SERIE | FOLGE 5 | KLAUSTROPHOBIE - DIE ANGST VOR ENGEN RÄUMEN UND EINGESCHLOSSENSEIN

Sie interessieren sich für den Hintergrund von Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen, Sucht, narzisstische Persönlichkeiten oder die Borderlinestörung? Heute über Klaustrophobie.

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Das menschliche Gehirn ist ein außergewöhnliches Organ. Es verfügt sogar über die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten. Durch den Vorgang der Introspektion wird der beobachtete Bereich der inneren Welt zu einem Stück Außenwelt. Inhalte aus der inneren Welt können so problemlos auf Objekte der äußeren übertragen werden. In Anlehnung an das frühkindliche Schema - was ihm schmeckt, schluckt es, was nicht, spuckt es aus - wird auch auf der psychischen Ebene alles was mit unserer Integrität nicht vereinbar ist (etwa anstößige sexuelle oder aggressive Triebregungen) ausgelagert. Äußere Objekte werden auf diese Weise zur Projektionsfläche für Teile der Innenwelt. Nicht anders wie im Kino, wo die Leinwand ebenfalls bloß Träger der auf sie geworfenen Bilder ist. Solange die Kontrollmechanismen die ausgelagerten und unterdrückten bedrohlichen Impulse vom Bewusstsein fernhalten, besteht keine Gefahr. Bewusst sind nach dem Verdrängungsakt nur mehr sozial akzeptable Triebwünsche oder solche, die zwar Unlust hervorrufen, mit denen wir uns im Laufe des Lebens aber arrangiert haben.

Bei der Klaustrophobie (wie auch bei allen anderen Phobien) werden die anstößigen Inhalte samt ihrer emotionalen Besetzung nach außen projiziert und mit geeigneten Objekten der Außenwelt identifiziert. Diese Objekte sind assoziativ immer mit der ursprünglichen (Angst hervorrufenden und daher verdrängten) Vorstellung verbunden. Als Ersatzvorstellungen eignen sich in diesem Fall enge oder abgeschlossene Räume, oder Situationen, in denen die Kontrollmöglichkeit aufgehoben ist. Wie in der U-Bahn zum Beispiel, wenn sich die Türen schließen und ein unmittelbares Aussteigen nicht mehr möglich ist. Ein Individuum ist dann der Situation, in der es sich befindet, ohne „Fluchtmöglichkeit“ ausgeliefert. Dasselbe gilt für Fahrten mit Zügen, Flüge, Lift- und Sesselliftfahrten, MRT-Röhren, etc. Um sich eine „Fluchtmöglichkeit“ zu erhalten (die Kontrolle nicht aus der Hand geben zu müssen) werden im Kino und Theater von Klaustrophobikern Randplätze bevorzugt. Den auslösenden Situationen ist gemeinsam, dass die Panik immer dann entsteht, wenn den Betroffenen die Kontrolle entzogen wird und sie sich einer fremdbestimmten Situation übergeben, „los lassen“, müssen. Der daraus resultierende Angstanfall wird auf der unbewussten Ebene von der verdrängten (nun mehr mit der Auslösersituation identifizierten) Triebregung hervorgerufen. Der befürchtete Kontrollverlust bezieht sich daher immer auf ein innerpsychisches Geschehen.

Ulrich ist gerade 22 Jahre alt, als er mit dem Bachelor sein erstes Studienziel erreicht hatte. Etwa ein Jahr davor verspürte er beim Einsteigen in die U-Bahn zum ersten Mal eine Beklommenheit. Plötzlich fiel ihm ein, wie tief unter der Erde er eigentlich war. Als sich die Wagontüren schlossen, machte sich Panik bemerkbar. In den Monaten danach nahmen die Symptome an Stärke zu und Ulrich war bald nicht mehr in der Lage, die U-Bahn oder andere öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Später mied er auch Fahrten mit Aufzügen, Seilbahnen, Sessel- und Skiliften.

Ulrich kommt aus einer streng religiösen Familie. Auch wenn er selbst nicht mehr an Gott glaubte, fühlte er sich den moralischen Ansprüchen seiner Familie weiter verpflichtet. Im Laufe der Analyse stellte sich heraus, dass Ulrich von Kindheit an von homosexuellen Vorstellungen „gepeinigt“ wurde. Vor allem in der Pubertät kämpfte er mit aller Macht gegen sein Verlangen an. Alleine schon deswegen, weil niemand in seiner Familie Homosexualität toleriert hätte. Ein Outing, so Ulrichs Befürchtung, hätte Schande über sie gebracht und ihn vollkommen isoliert. Mit der Zeit legten sich jedoch die Triebstürme und sein seelisches Gleichgewicht stabilisierte sich. In diesen Jahren hielt er sich für weitgehend asexuell, interessierte sich weder für Frauen noch für Männer. Die Situation änderte sich erst, als auf der Uni ein junger Mann sein Interesse weckte. Ein paar Wochen später traten anlässlich der U-Bahnfahrt zum ersten Mal die Symptome auf. Was war geschehen?

Wenn verdrängte Begierden (bei Ulrich seine unausgelebte Homosexualität) durch einen geeigneten Auslöser Verstärkung erfahren (das Interesse an seinem Studienkollegen), führt das zu einem Erregungsanstieg. Dieser Vorgang lässt sich gut mit der Ausdehnung eines Gases vergleichen, das in einem geschlossenen Behälter erhitzt wird. Der Wegfall jeglicher Abfuhrmöglichkeit steigert auch beim Menschen den inneren Druck und engt den psychischen Raum ein. Sobald man sich den inneren Vorgang der Triebverstärkung und inneren Enge nach außen projiziert vorstellt, ergibt sich das Bild der Klaustrophobie. In besonders schlimmen Fällen kann sich die Beklemmung bis zur Panik steigern.

Umgekehrt kann das psychische Gleichgewicht aber auch durch den drohenden Wegfall der Kontrolle gestört werden. Die Triebregung behält in diesem Fall ihre ursprüngliche Stärke bei, aber die psychische Abwehr wird dadurch destabilisiert. Damit Sie den Vorgang besser verstehen können, stellen Sie sich einen Raubtierkäfig vor, in dem sich ein hungriger Tiger befindet. Sie stehen unmittelbar vor der Käfigtür. Diese ist fest verriegelt. Solange Sie den Riegel unter Kontrolle haben, fühlen Sie sich sicher. Was aber, wenn Ihnen die Kontrolle plötzlich entzogen wird und sich ein Kind daran macht, den Riegel zu öffnen? Nichts wäre naheliegender, als dass Sie in Panik geraten. Sie brauchen jetzt nur für den Tiger die abgewehrten Triebwünsche und für den Türriegel die psychische Abwehr einsetzen und Sie werden die tiefere Bedeutung der Klaustrophobie besser verstehen.

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Spinnchen

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Iris123

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