt in Armut. Während die Hälfte der Beschäftigten weltweit unter der Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag lebt, ist die Zahl der Dollarmilliardäre alleine im Zeitraum von 1996 bis 2006 von 423 auf 946 Personen gestiegen. Obwohl die Profite der Unternehmen immer höher werden, liegt die Kaufkraft noch immer auf dem Niveau der 90er-Jahre. Die Schere zwischen Arm und Reich, Mann und Frau, Klein- und Mittelbetrieben sowie Großunternehmen wird laufend größer. Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich der Mittelstand bei diesem Polarisierungsprozess auflöst und es bald nur mehr ganz wenige Reiche und viele ganz Arme gibt.

[1] Barabási, Albert-László/Réka, Albert: Emergence of scaling in random networks, Science, 286:509-512, October 15, 1999

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fischundfleisch

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