Manche kennen das aus ihren Träumen: Man will etwas sagen, bringt aber nichts heraus. Man schreit aus voller Kehle, aber bleibt dabei stumm. Sprachlos.

Genauso geht es mir zunehmend in den gegenwärtigen Diskursen. Ich finde keine Sprache, um mich einzubringen. Schlage ich die Zeitung auf, dann lese ich Kommentare, links oder rechts, es gibt nichts anderes mehr. Gehe ich ins Wirtshaus höre ich „Ich hab zwar nichts gegen …, aber …“ und dann langes Gerede von Halb- und Dreiviertelwahrheiten, die nur ins jeweils eigene Meinungsbild passen. Blicke ich in die sozialen Medien, dann sehe ich neben emotionalen Eruptionen zu gesellschaftspolitischen Themen fruchtlose Parallelmonologe, in denen sich alle in ihren Standpunkten einbunkern und den des anderen der Naivität oder Lächerlichkeit preisgeben. Das macht sprachlos. Ich sehe, wie ein vielverdienender Wirtschaftsmogul durch eine Konkursdrohung bewirkt, dass seine Mitarbeiter und einige Arbeitnehmerinteressensvertretungen des Landes vor ihm am Bauch liegen und sämtliche – eh nie gestellte – arbeitsrechtliche Selbstverständlichkeiten „zurücknehmen“ – und es gibt keinen Aufschrei im Land wie es ihn gibt, weil Mindestsicherungsbezieher in den Augen etlicher Neider zu gut gebettet erscheinen.

Ich nehme Notiz, dass die historische Zahl von rund 175 Staaten das Pariser Klimaprotokoll unterschrieben hat, aber keine Debatte, wie wir nun alles daransetzen, um dieses menschheitswichtige Unterfangen mit konkretem Leben zu erfüllen. Stattdessen beschäftigen wir uns medial mit blauen Feldblumen und ihrer Symbolik. Man liest von der schwierigen Situation von Kleinbauern im internationalen Freihandel oder von widrigen Konstellationen, die zu Hungerkatastrophen in einigen Erdteilen führen werden, aber emotional diskutiert wird über die Existenz von Schweinsschnitzerl am Menüplan heimischer Kindergärten oder Schulen. Das alles macht sprachlos.

Aber vielleicht ist es ein Gewinn, sprachlos zu werden und allenfalls neues Zuhören zu lernen, das die anderen gelten lässt, ihre Position wahrnimmt, auch wenn sie nicht die eigene ist und erst urteilt, wenn das eigene Verständnis des anderen Standpunkts entsprechend vorangeschritten ist.

Ja, sprachlos zu sein wird vielleicht zum Gewinn, wenn wir die Sprache der derzeitigen Debatten endlich los würden. Hinter uns lassen könnten. Ein Königreich für eine neue Sprache! Eine, die verbindet, und nicht ausgrenzt. Eine, die klar benennt und zugleich lösungsorientiert bleibt. Eine Sprache, die wachrüttelt und nicht unsere Sinne benebeln will. Eine Sprache, die Dialoge zum gegenseitigen Verständnis ermöglicht und rechthaberischen Streitgesprächen der Polarisierung ein Ende macht.

Wenn wir ein solches Zuhören gelernt und eine solche Sprache gefunden haben, wenn wir es uns selbst nicht mehr gemütlich machen in dem scheinbar perfekten eigenen Weltbild - ist es dann nicht mehr nur ein kleiner Schritt zum Beginn wahrer Verständigung?

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martin.kussmann

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fischundfleisch

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