Oder: Warum beim Berufszugang Österreicher diskriminiert werden

Ja es stimmt: Das Gewerbe des Fremdenführers ist in Österreich ein freies Gewerbe und zwar dann, wenn der Fremdenführer seinen Sitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat und dort das Gewerbe nicht reglementiert ist. Die Fachgruppe der Freizeitbetriebe in der Wirtschaftskammer Wien hat einen sog. Pfuscherfolder herausgegeben in dem es heisst:

"Die fallweise und vorübergehende Erbringung von Fremdenführerleistungen durch Fremdenführer aus EU-Mitgliedsstaaten, die auch auf Grund ihrer lokalen Rechtsvorschriften berechtigt sind, solche Dienstleistungen zu erbringen (mindestens zwei Jahre Fremdenführer-Berechtigung innerhalb der letzten 10 Jahre oder Erfüllung eines gesetzlichen Fremdenführer-Befähigungsnachweises im Heimatland!), erfordert vor Erbringung der ersten Dienstleistung in Österreich einer schriftlichen Anzeige (Notifizierung) bei der zuständigen Behörde (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in Wien). Die vom BMWA ausgestellte Bescheinigung müssen Sie bei Ihrer Führung mitführen und behördlichen Überwachungs-Organen auf Verlangen vorweisen."

Freies Gewerbe für Dienstleister aus der Europäischen Union

Das bedeutet, dass von dem Fremdenführer aus Freilassing, der in Salzburg gelegentlich Reisegruppen durch die Altstadt führt, genausowenig ein Befähigungsnachweis erforderlich ist, wie für den Fremdenführer aus Bratislava, der mit einer Reisegruppe nach Wien kommt. Das gleiche gilt selbstverständlich für den Fremdenführer aus Lindau, der mit einer Reisegruppe nach Bregenz kommt oder für den Kollegen aus Garmisch-Partenkirchen, der gelegentlich mit einer Gruppe nach Innsbruck kommt. -> Diese Fremdenführer üben in Österreich ein freies Gewerbe aus.

Reglementiertes Gewerbe für österreichische Fremdenführer

Anders gestaltet sich der Berufszugang für den österreichischen Gewerbetreibenden, der gelegentlich solche Führungen anbieten will. So ist es nach dem Topos der Fremdenführer-Verordnung nicht aus-reichend, dass der Gewerbetreibende ein abgeschlossenes Geschichts-studium oder ein juristisches Studium vorweisen kann. Dies berechtigt jeweils nur zum Erlass eines Teilbereichs der Fremden-führerprüfung. Die obligatorische Ausbildung umfasst laut Gewerbeordnung zumindest 250 Lehreinheiten. Der Fachverband der Freizeit- und Sportbetriebe stellt in seinem EU-Sektorenbericht Fremdenführer Österreich zur Ausbildung Folgendes fest:

"Es werden in den Wirtschaftsförderungsinstituten der Wirtschaftskammer (WIFI) und in Wien durch das Beförderungsinstitut (BFI) ausreichend Kurse angeboten."

Eine Aktuelle Abfrage des WIFI OÖ brachte zum Kurs '8727 Lehrgang für Fremdenführer' folgendes Ergebnis zu Tage:

"Derzeit ist leider kein Termin verfügbar

Wir informieren Sie gerne sobald ein neuer buchbarer Kurstermin angeboten wird."

Etwas auskunftsfreudiger ist das WIFI Vorarlberg. Statt den geforderten 250 Lehreinheiten wird ein Kurs mit 720 (sic!) Trainingseinheiten geboten für schlappe € 4850. Hinzu kommen noch Prüfungsgebühren in Höhe von ca. € 500.

Das BFI Wien ist etwas freundlicher zu dem zukünftigen Fremdenführer. Statt den 250 Lehreinheiten wird hier ein 2-semestriger Intensivlehrgang mit 540 UE angeboten. Kostenpunkt: € 1600 - pro Semester.

Davon abgesehen, dass beispielsweise das BFI-Programm äußerst Wien-lastig ist und im Vorarlberger Programm speziell für Fremdenführer unerhebliche Kursteile wie: "Das rechtliche und politische System der Europäischen Union" oder "Religionen und philosophische Bewegungen" gelehrt werden stellt sich eine ganz andere Frage:

Warum werden österreichische Gewerbetreibende hierzulande schlechter gestellt als Mitbewerber aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union?

Wie bereits aus der schriftlichen Anfrage von Pere Esteve (ELDR) an die Europäische Kommission vom 3. Juli 2001 zu entnehmen ist, hat diese den Ball wieder an die Mitgliedstaaten wegen Unzuständigkeit zurückgespielt. Die EU regelte lediglich die gegenseitige Anerkennung vom Berufszugang in der Berufsanerkennungs-Richtlinie.

Wir haben es also mit einer klassischen Inländerdiskriminierung aufgrund des Anwendungsvorrangs von EU-Recht zu tun. Was sagt eigentlich der Verfassungsgerichtshof dazu?

Der Vfgh hat sich mit der Inländerdiskriminierung im Bezug auf das Gesundheitswesen (Kurorte, Krankenanstalten) sowie mit Apotheken, Arzneimittel beschäftigt. Die Verfassungshüter kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die inländerdiskriminierende Wirkung einer Norm im Interesse eines geordneten Gesetzgebungsprozesses vorübergehend, nämlich für die Dauer einer für die Neuregelung erforderlichen Übergangszeit angesichts eines erheblichen öffentlichen Interesses sachlich gerechtfertigt und daher hinzunehmen sei. (VfSlg 19529/2011 u 20196/2017). Was die Dauer eines solchen Zeitraums betrifft, so ist der in Art 140 Abs 5 B-VG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke auch hier sinngemäß zu berücksichtigen. Im Interesse eines geordneten Gesetzgebungsprozesses ist daher - in einem Fall wie dem vorliegenden - die diskriminierende Wirkung einer Norm aus den genannten Gründen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber vorübergehend für einen angemessenen Zeitraum hinzunehmen. (VfSlg 19529/2011)

Die Berufsanerkennungsrichtlinie wurde mit dem Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 geändert wird (BGBl. I Nr. 155/2015) am 09.12.2015 vom Nationalrat beschlossen und am 28.12.2015 im Rechtsinformationssystems des Bundes kundgemacht. Selbst bei Hinzurechnung der im Ressort Kurz eingebrachten Regierungsvorlage zum Anerkennungs- und Bewertungsgesetz AuBG (BGBl. I Nr. 55/2016), das am 15.06.2016 im Nationalrat beschlossen und am 11.07.2016 kundgemacht wurde, ist die vom Verfassungsgerichtshof festgestellte höchst zulässige Übergangsfrist abgelaufen. Daher ist auch eine Reglementierung beim Fremdenführer sachlich nicht mehr gerechtfertigt.

Der Autor kommt daher zum Schluss, dass die Schlechterstellung von Inländern gegenüber Fremdenführern unserer Nachbarn (dort: Gästeführer genannt) deshalb erfolgt, weil im Wirtschaftsbund und bei der Österreichischen Volkspartei der politische Wille zur Beseitigung dieser Ungerechtigkeit schlicht nicht vorhanden ist.

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Markus Andel

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